Fragt man den durchschnittlichen US-amerikanischen Blockbusterkinogänger über Deutschland oder speziell Berlin aus, dürfte man wohl alle Klischees zu hören bekommen, die Jaume Collet-Serra uns in seinem Actionthriller „Unknown Identity“ buchstäblich vor den Latz knallt. Deutsche Krankenschwestern heißen in seinem Film nämlich Gretchen Erfurt, Ex-Stasi-Agenten, die vom wohl prägnantesten Hitler-Darsteller, Bruno Ganz, verkörpert werden, haben Kontakt zum Berliner Flughafensicherheitsdienst und sowieso hat Berlin ein großes Illegalen- und Migrantenproblem. Das ist wohl weniger die Weltsicht von Regisseur Collet-Serra, als vielmehr die Sicht auf die Dinge, wie sie Produzent Joel Silver in seinen Filmen immer wieder zum Besten gibt. Liam Neeson dürfte damit wohl am wenigsten ein Problem gehabt haben, dreht er in letzter Zeit doch ohnehin nur noch Actionfilme, in denen er sich zugegeben recht gut schlägt – allen voran für sein Alter. Und auch für Diane Kruger ist es eine Rolle, die sie einmal mehr in ihre Heimat bringt. „Unknown Identity“ ist aber nicht nur wegen Diane Kruger, Bruno Ganz oder Sebastian Koch ein Film mit Lokalkolorit, sondern in erster Linie deshalb, weil der Hauptdarsteller hier ganz klar Berlin heißt. „Berlinale 2011 – Gretchen Erfurts Berlin“ weiterlesen
Berlinale 2011 – Khodorkovsky vs. Putin
Dass Russland es nicht immer so genau mit den Menschenrechten nimmt, ist ein offenes Geheimnis. Dass Russland noch eine recht junge Wirtschaftmacht ist, ist ebenfalls bekannt. Weniger bekannt hingegen ist die Tatsache, dass Ex-Präsident und aktueller Ministerpräsident Putin einen persönlichen Feldzug gegen jene führt, die das Land vom Sozialismus in den Kapitalismus getragen und davon persönlich profitiert haben. Der bekannteste und größte Profiteur dieser Entwicklung ist wohl Mikhail Khodorkovsky, dem die gleichnamige Doku „Khodorkovsky“ auf den Zahn fühlt. Zu sechs Jahren Haft wurde Khodorkovsky verurteilt, dahinter vermutet wird ein Staatskomplott unter der Führung Putins, der Khodorkovskys Firma Yukos einst die russischen Ölquellen verkaufte, allerdings die Notbremse zog, als sich das Geschäft internationalisieren sollte, und Khodorkovsky und all die anderen Oligarchen fortan verfolgt. Der deutsche Regisseur Cyril Tuschi macht daraus eine Art Wirtschaftskrimi, der nicht nur Wegbegleiter Khodorkovskys zu Wort kommen lässt, die größtenteils ins Ausland geflüchtet sind und mit Haftbefehl von Interpol gesucht werden, sondern auch Politiker wie Joschka Fischer oder den ehemaligen russischen Wirtschaftsminister. „Khodorkovsky“ zeichnet ein düsteres Bild vom Turbokapitalismus, der dem noch jungen Russland zwar wirtschaftliche Stärke verlieh, dessen Privatisierung sich aber – geht es nach dem Kreml – als Fehler herausstellte. Dabei überrascht es immer wieder, wie schnell hier Geld zu machen war; Summen, die selbst für westliche Firmen Traumzahlen bleiben. „Berlinale 2011 – Khodorkovsky vs. Putin“ weiterlesen
Berlinale 2011 – Blaubeuren
Es gibt in Werner Herzogs „Cave of Forgotten Dreams“ einen Moment, der stellvertretend für den gesamten Film steht: Es ist ein Moment, der aus nur einem Wort besteht, das zwar nicht kurz ist, aber das Herzog – der seinen Film einmal mehr selbst erzählt – so irrwitzig betont und in die Länge zieht, dass man zumindest um ein Schmunzeln nicht herumkommt: „Blaubeuren“. Herzog spricht den Namen der schwäbischen Kleinstadt in der Nähe Ulms so präzise und überspitzt genau aus, weil er genau weiß, dass sein internationales Publikum diesen Namen als belustigend erachten wird. Eine Entdeckung, die von so großer kulturhistorischer Bedeutung für die Menschheit ist, wird ausgerechnet in diesem Kaff auf der Schwäbischen Alb gefunden?
Berlinale 2011 – Rollenspiele
Die Deutschen machen es sich nicht leicht mit ihren Filmen über das Dritte Reich. In den meisten Fällen endet es in einer Selbstbemitleidung, die die Verbrechen auf Partei und SS schiebt und das gemeine Volk in die Opferrolle drängt. Meist rühmt man sich dann auch noch mit der Tatsache, dass alles von Historikern abgesegnet wurde und zu einhundert Prozent der Wahrheit entspricht. Inmitten dieser Produktionen, die mit Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ zwar einen Filmemacher fand, der sich zumindest etwas Satire zutraute, letztlich aber doch den Konventionen verfiel, sticht Wolfgang Murnbergers „Mein bester Feind“ lobenswert heraus.
Berlinale 2011 – Let’s Dance!
Dass ein Dokumentarfilm – und zu diesem Genre zählt Wim Wenders‘ „Pina“ – nicht immer eine stringente Erzählung oder gar einen Handlungsbogen besitzt, liegt in der Natur der Sache. Es ist einer Doku daher aber umso höher anzurechnen, wenn sie es schafft, aus einem Sujet, das für den Rezipienten bis dahin nicht von Interesse war, das Maximale rauszuholen und ihn doch bis zu einem gewissen Grade involviert. Nur ist das bei „Pina“ leider nicht der Fall.
Berlinale 2011 – New Historicism
Eine moderne Inszenierung eines klassischen Stoffes ist nicht immer im Sinne der Zuschauer. Die „geupdateten“ Fassungen spalten das Publikum meist in zwei Lager: die Puristen, die einen Stoff so aufbereitet sehen wollen, wie es ursprünglich intendiert war und die Modernisten, die eine an die aktuelle Zeit angepasste Fassung stets willkommen heißen. Ralph Fiennes „Coriolanus“ ist eigentlich ein Stück aus der Feder Shakespeares (wobei wir das ja nie so sicher sagen können), eine Tragödie, die in seinem Oeuvre nicht besonders hervorsticht, auch, weil hier alles seinen gewohnten Gang geht: Verrat, Kampf, Pathos, Intrigen und Gewalt.
Berlinale 2011 – Coming-of-Age in der Finanzkrise
Das ganze Bankensystem sei amoralisch, sagt Jeremy Irons auf der Pressekonferenz zu „Margin Call“, vergisst dabei aber, dass nicht nur die gesamte US-Wirtschaft davon abhängig ist, sondern die Weltwirtschaft allgemein. Ohne Männer, die jeden Tag mit Millionen zocken, gäbe es keinen Wohlstand, ohne Wohlstand würde Krieg herrschen. Das behauptet Paul Bettanys Figur Will Emerson, wenn er einen jungen Nachwuchsbanker in seinem 170.000 Dollar teuren Sportwagen durch die Gegend kutschiert. Keiner will, dass das Leben fair ist, denn dann verlierst du deinen eigenen Wohlstand.
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Berlinale 2011 – Geschichtsausbeutung
Lee Tamahori hat sich nach seinem mit viel Anerkennung bedachten „Die letzte Kriegerin“ vor allem mit Hollywood-Filmen und einer James-Bond-Verfilmung einen Namen gemacht. Er ist das, was man umgangssprachlich einen „Jobber“ nennt: Er betrachtet das Filmemachen als Job und kommt so gut wie jedem Auftrag nach. Behält man also die Tatsache im Hinterkopf, dass Tamahori quasi ein Mann der großen Studios ist, dann ist es umso erstaunlicher, welche Show er in „The Devil’s Double“ abzieht. „Berlinale 2011 – Geschichtsausbeutung“ weiterlesen
Berlinale 2011 – Neo-Comic-Remake-Western
Mit Western und period pieces im Allgemeinen, ist es immer so eine Sache: Entweder man versucht auf jedes Kostüm und jeden Akzent zu achten oder man schert sich erst gar nicht darum und verkehrt die Topoi sogar. Bei „True Grit“ ist das größte Problem, das er sich nicht entscheiden kann, welche Richtung er eigentlich einschlagen will. Da präsentieren uns die Coen-Brüder tolle Landschaftsaufnahmen, die Kameramann Roger Deakins perfekt in Szene zu setzen weiß, lassen Jeff Bridges einen Akzent sprechen, der brutaler kaum sein könnte und zeigen Männer, die noch Männer sind. Und dazwischen: ein cooler Spruch nach dem anderen, der mindestens so locker über die Lippen kommen soll wie der Colt aus dem Holster gezogen wird.