Man ist, was man isst

„Mathers hat am besten geschmeckt. Zart wie Lamm.“ So lautet eine Zeile aus Jonathan Auf Der Heides bemerkenswertem Spielfilmdebüt „Van Diemen’s Land“ und der Mann, der sie ausspricht, ist kein wahnsinniger Serienmörder, kein Hannibal Lecter mit einer Vorliebe für menschliche Leber und Chianti, kein Horrorfilm-Monster, sondern ein einfacher Mann, der mehrere seiner Kameraden gegessen hat, um zu überleben. Aus seinen Worten sprechen zwar Sarkasmus und Zynismus, noch mehr aber die Unfähigkeit, das von ihm begangene Verbrechen – Kannibalismus – in seiner ganzen Tragweite zu fassen und zu verarbeiten.

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Vom Wandel der Perspektiven

Die zeitgenössische Renaissance des Splatterfilms drückt sich nicht bloß in der schlichten Entität zahlreicher Neuinterpretationen der klassischen Gattungsvertreter aus, sondern geht auch einher mit einer sukzessiven Transformation der ihnen zugrunde liegenden Sujets und Motive, der man mit neuen Kategorisierungsversuchen, wie etwa dem sogenannten Torture Porn, beizukommen versucht. „Welcome to the Jungle“ ist kein genuines Remake, dennoch drängt sich der Vergleich zu Ruggero Deodatos 1980 enstandenen Kannibalenfilm „Cannibal Holocaust“ förmlich auf: Hier wie dort begibt sich eine Gruppe, in diesem Fall zwei sehr gegensätzliche adoleszente Pärchen, in die Tiefen des Dschungels; hier wie dort sind sie Vertreter westlicher Hegemonialmächte, angetrieben nicht nur von dem Willen ein Geheimnis zu lüften, sondern auch aus dessen Aufklärung entsprechendes Kapital zu schlagen und hier wie dort bekommt der Zuschauer das quasi unverfälschte Destillat dieser Expedition präsentiert: nämlich die unbearbeiteten Aufnahmen des verschollenen Grüppchens, obgleich ungeklärt bleibt, wie dieses Rohmaterial in die Hände eines findigen Produzenten gelangen konnte, um einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden.

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Ein Kannibale als Kulturheros

Was in Mode zu kommen scheint, sind dieser Tage Filme, die sich mit der Aufarbeitung eines bisher unbeleuchteten Kapitels aus der frühen Lebensgeschichte einer Roman- oder Filmfigur befassen. Den Auftakt dazu lieferte das horribel verstümmelte „Texas Chainsaw Massacre – The beginning“ (Kinostart 18. Januar). „Hannibal Rising“ führt die Reihe der Anfänge als ein auf Hochglanz poliertes Gründungsmythos fort, das seinerseits Volksmythen in Form von Märchen und nebenbei die Folterung von Kriegsverbrechern zeigt. Er versucht die Transformation vom Mythos zum Myzel, kommt dabei aber kaum ohne eine schlicht gestrickte Psycho-Logik aus, die dem Film alle die Haken und Kanten nimmt, an denen man sich beim „Schweigen der Lämmer“ seinerzeit noch genüsslich die ein oder andere Blessur holen konnte.
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Am Ende des Kannibalismus

Derzeit herrscht große Aufregung in der Tagespresse – mehr wohl aber noch beim Filmverleih Senator und bei dem als „Kannibale von Rotenburg“ apostrophierten Armin Meiwes. Dieser hatte vor kurzem erfolglos zu verhindern versucht, dass ein Spielfilm über seinen Fall in die Kinos gelangt. Per „einstweiliger Verfügung“ sollten die Interessen Meiwes’ gewahrt bleiben – dass es dabei nicht nur um das verfassungsmäßig garantierte Persönlichkeitsrecht, sondern wohl auch um monetäre Interessen geht, schwingt als Dauervorwurf in den berichterstattenden Medien ständig mit. Immerhin hatte Meiwes seinen Fall „exklusiv“ an die Hamburger Produktionsfirma „Stampfwerk“ verkauft, die daraus mindestens einen Dokumentarfilm erstellen wollte.
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Das Rohe und das Gekochte

Internet-Kriminalität erlebt in den letzten Jahren einen Boom – in der Filmproduktion. Angefangen bei Hacker-Filmen wie „Das Netz“ bis hin zu Autorenfilmen wie dem anstehenden „Dein Herz in meinem Hirn“ von Rosa von Praunheim, der den Kannibalen-Fall von Rotenburg filmisch adaptiert – die Bedrohung von Recht und Ordnung durch die angeblich anarchistischen Strukturen des Internet scheinen eine passable Motivation für Kriminalstoffe abzugeben. Dass das Angebot an Sex-Seiten dabei irgendwann ins Visier der Drehbuchschreiber rücken würde, ist klar. Und so musste man auf einen Film wie „Feed“ eigentlich nur warten – dass ihn jemand bringen würde, war nur eine Frage der Zeit.
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Die Kette des Leidens

Die weibliche Biologie, die sehr stark auf die Fortpflanzung eingestellt ist, wurde noch von Simone de Beauvoir als ein Problem erkannt, das die Frau daran hindert, sich von der „kreatürlichen Abhängigkeit“ zu befreien und der eigenen Existenz eine transzendente Dimension zu geben. Ihr Vorschlag war, das körperbezogene Dasein mit geistiger Anstrengung zu überwinden und auf diese Weise eine innere Freiheit als Individuum zu erlangen, wie sie der Mann (historisch sowie biologisch bedingt) bereits genießt. Die späteren Generationen der feministischen Theoretikerinnen haben sie korrigiert und die negative Konnotation des Körperlichen grundsätzlich in Frage gestellt. Doch das änderte nichts daran, dass die biologischen Implikationen des weiblichen Körpers zu einem verbreiteten Topos der Horrorfilmgeschichte geworden sind. Eine furchteinflössende Vorstellung, nicht mehr Herr seiner Selbst zu sein und den eigenen Organismus zum Zwecke der Erhaltung einer (in diesem Falle fremdartigen) Spezies zu Verfügung stellen zu müssen, äußert sich zum Beispiel in der Vision einer männlichen „Schwangerschaft“, wie sie in „Alien“ in erschreckenden Bildern vorgeführt wird.
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Klößchen

Sicher einer der spannendsten Filmemacher aus Hongkong ist Fruit Chan, der 1997 mit seinem selbstproduzierten Low-Budget Streifen „Made in Hong-Kong“ auf Anhieb den Zugang in die Welt der internationalen Filmfestivals geschafft hat und dem der Ruf des kompromisslosen Autorenfilmers vorauseilt; nebenbei bemerkt, denn so wichtig ist das nun auch nicht. Interessanter schon, dass man beim Betrachten von „Dumplings“, der übrigens weltweit als Horrorfilm vermarktet wird, überrascht ist, immer wieder und auf unterschiedliche Weise.
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Dumplings

Es liest sich wie ein üblicher Direct-to-Video-Schocker aus der Category III (entspricht in Hongkong so in etwa unserem FSK 18, wobei „Cat III“ in der Regel für noch derbere Kost steht): Eine nach außen hin junge, knackig attraktive Dame (in Wirklichkeit ist sie allerdings schon jenseits der 60) hat den Jungbrunnen entdeckt: Wer bei Ihr zum abendlichen Dinnieren eintrifft, erhofft sich von dem exklusiven Mahl weiche Haut und weniger Falten. Die Basis der Speise: Liebevoll zubereitete, knusprig frittierte Teigtaschen, gefüllt mit abgetriebenen Föten, aus China importiert. Eine ins Alter gekommene Schauspielerin wird schon bald ihr Stammkunde, da sie nicht nur dem eigenen Image hinterher trauert, sondern auch, weil ihr Gatte eher von jungen Dingern angetan ist. Ein Psychogeflecht entwickelt sich …
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»Fressen und Gefressenwerden«

»Die Entwertung der Dingwelt in der Allegorie
wird innerhalb der Dingwelt selbst
durch die Ware überboten.«

(Walter Benjamin)

… ist die Leitdoktrin kapitalistischer Wirtschaftslogik. Die „Fressen“-Metaphorik zieht sich durch die gesamte Wirtschaftstheorie und -terminologie und ist selbst schon Gegenstand kulturwissenschaftlicher Überlegungen geworden. Was wäre da idealer, als das Fressen einmal wörtlich zu nehmen und die sozial-ethischen Konsequenzen der Produktions-, Vermarktung- und Konsumptionslogik an der wörtlich genommenen Metapher auszubuchstabieren? Der Däne Anders T. Jensen hat dies getan und den Betrieb einer Kleinschalchterei zur Parabel für den Wirtschaftskreislauf erklärt.
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