Fragt man den durchschnittlichen US-amerikanischen Blockbusterkinogänger über Deutschland oder speziell Berlin aus, dürfte man wohl alle Klischees zu hören bekommen, die Jaume Collet-Serra uns in seinem Actionthriller „Unknown Identity“ buchstäblich vor den Latz knallt. Deutsche Krankenschwestern heißen in seinem Film nämlich Gretchen Erfurt, Ex-Stasi-Agenten, die vom wohl prägnantesten Hitler-Darsteller, Bruno Ganz, verkörpert werden, haben Kontakt zum Berliner Flughafensicherheitsdienst und sowieso hat Berlin ein großes Illegalen- und Migrantenproblem. Das ist wohl weniger die Weltsicht von Regisseur Collet-Serra, als vielmehr die Sicht auf die Dinge, wie sie Produzent Joel Silver in seinen Filmen immer wieder zum Besten gibt. Liam Neeson dürfte damit wohl am wenigsten ein Problem gehabt haben, dreht er in letzter Zeit doch ohnehin nur noch Actionfilme, in denen er sich zugegeben recht gut schlägt – allen voran für sein Alter. Und auch für Diane Kruger ist es eine Rolle, die sie einmal mehr in ihre Heimat bringt. „Unknown Identity“ ist aber nicht nur wegen Diane Kruger, Bruno Ganz oder Sebastian Koch ein Film mit Lokalkolorit, sondern in erster Linie deshalb, weil der Hauptdarsteller hier ganz klar Berlin heißt.
Immer wieder schwebt Collet-Serras Kamera über die Straße des 17. Juni, über das Brandenburger Tor und die Siegessäule. Die Stadt scheint es dem Regisseur angetan zu haben, das wird schnell deutlich. Einmal in Berlin angekommen, geht die Zerstörung selbiger dann auch schon los. „Unknown Identity“ legt ein hohes Tempo vor, das es bis zum Ende hin eigentlich konstant halten kann. Gibt es Pausen bei Neesons Identitätsfindung, dann nur für humoristische Einlagen, die vor allem beim gemeinen deutschen Zuschauer gut ankommen, was der Szenenapplaus in der Berlinale-Pressevorführung, den es hier zum ersten Mal gab, eindrucksvoll bestätigt. Das Lokalkolorit zieht sich nämlich wie ein roter Faden durch den Film. Jedem, der sich auch nur wenige Tage in Berlin aufhielt, kommt das alles bekannt vor, meist stand mal selbst schon an dieser und jener Ecke. Da läuft Liam Neesons Figur beispielsweise durch die U-Bahn-Station und man kann sich nicht etwa auf die Szene selbst konzentrieren, sondern fragt sich stets, wann und wo genau diese Szene gedreht wurde – und warum man nicht selbst als Statist mitgemacht hat. Ja, die Berliner lieben ihre Stadt, das merkt man auch als Außenstehender ziemlich schnell.
Vielleicht liegt darin auch die Tatsache begründet, dass das Berlinale-Publikum einen solch großen Spaß hatte, wenn der Film zur Destruktion der Stadt aufruft. „Unknown Identity“ bietet wilde Verfolgungsjagden, einen Crash in die kalte Spree und nicht nur Taxis, sondern auch LKWs mit Berliner Bier müssen im Laufe des Filmes dran glauben. Am Ende geht es dann sogar noch einem Berliner Wahrzeichen an den Kragen – ein Konsequenter Höhepunkt dieses spaßigen und temporeichen Thrillers. Collet-Serra reichert diese over-the-top-Actionsequenzen dann auch noch mit reichlich Elementen an, die man aus dem Horrormetier kennt, aus dem er ja schließlich kommt: extreme Farbfilter, schnelle Schnitte und eine Story rund um Identitätsfindung, die – das muss man dem Film bei all seiner vermeintlichen Trivialität lassen – so nicht vorhersehbar ist. „Unknown Identity“ ist ein Film, wie man sich ihn ob des deutschen Geldes, das darin steckt, wünscht: viel Lokalkolorit, deutsche Schauspielgrößen (auch wenn Stipe Erceg in der Tat verschenkt ist) und eine gehörige Portion selbstreflexiven Humors. Ein etwas anderer Imagefilm für die (Film-)Stadt Berlin, der zugleich ein Schlag ins Gesicht für alle anderen deutschen Wettbewerbsbeiträge ist.
Unknown Identity
(USA/Deutschland/Frankreich/Japan/Kanada 2011)
Regie: Jaume Collet-Serra; Drehbuch: Oliver Butcher, Stephen Cornwell; Kamera: Flavio Martínez Labiano; Schnitt: Timothy Alverson; Länge: 113 Minuten; Verleih: Kinowelt