Mit dem Soundtrack zu Jane Campions „Das Piano“ ist der britische Komponist Michael Nyman Mitte der 1990er-Jahre einem größeren Publikum bekannt geworden. Bis dahin war er vor allem bei Cineasten für seine Zusammenarbeiten mit Peter Greenaway geschätzt, dessen Filmen er akustisch einen ganz individuellen Charakter verliehen hatte: stakkatohafte, teilweise gehetzte rhythmische Strukturen mit einem deutlichen Akzent auf den Blech-Blasinstrumenten, eingängigen Melodien und nicht selten ebenso abrupten Anfängen wie Enden der Stücke. Inspiriert sei der frühe Nyman vor allem durch zwei Alte Meister gewesen: Wolfgang Amadeus Mozart (und dessen „Don Giovanni“) und Henry Purcell. An letzteren lehnt sich sein Soundtrack zu Greenaways „Der Kontrakt des Zeichners“ an, wie er in Interviews betont. Diese und zahlreiche weitere stilistische und werkhistorische Informationen bekommt man als Nyman-Fan und Filmmusikliebhaber nun auf einer Doppel-DVD von Arthouse-Musik geboten.
Neben dem etwa einstündigen Dokumentarfilm „Michael Nyman – Composer in Progress“ findet sich auf der zweiten DVD ein Komplettmitschnitt des Konzerts, das die Michael-Nyman-Band 2009 in Halle gegeben hat. Ausschnitte aus diesem Konzert werden im Dokumentarfilm aufgegriffen, sodass man erst durch das Anschauen beider Filme einen tiefen Einblick in die Arbeit Nymans erhält. Der Komponist, der wie kaum ein anderer der „Neuen Musik“ die Brücke von der Klassik zur Popmusik zu schlagen weiß, erzählt in Silvia Becks Film von seinem musikalischen Werdegang, der als Kind mit dem Hören von Jazz im Radio begann, ihn dann über die Musikkritik und die daraus folgende Verzweiflung, für den eigenen musikalischen Stil keinen Ausdruck zu finden, mit dem Komponisten Steve Reich zusammen führte, bis hin zur Komponistenkarriere für den Film ab Ende der 1970er-Jahre.
Die musikalischen Weggefährten von Steve Reich über Volker Schlöndorff bis Karsten Nicolai – mit dem er im letzten Jahr in Berlin zusammen aufgetreten war – kommen im Film ebenfalls zu Wort. Etwas verwundert es allerdings, dass ausgerechnet Peter Greenaway ausgespart bleibt, kreuzen sich die musikalischen und die filmästhetischen Motive beider Künstler doch deutlich (wie sich allein am Faible für Vögel zeigt, die beim frühen Greenaway und „späten“ Nyman eine Hauptrolle spielen). Umso detaillierter werden dafür künstlerische Details aus Nymans Zusammenarbeit mit seiner Band ins Bild gerückt. Seine Musiker berichten sowohl von ihrer Rolle bei der Komposition der Stücke als auch von den Qualen des exzessiven Wiederholens von Phrasen in den Stücken Nymans, die auch schon einmal Schmerz und Blut hervorbringen.
Dass bei alledem viel Musik von Nyman zu hören ist, macht den Genuss beider DVDs aus. Und gerade weil der Komponist nicht nur für seine Filmmusiken bekannt ist, sondern seine Musik durch die Zusammenarbeit mit Filmemachern auch deutlich filmisch geprägt ist, finden sowohl der Konzertmitschnitt als auch der Dokumentarfilm scheinbar unbewusst immer wieder einen Montage- und Erzählrhythmus, der sich der Musik Nymans anpasst. Dass vor allem der Dokumentarfilm Silvia Becks dadurch eine ganz eigene cineastische Qualität erreicht und sich vom bloßen Dokumentieren entfernt, macht ihn auch mehrmals anschaubar. Man kommt nicht umhin anzunehmen, dass in der Neuen Musik (das zeigt neben Nyman vor allem Philip Glass und bei diesem mehr die Dokumentarfilmmusiken als die zu Spielfilmen) die besondere Eigenschaft liegt, Bildern eine größere Tiefe zu verleihen und so mit Hilfe der Akustik die Optik erst ins rechte Licht zu setzen.
Michael Nyman – Composer in Progress
(D 2010)
Regie: Silvia Beck; Buch: Silvia Beck, Oliver Becker; Kamera: Michael Boomers, Ton: Andreas Köppen
Mit: Michael Nyman, Steve Reich, Volker Schlöndorff, Karten Nicolai u.a.
Länge: 59 Minuten
Verleih: Arthaus-Musik
Michael Nyman – In Concert
(D 2009)
Regie: Eva Kohlweyer; Kamera: Volker Striemer; Ton: Paul Spong
Mit: Michael Nyman und Band
Länge: 85 Minuten
Verleih: Arthaus-Musik
Die DVD von Arthaus-Musik
Bild und Ton beider DVDs liegen in der bestmöglichen Qualität vor und lassen insbesondere die Konzert-DVD in einem hellem Licht erstrahlen. Dass beide DVDs nur wenige Extras enthalten, kommt angesichts der geringeren Kompressionsrate der Qualität noch entgegen. Zu beiden DVDs gibt es zudem umfangreiche und gut bebilderte Booklets, die Essays und Produktionsinformationen in Deutsch, Englisch und Französisch enthalten.
Die Ausstattung der DVDs:
Laufzeit: 138 min
Bildformat: 16:9
Soundformat: PCM Stereo, Dolby Digital 5.1, DTS 5.1
Sprache: Englisch
Untertitel: Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch
Preis: 46,99 Euro