In Kroatien, auf dem Berg, hinter dem Wald

Der französische Horrorfilm unterhält ein interessantes und spannungsgeladenes Verhältnis zum Balkan – und insbesondere zur dortigen Familienkultur, wie sich zuletzt am 2006 erschienenen „Ils“ gezeigt hat: Verwahrloste rumänische Kinder machen Jagd auf harmlose französische Erwachsene. In „Vertige“ sind es noch junge Franzosen, die dieses mal von einem kroatischen Kindskopf gejagt werden – ein erwachsener Mann, der, wie sich im Abspann herausstellt, als Kind in Kroatien entführt und auf einen einsamen Berg verschleppt wurde, wo ihm kaum etwas anderes übrig blieb, als verrückt & Kannibale zu werden.

Doch „High Lane“, wie der Film international betitelt wurde, beginnt zunächst nicht als Horrorfilm, sondern als Bergsteiger-Beziehungskiste. Die fünf jungen Leute, zwei Paare und ein Ex-Freund, wollen in der naturbelassenen kroatischen Hinterwelt eine Berg-Tour unternehmen. Der Kletterpfad ist zwar ausdrücklich gesperrt – aber was soll’s? Außer dem etwas feigen Loic sind alle anderen passable Kletterer, und Höhenangst ist nicht das einzige, mit dem Loic zu kämpfen hat: Guillaume, der Ex-Freund seiner mitkletternden Freundin Chloé ist auch mit von der Partie und sorgt für Eifersucht. Das toughe Pärchen  Fred und Carine kennt solche Probleme nicht und prescht voraus. Als die Klettertour durch fehlende und marode Steigeisen jäh unterbrochen wird, sind sie es auch, die freihändig nach oben klettern, um die anderen mit Hilfe eines Seils hinaufzuziehen. Doch oben angekommen, entdecken sie, dass sie nicht die ersten sind, die diesen Berg bestiegen haben.

So unvermittelt, wie sich der ziemlich spannende und in atemberaubenden Bildern erzählte Bergsteiger-Film nach der ersten halben Stunde in einen Backwood-Slasherfilm verwandelt, vergisst er leider auch seine erzählerischen Qualitäten und wandelt auf den reichlich ausgelatschten Kletterpfaden des Backwood-Horror-Kinos. Dass Regisseur Abel Ferry sich als geografischen Hintergrund für seine Story Kroatien aussucht, ist eigentlich völlig beliebig – es könnte auch Rumänien, die Ukraine oder die Slowakei sein. Hauptsache Osteuropa, denn dort grassiert bekanntlich der galoppierende Wahnsinns-Gaul des entarteten Kapitalismus. Dass Anton, jener entführte Franzosen-Knabe, sich genau dort in einen Killer verwandeln musste, folgt also auch der Logik des neuen East-Fear-Kinos seit „Hostel“, „Severance“ und anderen Filmen.

Aber auch wenn „High Lane“ kaum etwas Neues zu bieten hat, hat er doch ansprechende Bilder für das Alte gefunden. Nicht nur sind die schon erwähnten Bergsteiger-Sequenzen extrem schön fotografiert (und damit der passende Hintergrund zur Verwilderung Antons), auch in den Gewalt-Szenen zeigt sich „High Lane“ innovativ, indem er zumeist nur andeutet und seinen Killer auch nicht als brachialen Überunmenschen à la Leatherface zeichnet, sondern als eher schmächtigen, blindwütigen Irren mit einer Menge Angst und Verzweiflung als Motivation. „High Lane“ wendet sich mit seiner Optik und seiner Milde wohl eher an das Mainstream-Kinopublikum, dem der Anblick hierzulande außerhalb des Fantasy-Filmfestes aber leider versagt blieb. Die Veröffentlichung des Films auf DVD und Blu-ray-Disc mag das teilweise kompensieren – die erste halbe Stunde von „High Lane“ im Kino gesehen zu haben, ist allerdings schon etwas Besonderes gewesen.

High Lane
(Vertige, Frankreich 2009)
Regie: Abel Ferry; Buch: Johanne Bernard, Louis-Paul Desanges; Musik: Jean-Pierre Taieb; Kamera: Nicolas Massart; Schnitt: Soline Guyonneau
Darsteller: Fanny Valette, Johan Libéreau, Raphaël Lenglet, Nicolas Giraud, Maud Wyler, Justin Blanckaert
Länge: 81 Minuten
Verleih: Koch Media

Die DVD von Koch Media

Bild: 2.35:1 (16:9)
Ton: Deutsch (DD 5.1), Französisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Original-Trailer, Audiokommentar des Regisseurs, Making of, Outtakes, Featurette „Der Kampf ums Überleben“, Featurette über die Spezialeffekte
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 14,99 (DVD)

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