Was Urgroßeltern nicht für möglich halten!

Für Produzent Wolf C. Hartwig war es „das Geschäft meines Lebens“, als der deutsche Film 1970 entgültig von der (Aufklärungs)Rolle fiel. Sein pseudodokumentarischer Episodenfilm „Schulmädchen-Report“, der ein Dutzend Sequels und nahezu 50 ähnliche „Report“-Filme nach sich zog, war ein voller finanzieller Erfolg. Grund dafür war einerseits die einfache Idee, die in der Luft zu liegen schien: Was treiben Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren nach (und manchmal sogar während) der Schule? Solche Mädchen stellten Hofbauer und Hartwig vor die Kamera und zeigten es den Zuschauern einfach. Die jungen Darstellerinnen – und das ist der andere Grund für den Erfolg des Films – wurden seinerzeit mit Gagen von 300 DM abgefertigt. Auf diese Weise verzahnte das Produzenten-Team des „Schulmädchen-Report“ Ästhetik und Ökonomie derart miteinander, dass das eine das andere voraussetzte.

Die Rahmenhandlung – das hat „Schulmädchen-Report“ mit ähnlichen Pseudo-Aufklärungswerken der deutschen Nachkriegsfilmgeschichte gemeinsam, ist sexualpädagogisch geprägt: Auf einer Klassenreise in ein Chemiewerk verschwindet die Schülerin Renate. Ihre Lehrerin ertappt sie im Bus zusammen mit dem Busfahrer bei einem Schäferstündchen. Jetzt tritt der Elternrat zusammen und berät, ob man das Mädchen von der Schule verweisen soll, weil es den Ruf der Lehranstalt beschädigt hat und einen schlechten Einfluss auf die Mitschülerinnen ausübt. Alle – bis auf Dr. Bernauer (Günther Kieslich), ein Jugendpsychologe – sind sich einig: Renate muss weg. Bernauer erbittet, bevor man vorschnelle Entscheidungen trifft, aus seinem prall gefüllten Nähkästchen mit Teenager-Sex-Anekdoten berichten zu dürfen. Nun folgen Interview-Szenen, in denen junge Frauen auf offener Straße über ihr Sexualverhalten und ihre Vorstellungen von Liebe befragt werden, abgewechselt von kurzen Geschichten, in denen das Liebesleben der Jugendlichen vorgeführt wird. Dieses reicht von Dauermissbrauch durch den Stiefvater ab dem neunten Lebensjahr über Vergewaltigung vom Vater der Freundin bis zu Spontansex im Rohbau und Verführung eines „unschuldigen“ Bademeisters (der dann auch noch vor Gericht landet) durch drei frühreife Gören. Nachdem der Elternrat den Ausführungen gelauscht hat, ist man sich nicht mehr so sicher, ob Renate wirklich ein Einzelfall ist und ob man – angesichts der doch offensichtlich geänderten Sexualmoral – ein derart hartes Exempel statuieren sollte. Renate bleibt auf der Schule – auch wenn einige nur mit Murren und weil sie nicht als Spießer gelten wollen, zustimmen.

Nicht einmal auf den ersten Blick (und wohl auch kaum in den frühen 1970er Jahren) dürften man „Schulmädchen-Report“ für einen ernsthaften Beitrag zum Thema gehalten haben. Sein exploitatives Anliegen kaschiert der Film aber auch kaum. Schon der Untertitel öffnet die Kluft zwischen Sexualliberalismus und Moraltradition: „Was Eltern nicht für möglich halten“. Der Film zielte – da lässt schon die Altersfreigabe von „ab 18 Jahren“, die durch die spätere Indizierung des Werks unterstrichen wurde, keine Zweifel aufkommen – auf ein erwachsenes, männliches Publikum – eben auf jene „Eltern“. Diesem wurden junge Frauen (Hartwig insistiert im Interview darauf, dass alle volljährig waren) vorgeführt, die der Kamerablick pausenlos lustvoll abwandert. Schon in der ersten Sequenz nach dem liberalistischen Prolog über die „neue Jugend“ wird dieses Programm klar: Als die Mädchen aus dem Bus aussteigen, zeigt die Kamera nicht etwa ihre Gesichter, sondern ihre Beine – daran sollt ihr sie erkennen, die Jugend!

Doch es wäre verfehlt, und man ginge der subtilen Ironie des Films auf den Leim, würde man den Produzenten diese Exploitation von Teenager-Sex vorwerfen. Dafür ist der pseudo-dokumentarische Stil zu durchschaubar, hält sich das Inszenatorische, je weiter der Film voran schreitet, zu wenig zurück. Zum Ende hin gibt es sogar einen kleinen Film im Film, als sich zwei Freundinnen über Sex unterhalten und die versiertere ihrer noch jungfräulichen Freundin, welche Angst vorm „ersten Mal“ hat, aus ihrem Erfahrungsschatz erzählt. Nach dieser Episode ist man fast überrascht, sich auf einmal im Lehrerzimmer wiederzufinden, in dem immer noch Renates Fall verhandelt wird. Erst hier wird eigentlich klar, dass die Binnenerzählung des Films die Schilderungen des Jugendpsychologen waren, die nun, nachdem sich der Spielfilmcharakter so sehr in den Vordergrund gedrängt hatte, allein schon wegen des oben beschriebenen Aufklärungsauftrags durch eine Moral abgerundet werden muss.

Mit dem unglaublich erfolgreichen „Schulmädchen-Report“ etabliert sich eine Motivkombination im deutschen Kino, die zunächst nur in Konkurrenz zum „Neuen Deutschen Film“ trat, diesen dann aber – ab Doris Dörries „Männer“ – hinter sich lies. Es ist die Verbindung von schlüpfrigem Sprachwitz, quasi-aufklärerischer Sexualitätsdarstellung (immer im Gestus des „Dokumentarischen“ vorgeführt) und behaupteten Emanzipationsgeschichten, die dem trockenen, intellektuellen, sozial engagierten Autorenkino das Genick brachen und den deutschen Film vom Kopf auf die Genitalien stellte. Zwar sind die Beiträge heute bei weitem nicht mehr so offensichtlich reißerisch wie im „Schulmädchen-Report“, doch findet sich diese Motivverknüpfung immer noch in etlichen deutschen Produktionen, die an der Kinokasse etwas gelten.

Hofbauers und Hartwigs Film antizipierte einen ästhetischen Trend, den die Pornografie ab den 1990er Jahren (freilich hatte auch sie einen frühen Vorläufer: von Ackerens „Deutschland privat“ von 1980) institutionalisierte: den Primat des Authentischen, der das immer schon Fiktive des Filmischen zu kaschieren versucht. Die Dauerserie „Happy Video Privat“ von Harry S. Morgan ist ein früher und prominenter Vertreter dieser Pornografie, die auf Hofbauer/Hartwigs Spuren wandelt. Dieser Authentizitäts-Trend übertrug sich auch auf andere Genres, die stets mit der „Echtheit“ des Affektes wegen liebäugeln – vor allem auf den Horrorfilm (vgl. „The Blair Witch Project“). „Schulmädchen-Report“ ist zwar nicht der Film, der mit dieser Ästhetik reüssierte, aber derjenige, der sie profitabel machte und auf eine Weise „billig“ war, die nicht billig wirkte.

Schulmädchen-Report – Was Eltern nicht für möglich halten
(Deutschland 1970)
Regie & Buch: Ernst Hofbauer, Kamera: Klaus Werner, Schnitt: Walter Boos, Musik: Gert Wilden
Darsteller: Günther Kieslich, Wolf Harnisch, Helga Kruck, Friedrich von Thun, Alexander Miller, Gernot Möhner, Karl-Heinz Otto, Franziska Stömmer u.v.a
Länge: 85 Minuten
Verleih: Kinowelt


Die DVD von Kinowelt

Kinowelt bringt den „Schulmädchen-Report“ in zwei Fassungen: in der 1982 indizierten Originalfassung und einer gekürzten FSK-16-Version. (Inwieweit sich die Indizierung des Originals heute noch aufrecht erhalten lässt, ist fraglich.) Neben dem Aushangfoto-Set, Kinoplataken , zwei Original-Trailern und einem Amateur-Interview mit Produzent Hartwig befinden sich auf der DVD noch drei PDF-Dateien: Ein weiteres Interview mit Hartwig, eines mit dem SAT1-Jugendschutz-Beauftragten Berthold Brüne und eine Tabelle mit „Kenndaten“ zu einigen „Schulmädchen-Report“-Folgen, deren Sinn sich nicht ganz erschließt. Letztere scheint ein Auszug aus einer Magisterarbeit oder ähnlichem zu sein; die Quellenangabe fehlt hier – wie auch bei den beiden anderen PDF-Dateien bedauerlicherweise.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 1,66:1 (Letterbox)
Sprachen/Ton: Deutsch (Mono Dolby Digital)
Extras: 2 Interviews mit dem Produzenten (Video, Text-tafeln), original Kinoaushangfotos und -Plakate, Interview mit dem Sat.1-Jugendschutzbeauftragten, Trailer, inhaltliche Kenndatenanalyse der Schulmädchenreporte
FSK: ab 18 Jahre

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