Berlinale 2011 – Geschichtsausbeutung

Lee Tamahori hat sich nach seinem mit viel Anerkennung bedachten „Die letzte Kriegerin“ vor allem mit Hollywood-Filmen und einer James-Bond-Verfilmung einen Namen gemacht. Er ist das, was man umgangssprachlich einen „Jobber“ nennt: Er betrachtet das Filmemachen als Job und kommt so gut wie jedem Auftrag nach. Behält man also die Tatsache im Hinterkopf, dass Tamahori quasi ein Mann der großen Studios ist, dann ist es umso erstaunlicher, welche Show er in „The Devil’s Double“ abzieht.

Der Film, der auf den Erlebnissen des Uday-Saddam-Hussein-Doubles Latif Yahia basiert, versucht zumindest zu Beginn noch einen gewissen Anspruch auf Faktentreue geltend zu machen. Wir sehen Archivbilder aus dem ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak. Es wird gekämpft, junge Männer wie Latif Yahia (Dominic Cooper) wollen für ihr Land jeden Tropfen Blut geben. Schnell werden diese unscharfen Bilder aber durch extreme Farbfilter ersetzt, die versuchen die Hitze der Wüste und die Geschliffenheit des Präsidentenpalastes zu verbildlichen. Auf formaler Ebene zeichnet sich der Weg, der eingeschlagen wird – nämlich der Weg von der historischen Wirklichkeit hin zur losgelösten comichaften Übertreibung – also schon ziemlich früh ab. Inhaltlich dürfte die Richtung spätestens dann offensichtlich werden, wenn zwei ostdeutsche Ärzte das Double buchstäblich auf Herz und Nieren untersuchen und sich dabei in ziemlich schlechtem Deutsch über ihren letzten Leipzig-Besuch unterhalten. Was folgt, sind Snuff- und Foltervideos, vermeintliche Videoaufnahmen von Uday selbst, die man so sonst nur aus „Emanuelle in America“ oder sonstigen Filmen aus der Exploitation-Blütezeit kennt.

Statt sich jedoch in die Niederungen dieser zu begeben, versucht „The Devil’s Double“ stets parallel die ernste und durchaus auch dramatische Geschichte des Doppelgängers Latif Yahia zu erzählen, der natürlich ganz unfreiwillig in diese Rolle geriet. Zwar wird dies vor allem gegen Ende etwas kritisch, weil man Tamahoris Film bereits nach der Hälfte der 108 Minuten nicht mehr ernst nehmen kann, aber er macht doch bis zur letzten Minute Spaß. Etwas, was man nicht von allzu vielen Biopics sagen kann, wobei man „The Devil’s Double“ wohl auch als letztes als ein reines Biopic sehen sollte. In erster Linie ist er eine Art Historien-Exploitation, die sich reale historische Gegebenheiten zu nutze macht – ganz in der Tradition der Reichsploitation, die sich das Dritte Reich als Setting für ihre Exploitation nahm. Im Falle von „The Devil’s Double“ muss also der erste Golfkrieg herhalten, später dann auch noch der zweite, der dem Film mit viel Archivmaterial erneut den Anstrich des period piece geben soll. Bevor am Ende jedoch die Texttafel erscheint, die die Klammer schließt und in einem Satz erwähnt, dass Uday 2003 von US-Truppen getötet wurde, feuert Lee Tamahori ein Feuerwerk ab, das man so noch in keinem Film gesehen hat, der solch große Namen beinhaltet. Für einen Mainstream-Film ist „The Devil’s Double“ erstaunlich gut aufgelegt und skurril. Die Exploitation-Momente, die alles andere als rar gesät sind, durchbrechen immer wieder die emotionalen Momente, die leider oftmals doch etwas zu lang (und ernst) geraten sind.

In diesen Momenten ist Tamahoris Film dann auch am besten, weil am ehrlichsten: es wird vergewaltigt, gemordet, geflucht und aufgeschlitzt, als gäbe es kein Morgen. Da fällt dem Sohn des Diktators beispielsweise irgendwann ein, dass seine Gäste im Club sich ja eigentlich ausziehen könnten. Selbiges dachte sich wohl auch Tamahori, wenn er Dominic Cooper und Ludivine Sagnier in eine Sexszene bringt, die man nach all dem bis dahin Gesehenen nicht mehr ernst nehmen kann. Sie wirkt skurril, obwohl an der Inszenierung eigentlich nichts Besonderes ist und erinnert etwas an „Basic Instinct“, der ja auch geschickt zwischen Mainstream und Exploitation pendelte. Auch die Auswahl der 80er-Songs, die in Udays Club in hoher Lautstärke gespielt werden, tragen dazu bei. Es kommt einem alles etwas so vor, als hätte Tamahori mit „The Devil’s Double“ eine Fortsetzung zu „Hot Shots: Part Deux“ gedreht, die zwar weniger klamaukhaft ist, das Treiben in und um den Präsidentenpalast aber ähnlich comichaft zu überzeichnen weiß. Eine Anspielung auf diesen kann sich Tamahori sogar einmal nicht verkneifen, wenn die Kamera in einer kurzen Einstellung auf Saddams lila Hausschuhe zoomt, mit denen er strammen Schrittes neben seinen Leibwächtern marschiert. Auch wenn Namen und Sujet für Gegenteiliges stehen: „The Devil’s Double“ ist kein Film für ein Mainstream-Publikum, das Faktentreue erwartet. Er ist vielmehr für jene, die politische Unkorrektheit lieben und ein Faible für den etwas anderen Film haben: „The Devil’s Double“ ist nämlich nichts anderes als ein Neo-Exploiter im historischen Gewand.

The Devil’s Double
(Belgien 2011)
Regie: Lee Tamahori; Drehbuch: Michael Thomas; Kamera: Sam McCurdy; Schnitt: Luis Carballar; Musik: Christian Henson; Darsteller: Dominic Cooper, Ludivine Sagnier, Raad Rawi, Mem Ferda;
Länge: 108 Minuten
Verleih:

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