Im Kern von „Burke and Hare“, der auf einem berühmten Kriminalfall des 19. Jahrhunderts basiert, steht der Konflikt zwischen der neuen und der traditionellen Medizin: Erstere wird verkörpert vom verbrecherischen Dr. Knox (Tom Wilkinson), einem überambitionierten Wissenschaftler, der es sich zum Ziel gemacht hat, die Medizin mithilfe einer neuen Erfindung namens „Fotografie“ zu revolutionieren, und der bei der Verfolgung seines hehren Ziels keinerlei Skrupel kennt. Ihm gegenüber steht Dr. Monro (Tim Curry), ein freundlicher Medizinhandwerker, der mit nie versiegender Begeisterung Gliedmaßen von den ihm zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellten Körpern absägt und als Running Gag stets einen in chemischer Lösung eingelegten Fuß dabei hat. Dieses Bild dient nicht nur als beredtes Beispiel für das wiedergefundene Talent zur grafischen Pointierung, das Landis zum vielleicht besten Komödienregisseur der Achtzigerjahre gemacht hatte, bevor es ihm dann irgendwann abhanden kam, die Geschichte vom teuflischen Neuen und dem bewährten Alten lässt sich auch auf „Burke and Hare“ selbst anwenden.
Edinburgh im Jahre 1827: In der europäischen Hauptstadt der Medizin schlagen sich William Burke (Simon Pegg) und William Hare (Andy Serkis) mit kleinen Betrügereien mehr schlecht als recht durchs Leben. Als mit ihrem Untermieter auch noch eine der letzten Geldquellen verstirbt, droht der Hunger: Kurzerhand verkaufen die beiden die Leiche an den Arzt Dr. Knox und begründen so ein lukratives Geschäft. Doch weil die polizeilichen Maßnahmen gegen Leichenraub enorm verschärft worden sind, Leichen also rares Gut sind, beschließen Burke und Hare selbst für Nachschub zu sorgen …
Die Geschichte der Mörder und Leichenhändler Burke und Hare, die zwischen 1827 und 1828 insgesamt 17 Menschen umbrachten, um die Leichen an einen Mediziner zu verkaufen, wurde bereits mehrfach verfilmt, so etwa von Vernon Sewell 1972 oder 1985 von Hammer-Legende Freddie Francis. John Landis, der seine Affinität zum Makabren während seiner Karriere seinerseits mit Filmen wie „American Werwolf“, „Twilight Zone – The Movie“ oder „Bloody Marie“ und Beiträgen zur „Masters of Horror“-Serie unter Beweis stellte, nutzt den True-Crime-Stoff für eine schwarze Slapstickkomödie, die die beiden Mörder zu tragischen Helden macht und um die Fragen kreist, wie weit man für den Fortschritt auf der einen, für das eigene Überleben auf der anderen Seite gehen darf, und ob der singuläre Zweck dem universellen tatsächlich unterzuordnen ist. Burke und Hare machen sich des Mordes zwar schuldig, es bleibt aber kein Zweifel, dass zwischen ihrem aus Existenznot begangenen Verbrechen und dem utilitaristischen Wahn des Mediziners ein qualitativer Unterschied besteht. Landis hält zu den kleinen Verlierern, die Opfer ungünstiger Umstände werden, während er die versnobbte intellektuelle und politische Elite als eigentlich Schuldige enttarnt: Während ihr Volk verhungert, streiten sie sich über die Zukunft der Forschung, weil davon ihre Karriere abhängt. Landis gibt somit zwar keine wirklich neuen Antworten auf die bekannten Fragen, dennoch kommt man nicht umhin, in „Burke and Hare“ eine Rückkehr zu einstiger Stärke zu erkennen.
Das ist durchaus doppeldeutig zu verstehen: Gleich zu Beginn, wenn der Erzähler der Geschichte sich direkt an den Zuschauer wendet, ist klar, dass post-postmoderne Erzähltechniken Landis‘ Sache nicht sind. Dem historischen Inhalt der Geschichte angemessen, ist „Burke and Hare“ fast klassisches Erzählkino, das in dieser Form ironischerweise jedoch neuer und frischer wirkt, als die cleveren und überkonstruierten Metavehikel, die mittlerweile den Status quo des Genrekinos ausmachen. Anstatt der üblichen Teenieschönlinge und Twentysomethings gibt es die zerfurchten Veteranengesichter von solchen Schauspielern wie eben Tom Wilkinson, Tim Curry, Ronnie Corbett, David Hayman oder Paul Schofield (sowie Christopher Lee, Costa-Gavras, Michael Winner und Ray Harryhausen in den obligatorischen Cameos) zu bewundern, die verschlammten Armenviertel Edinburghs müssen nicht durch den Einsatz von Filtern und CGIs noch zusätzlich verdreckt werden, die Geschichte ist endlich einmal wieder keine Comic-, Spielzeug oder Videogame-Adaption und außerdem garantiert sequel- und prequeluntauglich und mit Simon Pegg und Andy Serkis stehen zwei fassettenreich agierende Hauptdarsteller zur Verfügung, deren Qualifikation sich nicht darin erschöpft, dass sie mal als Stand-up-Comedians Witze erzählt haben.
Zum Schluss, wenn „Burke and Hare“ dann noch jene Wendung nimmt, die ihn auch noch vom im Raum stehenden Vorwurf des Zynismus befreit, den sich in den vergangenen Jahren viele Filme zu Recht gefallen lassen mussten, er tatsächlich bewegt und berührt, sind endgültig alle Zweifel zerstreut. Es steht zu hoffen, dass John Landis‘ bester Film seit „Der Prinz aus Zamunda“ nur der Auftakt für einen produktiven zweiten Frühling ist. Solange das Abtrennen von Füßen solche Ergebnisse zeitigt, kann einem die Fotografie locker gestohlen bleiben.
Burke and Hare
(Großbritannien 2010)
Regie: John Landis; Drehbuch: Piers Ashworth, Nick Moorcroft; Musik: Joby Talbot; Kamera: John Mathieson; Schnitt: Mark Everson
Darsteller: Simon Pegg, Andy Serkis, Jessica Hynes, Isla Fisher, Tom Wilkinson, Michael Smiley
Länge: 91 Minuten