Familienplanung für Biochemiker

Eine Frau, die ihr Kind dazu benutzt, den Missbrauch durch die eigene Mutter zu verarbeiten, und ihr Mann, der in dem Kind jene Geliebte erkennt, die diese nach der Geburt nicht länger ist, und sich verliebt: Das klingt nach einem provokanten Tabubrecher oder einem bedrückenden Psychodrama. Doch „Splice – Das Genexperiment“ ist ein Science-Fiction-Film, der die Frage nach den moralischen Grenzen wissenschaftlichen Handelns und dem Wesen des Menschen stellt.

Das Biochemikerpärchen Clive Nicoli (Adrien Brody) und Elsa Kast (Sarah Polley) arbeitet im Auftrag eines Pharmaunternehmens an der Schöpfung künstlichen Lebens. Als ihre Arbeit in der Geburt von Ginger und Fred, zweier lebensfähiger Lebewesen, kulminiert, scheinen sie am Ziel ihrer Träume angelangt. Doch beide verfolgen höhere Ziele: Sie wollen mit menschlicher DNS arbeiten, um auf diesem Wege vielleicht Heilmittel gegen tödliche Krankheiten zu finden. Als ihnen dieser Wunsch abgeschlagen wird, forschen beide heimlich auf eigene Initiative weiter. Das Ergebnis ist Dren, ein rasant heranwachsendes, überaus intelligentes Lebewesen, das zu seinen „Eltern“ eine intensive Bindung entwickelt, die sich bald jedoch als echtes Problem herausstellt: Weder Clive noch Elsa können sich von Dren trennen und geraten so immer mehr in Gefahr, dass ihr Handeln entdeckt wird. Und ihr „Kind“ hält darüber hinaus noch einige unangenehme Überraschungen bereit …

Die Erschaffung künstlichen Lebens und die menschliche Hybris, die diese Idee gebiert, sind Motive, die sich bis in die Antike zurückverfolgen lassen und im Film bereits 1915 mit „Der Golem“ etabliert wurden, bevor James Whale sie mit „Frankenstein“ (1931) und „Frankensteins Braut“ (1935) endgültig verewigte. Der engagierte und ambitionierte Wissenschaftler, der über die Arbeit an seinem Projekt zum mad scientist wird und nicht bemerkt, wie sich seine hehren Ziele mehr und mehr ins Gegenteil verkehren, schließlich seine bemitleidenswerte Kreatur, die nicht Zeugnis menschlicher Genialität, sondern vielmehr von dessen blinder Eitelkeit ist: Sie sind seit Whales Filmen unabdingbare Konstanten. Zum Teil gilt das auch für Vincenzo Natalis „Splice – Das Genexperiment“: Vor allem Elsa legt in ihrer Arbeit einen Eifer an den Tag, der sie die Gefahren übersehen und moralische Fragen leichtfertig wegwischen lässt. Der skeptische Clive überlässt die Verantwortung viel zu lang viel zu leichtfertig seiner Partnerin, ohne zu bemerken, dass diese längst mehr als nur ein professionelles Interesse hegt. Hier erweitert Natali dann auch die Perspektive, indem er die privaten Wünsche und Befindlichkeiten seiner Protagonisten ins Blickfeld rückt und diese zum Ursprung des folgenden wissenschaftlichen Übels macht. Sowohl Elsa als auch Clive bringen ihr Privatleben mit ins Labor und ihre Biografie schreibt sich so auf überaus verhängnisvolle Weise in ihre Arbeit ein. Dren ist ein Zerrbild der Beziehung seiner Schöpfer und ein Symbol für deren unausgetragene Konflikte.

Regisseur Vincenzo Natali sorgte vor rund zwölf Jahren mit seinem Debüt „Cube“ für einigen Wirbel: Die Low-Budget-Produktion begeisterte mit einer ambitionierten Mischung aus philosophischen Gedankenexperimenten, dystopischer Science-Fiction und vielseitig interpretierbarer Allegorie und darf rückblickend als früher, wegweisender Vertreter einer Welle betrachtet werden, die so überaus unterschiedliche Filme wie die „Matrix“-Reihe, Finchers „Fight Club“, das Nolan’sche Gesamtwerk von „Memento“ bis „Inception“ oder aber das „Saw“-Franchise hervorbrachte: trickreich erzählte Filme, die die dem Werk eigentlich nachfolgende Interpretation bereits auf Plotebene verankern und die Zuschauer so zum Miträtseln, Nachdenken und Spekulieren anregen. So gelang es Natali in „Cube“ auch über jene Schwächen hinwegzutäuschen, die seine folgenden Filme nicht verbergen konnten: arg konstruierte Handlungsverläufe und Figuren, die stets als Stichwortgeber des Drehbuchs erkennbar waren. In gewisser Hinsicht trifft das auch auf „Splice – Das Genexperiment“ – trotzdem Natalis bis dato bester Film – zu: Die Konflikte zwischen Clive und Elsa gehen auf populärpsychologische Klischees zurück, mit der Frau als trickreicher Manipulatorin bemüht Natali gar das älteste Klischee der Welt und insgesamt mangelt es auch diesem Film entweder an Leichtigkeit oder aber letzter Konsequenz: Die Ambitionen sind jederzeit spürbar, doch der Sprung vom Genrefilm, dessen Regeln Natali letztlich verhaftet bleibt, zum großen Kino will nicht recht gelingen.

Das muss man nicht unbedingt als Nachteil begreifen: „Splice – Das Genexperiment“ bietet 100 Minuten spannende, hinreichend originelle und kompetent gefertigte Unterhaltung, deren unumstrittener Höhepunkt die Figur der Dren ist. Tricktechnisch verblüffend realisiert, gleichzeitig berückend attraktiv, furchteinflößend, fremdartig und abstoßend, illustriert dieses Wesen ganz allein, was den Menschen nun schon seit Jahrhunderten an der Idee, künstliches Leben zu erschaffen, fasziniert.

Splice – Das Genexperiment
(Splice, Kanada/Frankreich/USA 2009)
Regie: Vincenzo Natali; Drehbuch: Vincenzo Natali, Antoinette Terry Bryant, Doug Taylor; Musik: Cyrille Aufort; Kamera: Tetsuo Nagata; Schnitt: Michele Conroy
Darsteller: Adrien Brody, Sarah Polley, Delphine Chanéac, Brandon McGibbon, Simona Maicanescu, David Hewlett
Länge: 105 Minuten
Verleih: Universum

Zur DVD von Universum

Wie man das bei einem aktuellen Film erwarten darf, sind Bild- und Tonqualität ansprechend. Außer einem Behind the Scenes und dem Trailer gibt es jedoch keine Extras.

Bild: 1,85:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Trailer, Behind the Scenes
Freigabe:
FSK 16
Preis: 14,99 Euro

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