Berlinale 2011 – New Historicism

Eine moderne Inszenierung eines klassischen Stoffes ist nicht immer im Sinne der Zuschauer. Die „geupdateten“ Fassungen spalten das Publikum meist in zwei Lager: die Puristen, die einen Stoff so aufbereitet sehen wollen, wie es ursprünglich intendiert war und die Modernisten, die eine an die aktuelle Zeit angepasste Fassung stets willkommen heißen. Ralph Fiennes „Coriolanus“ ist eigentlich ein Stück aus der Feder Shakespeares (wobei wir das ja nie so sicher sagen können), eine Tragödie, die in seinem Oeuvre nicht besonders hervorsticht, auch, weil hier alles seinen gewohnten Gang geht: Verrat, Kampf, Pathos, Intrigen und Gewalt.

Nun ist Fiennes‘ Film nicht der erste, der für einen klassischen Stoff nicht nur eine moderne Filmsprache wählt, sondern auch ein modernes Setting. Wir befinden uns nicht etwa im alten Rom, sondern in einer modernen Version Roms, das gut und gerne einen fiktiven Staat in der Welt, wie wir sie heute kennen, darstellen könnte. Es gibt keine Schilde und Schwerter, sondern Messer und Gewehre. Was sich anfangs noch als Actionfilm zu etablieren versucht, wird schnell zu klassischem Shakespeare, der auch mit modernem Anstrich funktioniert. Dies vor allem deshalb, weil Fiennes seine Darsteller die Originaltextpassagen wiedergeben lässt und die formal-visuelle Ebene dabei sekundär wird. „Coriolanus“ ist dann auch all das, was Shakespeares Original ist: der Film ist brutal, pathetisch, lang und ziemlich zäh, aber genau hierin liegt auch seine Stärke, denn Fiennes versteht es außerordentlich gut, damit zu verdeutlichen, dass ebendiese Adverbien Shakespeare treffend beschreiben. Natürlich kann er es sich nicht nehmen lassen, einige Spielereien einzubauen oder mit schrecklichem Overacting für unfreiwillige Komik zu sorgen.

Jene, die den Saal der Pressevorführung aber bereits nach 30 Minuten verließen – und das waren nicht gerade wenig –, outen die sich damit quasi als Shakespeare-Verächter oder zumindest nicht als Connoisseure? Fiennes macht mit seiner filmischen Inszenierung nichts anderes als den Umschreibungen ein optisches Erscheinungsbild zu geben. Ferner ist seine Modernisierung insofern auch interessant, als sie den New-Historicism-Diskurs aufgreift, der zu Shakespeare gehört wie das obligatorische Blutbad am Ende. Sein Setting macht ganz klar deutlich, wie zeitlos Shakespeares Geschichten sind und wie sie auch heute immer wieder zu finden sind. „Coriolanus“ ist ein Film über Bürgerkrieg, über befeindete Clans, die um die Vorherrschaft im Land kämpfen. Er zeigt, wie in vielen Fällen noch immer Familienfehden ausgetragen werden, die ein ganzes Volk ins Verderben treiben können. Wie falsches Ehrgefühl und Rachegelüste ins den Untergang führen können. Es ist kein wirklich guter Film, wenn man ihn als eigenständiges filmisches Werk betrachtet, aber die Tatsache, dass Fiennes dieses Unterfangen auf sich nimmt und in Ansätzen einen intellektuellen Umgang mit Shakespeare verwirklichen kann, ist ihm hoch anzurechnen.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.