Berlinale 2011 – Khodorkovsky vs. Putin

Dass Russland es nicht immer so genau mit den Menschenrechten nimmt, ist ein offenes Geheimnis. Dass Russland noch eine recht junge Wirtschaftmacht ist, ist ebenfalls bekannt. Weniger bekannt hingegen ist die Tatsache, dass Ex-Präsident und aktueller Ministerpräsident Putin einen persönlichen Feldzug gegen jene führt, die das Land vom Sozialismus in den Kapitalismus getragen und davon persönlich profitiert haben. Der bekannteste und größte Profiteur dieser Entwicklung ist wohl Mikhail Khodorkovsky, dem die gleichnamige Doku „Khodorkovsky“ auf den Zahn fühlt. Zu sechs Jahren Haft wurde Khodorkovsky verurteilt, dahinter vermutet wird ein Staatskomplott unter der Führung Putins, der Khodorkovskys Firma Yukos einst die russischen Ölquellen verkaufte, allerdings die Notbremse zog, als sich das Geschäft  internationalisieren sollte, und Khodorkovsky und all die anderen Oligarchen fortan verfolgt. Der deutsche Regisseur Cyril Tuschi macht daraus eine Art Wirtschaftskrimi, der nicht nur Wegbegleiter Khodorkovskys zu Wort kommen lässt, die größtenteils ins Ausland geflüchtet sind und mit Haftbefehl von Interpol gesucht werden, sondern auch Politiker wie Joschka Fischer oder den ehemaligen russischen Wirtschaftsminister. „Khodorkovsky“ zeichnet ein düsteres Bild vom Turbokapitalismus, der dem noch jungen Russland zwar wirtschaftliche Stärke verlieh, dessen Privatisierung sich aber – geht es nach dem Kreml – als Fehler herausstellte. Dabei überrascht es immer wieder, wie schnell hier Geld zu machen war; Summen, die selbst für westliche Firmen Traumzahlen bleiben.

Khodorkovsky blieb jedoch stets auf dem Boden, wie die Interviewten bestätigen, hielt sich meist im Hintergrund, auch wenn er einen Wandel vom überzeugten Kommunisten zum Kapitalisten vollzog. Erst später organisierte er sich in der Opposition, was einen weiteren Grund für Putins Rachefeldzug markiert. Die Fehler, die auf beiden Seiten gemacht wurden, beleuchtet Tuschi anfangs noch – sein Film ist immer wieder nicht nur Porträt über Mikhail Khodorkovsky, sondern auch ein Porträt über das Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Wie kam es zum Aufschwung und zum urplötzlichen Kapitalismus, was denken Politiker von damals heute darüber? Tuschi ist sehr bemüht, Khodorkovsky nicht als Märtyrer darzustellen, sondern hinterfragt dessen Motivation durchaus auch. Natürlich ist es schwer, Zugang zu einem Gefangenen und einem Präsidenten zu finden, der nie erreichbar für die Presse ist. Dennoch ist „Khodorkovsky“ gerade dann am stärksten, wenn er Kenner der Szene zu Wort kommen lässt, die sich bisweilen um Kopf und Kragen reden. Zwischendrin gibt es immer wieder Archivmaterial zu sehen, gepaart mit animierten Sequenzen, wie man sie aus aktuellen Dokumentationen kennt und schätzt. Es steckt viel Arbeit in diesem Film, das sieht man ihm zu jeder Sekunde an. Kurz vor der Premiere auf der Berlinale soll die Kopie gestohlen worden sein, allerlei Gerüchte beherrschten die Presse. Es verwunderte angesichts der Thematik und der Brisanz nicht, steckten Staatsmächte dahinter.

Cyril Tuschis Film ist nämlich eine eiskalte Abrechnung nicht nur mit Putins Russland, sondern auch mit dem Turbokapitalismus als solchem. Welch starken und wichtigen Film Tuschi geschaffen hat, sieht man dann auch gegen Ende, wenn Joschka Fischer das Interview beendet oder Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder – heute ein guter Freund Putins – das Ganze in Archivaufnahmen als eine „Sache zwischen Männern“ verteidigt. Eine Sache zwischen zwei Männern, ein Duell auf Freiheit und Verfolgung, ist das aber schon lange nicht mehr, nein. „Khodorkovsky“ ist eine Dokumentation, wie man sie sich wünscht: kraftvoll erzählt, spannend wie ein Thriller und in seinem Sujet von unglaublicher Brisanz und Wichtigkeit. Deutsches Filmfördergeld, das besser kaum angelegt sein könnte.

Khodorkovsky
(Deutschland 2011)
Regie: Cyril Tuschi; Drehbuch: Cyril Tuschi; Kamera: Peter Dörfler, Eugen Schlegel, Cyril Tuschi; Schnitt: Salome Machaidze, Cyril Tuschi
Länge: 111 Minuten
Verleih: Farbfilm-Verleih

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