Eindeutig uneindeutig

Michael Haneke macht es seinen Interpreten leicht und schwer zugleich, indem er selbst gerne und ausführlich über seine Filme spricht. Die zahlreichen Interviews, die häufig neben den interpretierenden Texten der Analytiker in die Sammelbände aufgenommen werden (der vorliegende ist hier auch keine Ausnahme!), legen davon Zeugnis ab. In diesen Gesprächen bietet Haneke tatsächlich sehr genaue Einblicke in seine Schaffenskonzepte und liefert kostbare Hinweise, die von den Kritikern und Wissenschaftlern dann weiter verwertet werden können. Um aber die vom Regisseur genannten Aspekte erfolgreich in die eigene Theorie zu integrieren und ihnen darüber hinaus etwas neues abzugewinnen, muss man sehr weit in die Tiefe gehen, was zuletzt beispielsweise Jörg Metelmann in seiner Haneke-Monographie „Zur Kritik der Kino-Gewalt“ geleistet hat.

In einem Sammelband, in dem der Platz für einzelne Beiträge formatbedingt etwas knapper bemessen ist, wird es dagegen schwieriger sein, Hanekes Eigeninterpretationen durch andere produktive Fragestellungen zu bereichern oder dem Leser gar alternative Ansätze anzubieten. So bildet die Wiederholung der Thesen, die wir schon aus den diversen Interviews des Meisters kennen, den Kernstein vieler Beiträge, die unter dem Titel „Michael Haneke und seine Filme“ versammelt sind. Der Hang zur (heilsamen) Provokation, die Thematisierung der allgemeinen Gefühlskälte, die Verweigerung der einfachen Schuldzuweisungen und Erklärungsmodelle – all das sind Stichwörter, die durch das Buch geistern und vom Autor zum Autor weitergegeben werden, zum ersten Mal aber schon im Gespräch mit dem Regisseur erklingen, das dem Band vorangestellt ist. Die Artikel haben dann vor allem die Funktion, die bekannten Leitsätze etwas auszuführen und mit Beispielen aus den Filmen zu illustrieren. Das ist eine willkommene Quelle für jeden, der das Haneke-Werk besser verstehen möchte und dabei etwas mehr „Anschauungsmaterial“ braucht.

Doch bleiben die Beobachtungen der Autoren oft auf der Oberfläche bzw. gehen nicht über das hinaus, was vom Regisseur selbst bereits postuliert wurde. Manchmal scheint der Respekt vor Hanekes Wort einfach zu groß zu sein, um der Interpretation eine innovative Wendung zu geben. Eine besondere Bereicherung für den Band stellt allemal der Beitrag von Georg Seeßlen dar, in dem er Hanekes Erzählstil als „anti-mythisch“, „anti-psychologisch“ und „anti-melodramatisch“ zu definieren versucht. Dabei konzentriert er sich sehr stark auf die formale Gestaltung der Filme und schafft damit eine handfestere Argumentationsgrundlage, als manche seiner Kollegen, die die intensive Interaktion zwischen Haneke und dem Publikum auf die „Wahrhaftigkeit“ der Inszenierung zurückführen.

Zu der Gesamtkonzeption des Bandes bleibt zu sagen, dass alle wichtigen Stationen von Hanekes Schaffen berücksichtigt werden. Eine besondere Gewichtung innerhalb des Buches bekommt die „Vergletscherungs“-Trilogie („Der Siebente Kontinent“, „Benny’s Video“, “ 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls“) und sein vermutlich verstörendstes Werk „Funny Games“. Das Interesse der Autoren gilt auch dem Kinoerfolg „Die Klavierspielerin“ (einer der Aufsätze macht eine interessante Gegenüberstellung zwischen dem Film und dem gleichnamigen Roman von Elfriede Jelinek, der Haneke als Vorlage diente) sowie „Code Inconnu“. Aber auch einer der weniger „typischen“ Haneke-Arbeiten, wie die Verfilmung von Kafkas „Schloss“ wird in einem Beitrag ausführlich behandelt. Schließlich findet die neueste Produktion „Caché“ ebenfalls den Eingang in den Band. Wer sich also einen Gesamteindruck von Hanekes Werk verschaffen möchte, findet hier nützliche Anregungen und Informationen. Dass auch nach der Lektüre viele Fragen offen bleiben, entspricht durchaus dem Geist des Regisseurs, der jede Eindeutigkeit der filmischen Aussage bewusst vermeidet.

Christian Wessely, Gerhard Larcher, Franz Grabner (Hrsg.)
Michael Haneke und seine Filme
Eine Pathologie der Konsumgesellschaft

Marburg: Schüren 2005
376 Seiten (brochiert)
24,90 Euro

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