Die Idee zu Andres Veiels Spielfilmdebüt, welches die persönlichen Hintergründe zu den Terroranschlägen der RAF in den 70er-Jahren näher beleuchtet, entstand 2008 beim Lesen des Buches „Vesper, Ensslin, Baader: Urszenen des deutschen Terrorismus“ von Gerd Koenen. Veiel wollte nicht wie viele andere Filme einfach deutsche Geschichte aus rein politischer Sicht erzählen, sondern tiefer in die Seele der Aktivisten in einer Zeit des aktiven und radikalen Widerstands blicken, um eine persönliche Perspektive für die etwaigen Gründe des Widerstands in dieser radikalen Form für den Zuschauer zu ermöglichen.
Bernward Vesper (August Diehl) und Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis) lernen sich in den frühen 60er-Jahren an der Universität Tübingen kennen und lieben. Sie beide gründen einen Verlag, doch der erhoffte Erfolg eines Buches bleibt vorerst aus. Gudrun beschließt daraufhin, zuerst ihr Staatexamen zur Volksschullehrerin abzuschließen und parallel die Verlagsarbeit zusammen mit Bernward weiter voranzutreiben. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden ist von Beginn an geprägt durch emotionale Extreme. Bernward nimmt es mit der Treue weniger ernst und Gudrun beginnt ihre innerliche Verletztheit mit körperlichen Schmerzen zu kompensieren.
1964 beschließen sie, einen kompletten Neuanfang zu machen und ziehen nach Berlin. Gudrun erhält ein Stipendium für ihre Doktorarbeit und beide werden in der linken Szene aktiv. Der Vietnamkrieg und Enttäuschungen über die Regierung lässt sie einen stärkeren Widerstand leben. Doch bald entfernen sie sich beide in ihren Ideologien immer mehr voneinander, während Bernward immer nur redet und schreibt, will Gudrun endlich aktiv werden. Sie beginnt sich in der Studentenbewegung der Außerparlamentarischen Opposition zu engagieren. 1968 verlässt sie Ihren Verlobten trotz ihres gemeinsamen neun Monate alten Kindes, um zusammen mit Andres Baader (Alexander Fehling) in den radikalen Untergrund abzutauchen.
Der Film erzählt die Geschichte einer Frau, die sich aktiv dafür einsetzen möchte, gegen die massiven Ungerechtigkeiten und Gesellschafts- und Politikmisstände zu kämpfen. Ihre persönlichen Erfahrungen mit Ihren Eltern, Ihre Beziehung zu Bernward Vesper, Ihre Schlüsselbegegnungen in Ihrem Umfeld und schließlich der für sie schmerzhafte Verlust ihres Kindes markieren in Andres Veiels Kinofilm die Wegmarken für ihren radikalen Wandel im Laufe der Zeit zu einer Hauptfiguren des Widerstandes der R.A.F. in den 60/70er-Jahren. Dabei lässt der Film dem Zuschauer Raum für eigene Fragen, Gedanken und Antworten.
Warum wurde Gudrun Ensslin zu dieser kühlen Frau, was war die Motivation zum Widerstand in dieser extremen Form, welche persönlichen Motive gab es dafür? Warum konnte sie keinen anderen Weg gehen und ihren radikalen Sinn für Gerechtigkeit später nur noch in dieser Form ausdrücken und warum ging Bernward mit den Enttäuschungen zwischen den beiden anders um? Und wann genau wurde Gudrun Ensslin zu dieser ziemlich kühlen und berechnenden Frau?
Andres Veiel schafft es in seinem Film in sehr persönlicher Form eine Geschichte mit tiefen persönlichen Einblicken in die Urprünge des deutschen Terrors in den 60er-Jahren und in das Leben eines der Mitbegründer zu gewähren. Im Gegensatz zum „Baader-Meinhof-Komplex“, der sich mehr auf das politische Geschehen konzentriert, geht „Wer wenn nicht wir“ tiefer und untersucht die menschlichen Hintergründe der Aktivisten und weitere Aspekte des Umfelds. Dabei ist hier auch ein Film produziert worden, der endlich mal wieder nicht mit Filmmusik überschüttet ist, sondern diese sehr sensibel und persönlich einsetzt, wie der Macher des Films betont. Eben wie auch der Film.
„Wer wenn nicht wir“ wird ab Anfang März in die deutschen Kinos zu sehen sein.
Helen Gölz
Wer wenn nicht wir
(Deutschland 2011)
Regie: Andres Veiel; Drehbuch: Andres Veiel; Kamera: Judith Kaufmann; Schnitt: Hansjörg Weißbrich
Darsteller: Lena Lauzemis, August Diehl, Alexander Fehling, Sebastian Blomberg, Susanne Lothar
Länge: 124 Minuten