Die Kette des Leidens

Die weibliche Biologie, die sehr stark auf die Fortpflanzung eingestellt ist, wurde noch von Simone de Beauvoir als ein Problem erkannt, das die Frau daran hindert, sich von der „kreatürlichen Abhängigkeit“ zu befreien und der eigenen Existenz eine transzendente Dimension zu geben. Ihr Vorschlag war, das körperbezogene Dasein mit geistiger Anstrengung zu überwinden und auf diese Weise eine innere Freiheit als Individuum zu erlangen, wie sie der Mann (historisch sowie biologisch bedingt) bereits genießt. Die späteren Generationen der feministischen Theoretikerinnen haben sie korrigiert und die negative Konnotation des Körperlichen grundsätzlich in Frage gestellt. Doch das änderte nichts daran, dass die biologischen Implikationen des weiblichen Körpers zu einem verbreiteten Topos der Horrorfilmgeschichte geworden sind. Eine furchteinflössende Vorstellung, nicht mehr Herr seiner Selbst zu sein und den eigenen Organismus zum Zwecke der Erhaltung einer (in diesem Falle fremdartigen) Spezies zu Verfügung stellen zu müssen, äußert sich zum Beispiel in der Vision einer männlichen „Schwangerschaft“, wie sie in „Alien“ in erschreckenden Bildern vorgeführt wird.

Der Hongkonger Independetfilmmeister Fruit Chan, der sich in „Dumplings“ ebenfalls dem Schrecken der weiblichen Biologie zuwendet, wählt dagegen eine subtilere Art der Darstellung, bei der es nicht auf die aufwendigen „special effects“ ankommt, sondern vielmehr auf die geschickt konstruierte Geschichte, die nur sehr vorsichtig den Rahmen des Natürlichen und Wahrscheinlichen überschreitet. Es ist zunächst nichts Unglaubwürdiges daran, dass die ehemalige Schauspielerin Qing Li (Miriam Yeung) auf der Suche nach einer effektiven Verjüngungsmethode in einem ärmeren Viertel von Hongkong die bekannte „Spezialistin“ Mei (Bai Ling) ausfindig macht, die mit ihren legendären Teigtaschen schnelle Resultate verspricht. Etwas unheimlich ist allein die Zusammensetzung der Füllung, die aus abgetriebenen menschlichen Föten besteht, die illegal aus chinesischen Krankenhäusern importiert wurden. Was also bei den einen Frauen mit Schmerz und Gesundheitsschäden verbunden ist, soll den anderen zur ewigen Jugend und Schönheit verhelfen. Dafür müssen sie aber auch erst einmal durch eine Folter hindurch, denn diese Teigtaschen zu essen, verstoßt nicht nur gegen die Moral, sondern vor allem gegen das Ekelgefühl…

Was Fruit Chan uns hier vorführt, ist die endlose Kette des weiblichen Leidens. Solange sich die Frau ihrer jugendlichen Ausstrahlung erfreuen kann und die Aufmerksamkeit der Männer genießt, ist die Gefahr akut, eine Abtreibungspatientin zu werden. Wenn aber die Jugend und Schönheit einmal verblassen, beginnt der erbitterte Kampf um die verlorene Attraktivität, denn ansonsten droht der Sex- bzw. Liebesentzug, was schwer zu ertragen ist. In „Dumplings“ werden diese zwei Phasen des „weiblichen Lebenszyklus“ über die mit Föten gefüllten Teigtaschen metaphorisch miteinander verwoben. Qual und Lust werden dabei auf eine verstörende Art kombiniert. Denn die haarsträubenden Teigtaschen sehen bei all dem richtig appetitlich aus und wecken bei dem Zuschauer aufregende Erinnerungen an die etwas „verrückte“ asiatische Küche. Aber auch die sexuelle Lust entsteht im Film fast ausschließlich in Kombination mit Ekel und Schmerz. So verzerrt Quing Lis Mann (Toni Kai-Fai Leung) während des heftigen Flirtens mit einer Hotelangestellten genüsslich ein Ei, das einen sich klar abzeichnenden Vogelembryo enthält. Die Szene, in der Quing Li selbst ihren Mann mit der neu gewonnen erotischen Ausstrahlung verführt, wird parallel zum Tod einer Schülerin geschnitten, die nach einer illegalen Abtreibung verblutet. Die „Schönheitsexpertin“ und ehemalige Gynäkologin Mei zeigt sich durch die eigenhändig vorgenommene, besonders schmerzhafte Abtreibung äußerst erregt und berührt sich lustvoll in der Küche, während sie den bereits gut entwickelten Fötus zubereitet. Der Horror entsteht aus der schonungslosen Einsicht in die Strukturen des Lustempfindens, dessen sadistische Kehrseite uns der Film stets vor Augen hält.

Über die „physiologische“ Seite hinaus kann man die Geschichte, in der das bedenkliche Schönheitsmittel über die Grenze zwischen China und Hongkong kursiert, auch als einen bitter-ironischen Kommentar auf einen Prozess verstehen, der jetzt kaum jemanden in Hongkong unbeeindruckt lässt. Das Land, das 1841 offiziell von China an die britischen Besatzer abgetreten (abgetrieben?) wurde, soll nun in einem mühevollen politischen Unterfangen dem chinesischen „Hauptland“ wieder „einverleibt“ werden. Das Unbehagen, das viele Hongkonger dabei empfinden, passt sehr gut in die Metapher jener spezifischen Form des Kannibalismus hinein, bei dem der (weibliche) Organismus auf eine perverse Weise praktisch das eigene Produkt verschlingt, das aus dem Körper einmal gewaltsam herausgenommen wurde.

„Sie sind reich, aber ich bin frei“, – sagt Mei, die selbst seit Jahren von dem Effekt der wundersamen Teigtaschen profitiert, ihrer von Gewissensbissen und unangenehmen Nebenwirkungen geplagten Kundin. Hiermit meint sie offensichtlich die Freiheit vom moralischen Skrupel, die für die Wirksamkeit ihrer barbarischen Methode unerlässlich ist. Aber der Film erzählt nicht nur vom Tabubruch, sondern er begeht auch selbst einen Tabubruch, indem er Zusammenhänge zeigt, deren öffentliche Vorführung das ethische Empfinden so mancher Zuschauer sehr wohl verletzen mag. Wer aber, trotz dieser Bedenken, dem Kunstwerk die Freiheit der Ausdrucksformen zugesteht und die ästhetischen Qualitäten des Films auf sich wirken lässt, wird mit einem Kinoerlebnis belohnt, das diese kleine Überwindung wert ist.

Dumplings – Delikate Versuchung
(Gaudzi)
(Hongkong 2004)
Regie: Fruit Chan; Buch: Lilian Lee; Kamera: Christopher Doyle; Musik: Chan Kwong-wing
Darsteller: Bai Ling, Miriam Yeung, Tony Leung Kar-fai, Pauline Lau u.a.
Länge: 91 Minuten
Verleih: e-m-s


Die DVD von ems

e-m-s hat „Dumplings“ in spartanischer Ausstattung aber mit hervorragendem Bild und Ton auf DVD heraus gebracht. Vor allem in Sachen Farbgebung liefert die Reproduktion ein dem Kinobild erstaunlich nache kommendes Ergebnis – lebt das Bild des Films doch vor allem durch sein „Understatement“, also eine gewisse Blässe, die die Tristesse als scharfen Kontrast zum erzählten Skandal etabliert. Die verdampften Küchenbilder wirken da besonders eindringlich.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: Widescreen 1,85:1 (anamorph)
Ton: DTS / DD 5.1 (deutsche) & DD 5.1 (kantonesisch)
Untertitel: deutsch (optional)
Specials: Originaltrailer
Länge: ca. 87 Minuten
FSK: ab 18 Jahre.

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