Vampiros lesbos

Man kann Regisseur und Drehbuchautor Dennis Gansel vorwerfen, wieder einmal unter Beweis gestellt zu haben, dass deutsche Genre-Beiträge zumeist wenig Lust auf mehr machen. Was man ihm nicht vorwerfen kann, ist, auf den „Twilight“-Zug aufgesprungen zu sein. Die Idee zu „Wir sind die Nacht“ trug er bereits seit über einem Jahrzehnt mit sich herum, konnte aber keine Geldgeber finden. Erst als die Vampire der US-Reihe auch die hiesigen Teenager finanziell auszusaugen begannen, wurde ihm die filmische Umsetzung des Stoffs ermöglicht. Dem Endprodukt merkt man indes nicht unbedingt an, dass jahrelange Arbeit dahinter steckt.

Die aus prekären Verhältnissen stammende Lena (Karoline Herfurth) bestiehlt tagsüber Fußgänger, nachts streift sie durch die Clubs der Stadt. In einem dieser Etablissements lässt sie sich auf einen Flirt mit Luise (Nina Hoss) ein, wird von ihr erst leidenschaftlich umgarnt und dann gebissen, sodass sie am nächsten Morgen feststellen muss, dass sie spontan eine recht heftige Sonnenallergie entwickelt zu haben scheint und einen ziemlich ramponierten Hals hat. Am nächsten Abend geht es wieder in den Club, wo die aristokratische Luise, die feierwütige Nora (völlig daneben: Anna Fischer) und die melancholische Charlotte (Jennifer Ulrich) sie über ihr Transformation aufklären. Die im doppelten Sinne unterkühlte Charlotte scheint selbst mit ihrem Blutsauger-Dasein zu hadern und schwelgt in Erinnerungen an alte menschliche Tage, als sie – so eine amüsante Randnotiz aus „Wir sind die Nacht“ – in Fritz Langs „Dr. Mabuse“-Filmen auftrat.

Das Beste an Dennis Gansels mittelmäßigem Vampir-Film ist die Location-Wahl. Gansel inszeniert Berlin als Underground-Metropole mit Ruinen-Charme. Aufnahmen aus dem stillgelegten Vergnügungspark im Plänterwald vermischen sich mit Bildern verfallender Industriegebäude und Impressionen aus dem renommierten Electro-Club Berghain. Später geht es in die vor sich hin rottende US-Spionageanlage auf dem Teufelsberg. Als Kontrastpunkte nutzt der Film Szenen aus dem luxuriösen  KaDeWe, der Nobel-Disko Adagio und dem fast schon surreal anmutenden Brandenburger Freizeitpark Tropical Islands. Der Vorspann wiederum gleitet mit Standfotos durch die bewegte Geschichte der deutschen Hauptstadt – aus preußischen Zeiten über die Goldenen Zwanziger bis hin zur Wende.

Narrativ aber stagniert der Film, indem er die formelhaften Konfliktszenarien von der Eingewöhnung und Rebellion eines Neu-Vampirs sowie der Liebe zwischen Mensch und Vampir aufnimmt, ihnen aber nichts Neues hinzuzufügen hat. Angewidert von der Kaltblütigkeit der drei Vampirinnen versucht Lena anfangs, sich dem Morden zu verweigern, muss aber rasch einsehen, dass sie – ob sie es will oder nicht – von nun auf Blut angewiesen ist. Dieser innere Zwiespalt wird nicht zuletzt deshalb immer stärker, weil sie sich für den Polizisten Tom (Max Riemelt) zu interessieren beginnt.

Anders als „Twilight“ propagiert „Wir sind die Nacht“ nicht den Wert der sexuellen Enthaltsamkeit, erweist sich aber dennoch als ähnlich konservativ und scheinheilig. Gerne nutzt der Film lesbische Szenen zwischen den ausnahmslos weiblichen Vampiren als erotische Schauwerte, ist aber gleichzeitig von einer mehr oder minder bewussten Homophobie durchzogen. Die lesbische Vampir-Clique frönt einem amoralischen Hedonismus, wenn Luise, Nora und Charlotte morden, stehlen und koksen. Die von ihnen ausgehende Gefahr ist unmittelbar an ihre homosexuelle Identität gebunden. Die heterosexuelle Lena jedoch sticht aus ihrem unmenschlichen Umfeld heraus: Sie hat Skrupel, nimmt Rücksicht und empfindet Mitleid.

So ist es – nachdem eine der Vampirinnen freiwillig, die andere unfreiwillig aus dem untoten Leben geschieden ist – an ihr, die heterosexuelle Ordnung der Verhältnisse wieder herzustellen. Diese politisch fragwürdige Message wird visuell gespiegelt, wenn sich Lena vom kurzhaarigen, toughen Tomboy zur eleganten Frau wandelt. Als solche steht sie am Ende Luise gegenüber, die Lenas Schwarm Tom bedroht. Die etwas peinlichen Special Effects, die sowohl diese Körperveränderungen als auch den finalen Kampf bebildern, dienen als unfreiwilliger Beweis, dass man aufwändige technische Spielereien lieber Hollywood überlassen sollte.

Wir sind die Nacht
(Deutschland 2010)
Regie: Dennis Gansel; Drehbuch: Dennis Gansel, Jan Berger; Kamera: Torsten Breuer; Schnitt: Ueli Christen; Musik: Heiko Maile; Darsteller: Karoline Herfurth, Nina Hoss, Jennifer Ulrich, Anna Fischer, Max Riemelt;
Länge: 96 Minuten
Verleih: Constantin

Zur DVD von Paramount Home Entertainment

Bildformat: 2.35:1 (16:9)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, DTS Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Extras: Audiokommentar, Exklusives Making of, Alternative Enden, Videotagebuch, Teaser & Trailer, VFX Making of, Darsteller-Infos
Erscheinungsdatum: 14.04.2011
Freigabe: ab 16 Jahren
Preis: 12,95 Euro (Blu-Ray: 16,99 Euro)

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