Die Magie des Rituals

Das verschmitzte Lächeln der schönen Königin, die den hoch stilisierten Bilderreigen des Films eröffnet und zu einem seiner visuellen Leitmotive wird, ist das ironische Lächeln der Postmoderne, die ihre Geschichten immer mit relativierenden Einführungszeichen versieht – ganz besonders, wenn dabei ganz große Geschichte im Spiel ist. Im Mittelpunkt von "Marie Antoinette" steht zwar das dekadente Hofleben am Vorabend der Französischen Revolution, es geht aber nicht darum, den übergreifenden historischen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen.

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Die Perspektive des Zuschauers entwickelt sich fast ausschließlich aus der Perspektive des ahnungslosen Mädchens, das, mit einem Zierhündchen auf dem Arm, aus ihrer Heimat Österreich ausreist, um den französischen Thronfolger zu heiraten. Ihr Blickfeld ist begrenzt und durch die höfische Etikette streng reglementiert: Das Leben außerhalb von Versailles kann sie meist nur durch die engen Fenster ihres Kutschenwagens wahrnehmen. Ihr eigenes Leben ist von nun an den Ritualen der elitären Repräsentation gewidmet, die sie zunächst albern und absurd findet, dann aber mit zunehmender Hingabe befolgt und schließlich noch zusätzlich verfeinert und perfektioniert. Ein Sittengemälde kommt jedoch nicht zustande, da die Heldin so vollkommen in den naiven Freuden des königlichen Repräsentation aufgeht, dass eine aufklärerisch-kritische Distanz verunmöglicht wird. Der Zuschauer wird stattdessen aufgefordert (mit dem bereits erwähnten verlockend-ironischen Lächeln), an der elitären Atmosphäre teilzuhaben und die Bilder des verschwenderischen Luxus als sinnliche (Film)Erfahrung zu genießen.

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Wer sich aber auf explizite Erotikszenen freut, wird eher enttäuscht sein. Der Film geht mit "nackten Tatsachen" aus dem Leben der Königin, der die aufwendigsten Ausschweifungen nachgesagt werden, äußerst sparsam um. Die erotische Spannung resultiert eher aus dem Überschuss an Kleidern, die den Körper kunstvoll verpacken, als aus deren Mangel. Es wird nicht der Vollzug des sexuellen Verlangens betont, sonder der Moment der Versuchung, der, wie alles in Versailles, eine rituelle Komponente aufweist und deshalb auch am trefflichsten mit den Ambienten und Gegenständen umschrieben werden kann, mit denen das Subjekt sich in seiner erotischen Selbstinszenierung umgibt.

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Indem die Regisseurin Sofia Coppola auf tiefere Einblicke in die psychologische Verfasstheit ihrer (historischen) Heldin verzichtet, schafft sie die beunruhigende und gleichzeitig verführerische Vision eines Lebens ohne Inhalt, die auf die allgemeine Inhaltslosigkeit der Geschichte, aber auch insgesamt auf das postmoderne Weltbild verweist. Die Repräsentation, die hier als eigentliches Objekt der Darstellung fungiert, lässt zugleich auch an die philosophische Bedeutung dieses Begriffs denken, der die Form als Ausdruck (also Repräsentation) einer bestimmten Idee deutet und hiermit eine klare Unterscheidung zwischen Wesen und Schein aufrechterhält, die aus postmoderner Sicht untragbar geworden ist. Die Repräsentation, der sich Marie Antoinette bei Sofia Coppola am französischen Hof widmet, hat die Verbindung zur Ideenwelt längst verloren und repräsentiert dementsprechend nur sich selbst. "Die königliche Pflicht", die Marie Antoinette zusammen mit ihrem Gatten während der Revolution trotz allen Gefahren in Versailles bleiben lässt, wird vor allem als Pflicht zur Repräsentation verstanden, die ganz unabhängig von realen Machtverhältnissen im Staat existiert. Und auch als die tobende Menge den Palast stürmt, hält man sich mehr gelassen als verzweifelt an der Macht des Rituals fest.

Marie Antoinette
Japan/Frankreich/USA 2006
Regie & Buch: Sofia Coppola; Musik: Jean-Benoît Dunckel, Nicolas Godin; Kamera: Lance Acord; Schnitt: Sarah Flack
Darsteller: Kirsten Dunst, Marianne Faithfull, Steve Coogan, Judy Davis, asia Argento u.a.
Länge: 123 Minuten
Verleih: Columbia

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