Blutige Exzesse und gemütliche Spießerfreuden

Dass man sich auch heute noch von Hitler als Leinwandfigur faszinieren lässt, haben neulich zwei restlos ausverkaufte Vorstellungen von Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ im Berliner Zeughaus-Kino gezeigt. Einer der Gründe mag dabei derselbe sein, der zahlreiche Besucher in die Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ im Deutschen Historischen Museum lockte, die den eigentlichen Anlass für diese Filmvorführung lieferte: Man wollte über Hitler erfahren, „wie er wirklich war“. Paradoxerweise – und das führt die Monografie von Alexandra Hissen, die sich dem Bild des Diktators im deutschsprachigen Film widmet, deutlich vor Augen, – geraten wir umso stärker in den Sog der Mythen, je mehr wir uns durch das Studium der Quellen dem historischen Hitler zu nähern glauben. Der Mensch Adolf Hitler verschwindet völlig hinter seinen eigenen medialen Selbstinszenierungen.

Betreffend die Authentizität unterscheidet sich der „dokumentarische“ Hitler, wie wir ihn bei Riefenstahl vorfinden, also kaum grundlegend von den späteren „fiktionalen“ Neuauflagen. Was wir aus diesen Repräsentationen jedoch an historischem Wissen gewinnen können, ist das bessere Verständnis der Epoche, in der die jeweiligen Bilder entstehen. Denn jede Generation der Deutschen, wie Hissen in ihrer Studie beweist, schafft sich einen eigenen Hitler. Oder gleich mehrere. Man pendelt dabei zwischen Psychologisierung und Dämonisierung, zwischen bitterem Ernst und Groteske, zwischen vulgärem Realismus und radikalem Experiment. Dabei muss die Autorin immer wieder feststellen, wie schwierig es ist, Hitler distanziert zu betrachten und die mythologische Dimension zu verlassen.

Ein möglicher ästhetischer Weg besteht aus ihrer Sicht im bewussten Verzicht auf den Authentizitätsanspruch. Ein frühes Paradebeispiel dafür liefert Ulli Lommel mit seiner Komödie „Adolf und Marlene“ (1977), die uns nicht nur den ersten und einzigen schnurbartlosen Hitler der deutschen Filmgeschichte präsentiert, sondern ihn auch gleich als einen gewöhnlichen Spießer porträtiert, der sich fast jede menschliche Regung, einschließlich Verliebtheit in Marlene Dietrich, leisten kann. Damals grenzte dies an einen Tabubruch, denn die Entdämonisierung der Führer-Figur bedeutete auch eine unbequeme Reformulierung der Schuldfrage: Wenn Hitler über keine übermenschlichen Qualitäten verfügt, heißt das nicht, dass die Kriegsgeneration vielleicht doch eine Chance gehabt hatte, seinem Einfluss zu widerstehen?

Je mehr man sich jedoch historisch von der Kriegszeit entfernt, desto weniger heikel werden offenbar solche Überlegungen, denn die Untergrundfilme der Achtzigerjahre bringen eine ganze Reihe respektloser und ganz und gar uncharismatischer Hitler-Darstellungen. Man erinnere sich beispielsweise an „Blutige Exzesse im Führerbunker“ (1982) von Jörg Buttgereit oder „100 Jahre Adolf Hitler. Die letzte Stunde im Führerbunker“ (1989) von Christoph Schlingensief. Man versucht sich auf eine emotionale Weise mit den traumatischen Seiten der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen und trifft ausgerechnet mit anarchischen Bildern jene irrationalen Wurzeln, die möglicherweise mit anderen ästhetischen Mitteln nicht aufzuspüren wären. Einen ganz anderen Weg schlägt das viel diskutierte und gefeierte historische Drama „Der Untergang“ (2004) von Oliver Hirschbiegel ein, das vorgibt, dem Publikum zum ersten Mal einen „authentischen“ Hitler zu präsentieren. Leider, wie die Autorin überzeugend erläutert, bleibt gerade dieser Versuch in der althergebrachten Hitler-Mythologie verhaftet und führt dem Zuschauer einen Diktator vor, der sowohl gefällig die sentimentalen Bedürfnisse befriedigt als auch bequemerweise das fatalistische Geschichtsbild bestätigt. Kein Wunder, dass ein solcher Film nicht nur Polemik auslöst, sondern auch die filmischen Gegenentwürfe provoziert, wie „Mein Führer“ (2007), der von dem jüdischen Regisseur Dani Levy mit Helge Schneider in der Hauptrolle explizit als eine Parodie auf „Der Untergang“ angelegt wurde.

Insgesamt leistet Alexandra Hissen eine fundierte, sorgfältig recherchierte Darstellung der Hitler-Erscheinungen auf der deutschen Leinwand, wobei sie diese analytisch hinterfragt und in den gesellschaftshistorischen Kontext einbettet. Dem Buch ist allerdings anzumerken, dass es als eine Disserationsschrift entstanden ist, und zwar leider nicht nur am hohen Reflexionsniveau, sondern auch an der etwas gleichförmigen Struktur und vielen Wiederholungen und Zusammenfassungen, die den akademischen Gepflogenheiten sehr wohl entsprechen, bei einer „privaten“ Lektüre aber als etwas schwerfällig empfunden werden können.

Alexandra Hissen
Hitler im deutschsprachigen Spielfilm nach 1945. Ein filmgeschichtlicher Überblick.
Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2010
304 Seiten (Taschenbuch), 28,50 Euro

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