Pornfilmfestival Berlin 2010 – Frauenzimmer

Erfreulicherweise ist beim Berliner Pornfilmfestival der Name nicht immer Programm, es werden also auch nichtpornografische Produktionen gezeigt, die interessante Aspekte der Sexualität beleuchten. Die Dokumentation „Frauenzimmer“ von Saara Aila Waasner porträtiert drei Frauen im fortgeschrittenen Alter, die als Prostituierte in Berlin tätig sind.

Wie jede andere Arbeit bedeutet die Prostitution Emanzipation und Zwang zugleich. Einerseits fühlt sich der Mensch durch das verdiente Geld selbstbestimmter, andererseits entfremdet er sich von den eigenen Bedürfnissen, indem er sie zugunsten der fremdgesteuerten Aufgaben zurückstellt. Im Falle der Prostitution ist die Gefahr der Selbstentfremdung natürlich besonders groß, da der Körper zum eigentlichen Arbeitsinstrument wird, das nach getaner Arbeit nicht einfach abgelegt werden kann. Die drei Frauen gehen dieses Risiko allerdings ein, da die Angst, im Alter überhaupt nicht mehr gebraucht zu werden, alles andere überwiegt.

Am glücklichsten scheint mit ihrer Berufswahl die 59-jährige Christel zu sein, die erst vor wenigen Jahren als Prostituierte angefangen hat. Sie sieht darin die ersehnte Befreiung aus dem Dasein einer sexuell frustrierten Ehefrau und das beste Heilmittel gegen ihre manisch-depressive Erkrankung. Wo aber das Selbstbewusstsein darauf aufgebaut wird, dass man immer noch begehrenswert ist, eröffnet sich unverzüglich ein neues Frustrationsfeld: So muss Christel jetzt das Gefühl der Wertlosigkeit bekämpfen, wenn ein Kunde sie versetzt … Die 64-jährige Domina Karolina findet ihren Beruf auch viel erfüllender als den Alltag einer Firmenangestellten, die sie in jungen Jahren mal war. Aber auch sie kann den Eindruck nicht loswerden, dass sie in ihrer jetzigen Funktion nicht als Mensch, sondern als eine Art Ganzkörperfetisch wahrgenommen wird. Am Tragischsten ist die Geschichte der 49-jährigen Paula, die sich ursprünglich als Lesbe definierte und die Prostitution vom Anfang an ganz pragmatisch als den Weg zum schnellen Geld betrachtete, waren doch zu DDR-Zeiten die für viele unerreichbaren Konsumgüter auch ein Symbol für ein fundamental anderes Leben, „jenseits der sozialistischen Tristesse“. Damals wurde sie beim Versuch eines illegalen Grenzübergangs verhaftet und zu neun Jahren Haft verurteilt. Jetzt begleitet sie mit sehnsüchtigem Blick startende Flugzeuge und träumt von der Auswanderung nach Bali.

In seinem formalästhetischen Aufbau geht der Film von dem titelgebenden Begriff aus, indem er ihn wörtlich nimmt und die Frauen tatsächlich als „Zimmer“, also als Räume begreift, die man betreten und wieder verlassen kann, die aber auch ohne Besucher nicht leerstehen, sondern mit Erinnerungen, Geschichten und Hoffnungen vollgepackt sind. Wie zufällig greift die Kamera Fotos an der Wand und Schmuckgegenstände auf dem Toilettentisch in den Wohnungen heraus und schafft so den Zugang zu den intimen Lebenswelten der Porträtierten. Manchmal aber wird das Narrativ etwas gewaltsam in eine bestimmte Richtung gebogen. Einige interessante Zusammenhänge bleiben unaufgeklärt, obwohl sie für das Verständnis der Situation der Frauen ausgesprochen wichtig wären. So würde der Zuschauer beispielsweise bestimmt gern etwas mehr darüber erfahren, ob und inwiefern der aktuelle Lebensgefährte von Christel ihre Entscheidung, sich zu prostituieren, mitbeeinflusste, zumal ihre Kennenlernphase ungefähr in die Zeit fallen musste, als sie mit dem „leichten Gewerbe“ angefangen hat. Das könnte vielleicht eine neue, interessante Perspektive schaffen.

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