Der Splatterfilm konfrontiert die ZuschauerInnen mit gewaltsam geöffneten, aufgebrochenen und aufgeschlitzten Körpern. Augen werden ausgestochen, Arme und Beine abgetrennt und Köpfe durchbohrt. Die film- und kameratechnische Fragmentierung des Körpers in Schnitt und Ausschnitt wird in die Fragmentierung des Körpers durch das Aufschneiden und Zerteilen mit scharfen oder spitzen Gegenständen übersetzt. Die Kamera wird zum Endoskop und verfolgt das Mord- und Schlachtinstrument, wie es in das Körperinnere eindringt und Blut, Hirn und Eingeweide hervorholt.
In zwei Filmen aus dem Jahr 1960 wird diese technisch übersetzte Konsequenz motivisch angedeutet: In der berühmten Schnittsequenz des Duschmordes in Alfred Hitchcocks Psycho und in Michael Powells Peeping Tom, in dem der Serial Killer seine Opfer filmt und ihnen das Spiegelbild ihres Gesichtes in dem Moment zeigt, in dem er sie mit dem spitzen Kamerastativ ersticht. Drei Jahre danach werden die blutigen Folgen auf der Leinwand sichtbar – in Hershell Gordon Lewis’ Film Blood Feast. In einer brutalen Distanzierungsgeste emanzipiert sich das Medium Film damit von abstrakten Körperinszenierungen, die bis dahin wie im klassischen Horrorfilm einer Dramatisierung und Paraphrase literarischer und damit symbolischer Körper entsprachen.
“In splatter movies, mutilation is the message”, heißt es in dem Buch Splatter Movies. Breaking the Last Taboo on the Screen (1984) des Filmpublizisten John McCarty. Er prägte die Bezeichnung „splatter“ für eine Form des Horrorfilms, die die Materialität und die Medialität des Körpers zentral setzt. Der Splatterfilm versucht sich, seinen medialen Bedingungen entsprechend, in der Inszenierung des Realen des menschlichen Körpers. Statt des inzwischen domestizierten Monsters des klassischen Horrorfilms wie Dracula, der Werwolf oder Frankensteins Monster, die in den 30er bis 60er Jahren die Grenzen des singulären und geschlossenen Körpers infrage gestellt haben, wird der groteske, multiplizierte und bis zur völligen Deformation entgrenzte Körper eingesetzt. Er schuldet der Literatur des 19. Jahrhunderts wenig, der kulturellen Realität und dem Realen des Mediums Film um so mehr. McCartys Aussage weist zudem auf den Aspekt der filmischen Umsetzung der Thesen des Medientheoretikers Marshall McLuhan („The medium is the message“) im Splatterfilm hin. Dessen Konzept von den Extensions of Man, den medialen Prothesen des menschlichen Körpers, ist gefärbt von gewalttätigen Phantasmagorien der Verstümmelung. Die Erweiterung der Sinne durch die Medien bedeutet immer auch „Selbstamputation“.
Für eine kleine Gruppe von Regisseuren wie Herschell Gordon Lewis (Blood Feast, 2000 Maniacs, Gore Gore Girls), George A. Romero (The Night of the Living Dead, Dawn of the Dead, Day of the Dead), Tobe Hooper (The Texas Chainsaw Massacre), David Cronenberg (Shivers, Rabid, The Brood), Wes Craven (Last House on the Left, The Hills Have Eyes), später John Carpenter (Halloween, The Thing), Sam Raimi (Evil Dead) und Peter Jackson (Bad Taste, Braindead) ist die Repräsentation expliziter Gewalt und der Deformation des Körpers die konsequente Weiterführung der Codierungen des Mediums Film und zudem der einzig angemessene und „moderne“ Modus, den Diskurs um personale, strukturelle und kulturelle Gewalt in den USA von den späten 60er Jahren bis zu den 80er Jahren ästhetisch zu kommentieren. In diesem Sinne ist der Splatterfilm eine deutlich skeptische Reaktion auf kulturelle Versprechen, wie etwa der Frauenbewegung, der sexuellen Revolution und der Bürgerrechtsbewegung, und er zitiert kollektive Gewalttraumata, die in Stoffen gebunden sind wie im Serienkiller-Fall Ed Gein, der Manson Family oder dem Vietnamkrieg.
Die Illustration subaltern geführter Gewaltdiskurse und Verdrängungsmechanismen (Abjektion) hat gerade den Splatterfilm zu einem bevorzugten Objekt feministisch orientierter Filmwissenschaft (Bronfen, Clover, Creed, Halberstam, Russo, Williams) gemacht. Diese operiert zumeist im Kontext psychoanalytischer Parameter (Lacan, Klein, Kristeva, Zizek). Gemäß dem Diktum Judith Butlers in Gender Trouble (1990) und Bodies that Matter (1993), daß der Körper Produkt und Performanz serieller Wiederholungen von Phantasmen ist, geht die Tagung den Phantasmen und ihren Mechanismen nach, die die „Bodies that Splatter“ (Halberstam) in Szene setzen. Die seriellen Wundfabrikationen vollziehen sich zumeist an weiblich konnotierten und sexualisierten Körpern. So wird die Monstrosität des Horrorfilms im Splatterfilm auf das Opfer projiziert. Eine Parallele hinsichtlich der Fixierung auf die Körperöffnungen und das Öffnen des Körpers läßt sich zum pornographischen Film ziehen. Während der Porno sich auf die vorhandenen beschränkt, schafft der Splatterfilm neue und illegitime Körperöffnungen.
In der Konfrontation mit der Materialität des Körpers, die durch einen nicht mehr kommensurablen Riß zusammenbricht, wird eben dieses Moment der plötzlichen Diskontinuität auf Wiederholung geschaltet. So ist das Strukturprinzip des Splatterfilms von einer seriellen Grammatik der Wunde bestimmt. Diese Figur wird auch auf der Ebene der Filmproduktion umgesetzt. Der Kanon des Splatterfilms definiert sich seit den 80er Jahren über Remakes und Sequels. Als klar abgrenzbares Genre überdauert das ästhetische Phänomen des Splatterfilms allerdings nur die 60er, 70er und 80er Jahre. Die Körperbilder dieses Genres diffundieren in den 90er Jahren in den Mainstream des Kinos.
Die Tagung Bodies that Splatter bringt internationale WissenschaftlerInnen und deutschsprachige Filmemacher miteinander ins Gespräch, um den Splatterfilm aus seinem ästhetischen, kulturellen und medialen Kontext heraus zu analysieren und zu sehen, ob seine Strukturelemente ihn anschlußfähig für aktuelle Fragen machen, die Konfrontationen von physischer, struktureller und kultureller Gewalt behandeln: Wie kann man das Verhältnis der Inszenierung des filmischen Körpers zu den medialen Bedingungen des Films beschreiben? Wo liegen die Grenzen und wo liegt die Verletzung der Grenzen filmischer Repräsentation von Gewalt? Welche Funktion haben die Figuren medialer Selbstreflexion? Wie ist die bisher in Deutschland nur zögerlich nachvollzogene Ikonographie des Splatterkörpers zu verstehen? Welche sexuellen und kulturellen Zuweisungen erfolgen an die Konstruktion des Splatterkörpers? Und: Läßt sich der Splatterkörper in einer akademisch kulturellen Auffanggeste, sprich innerhalb einer dreitägigen Tagung, domestizieren oder bleibt er das nicht integrierbar Abstoßende?
Tagungsprogramm
Bodies That Splatter.
Schnittstellen von Gewalt in Horrorfilmen 1963 – 1991
Eine Tagung des Graduiertenkollegs Codierung von Gewalt im medialen Wandel an der Humboldt-Universität zu Berlin in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste
24.-26. April 2003
DONNERSTAG, 24. April 03
Ort: Akademie der Künste, Theatersaal, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, S-Bahn: Bellevue
13:00 Begrüßung durch Julia Köhne/Ralph Kuschke/Arno Meteling
13:15 Einleitung zum Film von Julia Köhne
13:30-15:30 Film: Wes Craven: The Last House on The Left (1972, 91 min). Diskussion
PAUSE
15:45 Einleitung zum Film von Harun Maye
16:00-18:00 Film: George A. Romero: Night of the Living Dead (1968, 96 min). Diskussion
18:30 Offizieller Beginn der Tagung
Begrüßung und Einleitung durch Prof. Dr. Thomas Macho (HU Berlin)
18:45-20:00 Eröffnungsvortrag: Prof. Dr. Judith Halberstam (Uni San Diego). Diskussion
20:00 Einleitung zum Film durch Julia Köhne/Ralph Kuschke/Arno Meteling
20:15-21:45 Film: Adam Simon: The American Nightmare (2000, 73 min). Diskussion
PAUSE
22:00 Einleitung zum Film von Arno Meteling
22:15 Nachtfilm: Tope Hooper: The Texas Chainsaw Massacre (1974, 75 min).
Drink im Foyer
FREITAG, 25. April 03
Ort: Akademie der Künste, Theatersaal, s.o.
Sektion I: Zur Geschichte des Splatterfilms
(Moderation: Prof. Dr. Thomas Macho)
10:30 Julia Köhne/Ralph Kuschke/Arno Meteling: Kulturwissenschaft und Splatterfilm
11:00 Stefan Höltgen (f.lm. Texte zum Film, Köln): Motive und Stoffe des Splatterfilms. Videopräsentation. Diskussion
11:45-12:30 Drehli Robnik (Uni Wien): Grenzen und Ausläufer des Splatterfilms. Diskussion
MITTAGSPAUSE, Essen im Foyer
Sektion II: Illegitime Körperöffnungen – Wundästhetik – Geschlecht
(Moderation: Julia Köhne)
14:00-15:30 Dr. Gabriele Dietze (HU Berlin). Diskussion
15:30-17:00 Prof. Dr. Elisabeth Bronfen (Uni Zürich). Diskussion
PAUSE
17:30-19:00 Jörg Buttgereit (Filmemacher Berlin). Diskussion
Sektion III: Abendprogramm
Ort: Sophiensæle, Sophienstraße 18, 101783 Berlin-Mitte, hinter den Hackeschen Höfen
20:00 Abendessen, zubereitet von der „Roten Gourmet Fraktion“
22:00 Videoschnipselprojektion von Jürgen Kuttner (Videokünstler Berlin)
22:30 Party mit Filmprojektion
SAMSTAG, 26. April 03
Ort: Akademie der Künste, Theatersaal, s.o.
Sektion IV: Medialität und Gewalt
(Moderation: Arno Meteling)
12:00-13:30 Georg Seeßlen (Filmpublizist Bad Wörishofen)
13:30-15:00 Manfred Riepe (Filmpublizist Frankfurt am Main)
PAUSE
Sektion V: Logik und Ökonomie des Splatter
(Moderation und Panel: Ralph Kuschke und Joseph Vogl, Bauhaus Uni Weimar)
15:30-17:00 Michael Farin (Publizist und Verleger München)
17:00-19.00 Abschlußvortrag: Christoph Schlingensief (Filmemacher und Politakteur Berlin). Abschlußdiskussion