Kurzrezensionen Dezember 2010

  • Bernd Stiegler (Hg.): Texte zur Theorie der Fotografie. Stuttgart: Reclam 2010.
  • Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse: Münster: Unrast 2009.
  • Siegfried Jäger u. a. (Hgg.): Lexikon zur Kritischen Diskursanalyse. Münster: Unrast 2009.
  • Alexander Florin: Computer in Kino. Norderstedt: Books on Demand 2009.
  • Sönke Roterberg: Philosophische Filmtheorie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008.
  • Thomas Myrach u. a. (Hgg.): Science & Fiction. Bern u.a.: Haupt 2009.
  • Roland Borgards u. a. (Hgg.): Monster. Würzburg: Königshausen & Neumann 2009.
  • Daniel Grinsted: Die Reise zum Mond. Berlin: Logos 2009.

Why Photography Matters

Nachdem die lange Zeit vergriffene vierbändige Anthologie „Theorie der Fotografie“ von Wolfgang Kemp und Hubertus von Amelunxen 2006 als einbändige gebundene Studienausgabe erschienen, dann aber in kürzester Zeit abermals vergriffen war, hat der Stuttgarter Reclam-Verlag nun versucht, diese Lücke wenigstens ein wenig zu schließen. Die vorliegende Anthologie umfasst 26 Texte, die zwischen 1839 und 2000 zum Thema Fotografie veröffentlicht wurden und als kanonisch gelten – nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was die große Anthologie anzubieten hatte, aber dafür mit einigen schon dort aufgenommenen Texten und jüngeren Arbeiten (Amelunxens/Kemps Band endete bekanntlich 1995). So ist es etwa die Simulationstheorie Jean Baudrillards, eine Arbeit zur Digitalfotografie von Peter Lunenfeld und ein recht junger Text Lorraine Dastons und Peter Galisons über den Status der Fotografie zwischen Wissenschaft und Kunst (sozusagen auf den Spuren der Spuren-Theorie a la Ginzbourg) aus dem Jahr 2007, die den Band aktualisieren. Leider – und das ist ein weiterer Nachteil des Umfangs – sind viele Texte gekürzt worden, was ihre Handhabbarkeit als Studienobjekte vielleicht verbessert, den Wert des Bandes als Anthologie oder gar Komplement zum Standardwerk jedoch fraglich erscheinen lässt.

Bernd Stiegler (Hg.): Texte zur Theorie der Fotografie. Stuttgart: Reclam 2010, 376 Seiten (Taschenbuch), 11,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

Eine Werkzeugkiste

Siegfried Jägers Einführungsband „Kritische Diskursanalyse“ gehört – trotz aller hin und wieder aufkeimenden methodologischen Kritik – zum Basismaterial der historischen Diskursanalyse in Deutschland. Die jetzt im Unrast-Verlag erschienene 5. Auflage des seit der 2. Auflage unveränderten Manuskriptes belegt dies eindrücklich. Neu hinzugekommen, als 150-seitige Ergänzung zur Monografie, ist ein „Lexikon Kritische Diskursanalyse“, welches die Relevanz der im DISS in den 1980er-Jahren entwickelten Theorie einmal mehr unterstreicht und ihren Progress verdeutlicht: 16 Autorinnen und Autoren definieren darin über 200 Begriffe der Diskursanalyse Link’scher und Jäger’scher Prägung, das heißt: der politischen Diskursanalyse von gesellschaftlichen Wissens- und Machtstrukturen.

Das dezidiert nicht bloß sprachwissenschaftliche Modell einer qualitativen Sozialforschung mit besonderer Berücksichtigung von Diskurswirkungen auf gesellschaftliche Phänomene sowie deren Wechselwirkungen untereinander liefert nicht nur immer noch, sondern heute mehr denn je wertvolle Analysemöglichkeiten einer „medial konstruierten“ Gesellschaft. Das macht ein dem Lexikon vorangestellter konziser Einführungsaufsatz deutlich, der – wie kaum ein Text der DISS zuvor – die Möglichkeiten und Strukturen der kritischen Diskursanalyse umreißt. Er stellt sozusagen auch das Scharnier zwischen dem umfangreichen Einführungsband und dem Lexikon-Teil dar. Beide Bände gehören künftig zusammen, ergänzen einander und bereichern die Diskursforschung und -lehre.

Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Münster: Unrast 2010. 405 Seiten (Taschenbuch), 24,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

Siegfried Jäger/Jens Zimmermann (Hgg.): Lexikon Kritische Diskursanalyse. Eine Werkzeugkiste. Münster: Unrast 2010. 144 Seiten (Taschenbuch), 16,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

Das Zwischending

… definierte der Sozialwissenschaftler Erhard Tietel den Computer, sobald er auf den User trifft und dieser mit ihm in Interaktion tritt. Ein Medium im mehrfachen Sinne ist die Maschine schon gewesen, bevor sie zur Multimediamaschine wurde. Ein Stellvertreter für Ängste und Hoffnungen, ein Icon für Zukunft und Wissenschaft, ein Motiv für Bedrohungsszenarien und Erlösungsfantasien. In dieser Hinsicht wird der Computer im Film eingesetzt. Er wird vermenschlicht, dämonisiert, dient aber andererseits auch schon einmal bloß als Ausstattungsgegenstand, um einem Setting das entsprechende Gepräge zu verleihen. Alexander Florin untersucht in seiner publizierten Magisterarbeit „Computer im Kino“ den Apparat auf seine Funktion und Darstellung im Film hin. Detailliert geht er dabei zunächst auf die Narratologie des filmischen Erzählens ein, analysiert den Computer dann zuerst als Objekt innerhalb dreier Filme, dann als Setting und schließlich in seiner Funktion als „Subjekt“. Wichtig ist ihm dabei stets der Abgleich zwischen Technikdarstellung und Realität der Technik, worunter die Arbeit letztlich allerdings auch etwas leidet, weil die auf den Vergleich von Fakten und Fiktionen hinaus läuft. Das sozial-metaphorische Potenzial der Maschine, insbesondere die Verbindung von Technik- und Kulturgeschichte des Computers spart der Autor hingegen dezidiert aus. Sie wären allerdings in der Lage, wesentlich stärkere Aussagen über eine komplexe Frage wie beispielsweise die nach dem Sosein der „Doomsdaymachine“ in Kubricks „Dr. Strangelove“ zu geben. Die Eingrenzung ist allerdings verständlich angesichts des Rahmens einer akademischen Abschlussarbeit. So bildet Florins Buch also nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine erste filmwissenschaftliche Annäherung an das filmische Computermotiv in der deutschsprachigen filmwissenschaftlichen Literatur.

Alexander Florin: Computer in Kino. Die narrative Funktion von Computern im us-amerikanischen Kino. Zwischen Subjekt und Objekt – doch nichts ohne den Menschen. Norderstedt: Books on Demand 2009. ca. 200 Seiten (Taschenbuch). Bei Amazon kaufen.

Philosophische Filmtheorie

Ansätze, Film für philosophische Diskurse fruchtbar zu machen, hat es die gesamte Filmgeschichte über gegeben und sie sind – wie etwa Deleuzes Zeit- und Bewegungsbild – nicht selten überaus fruchtbar für beide Diskziplinen gewesen. Dass sich 2008 Sönke Roterberg anschickt eine „Philosophische Filmtheorie“ auf sage und schreibe 80 Seiten zu entwickeln, verwundert daher zunächst nicht: Er könnte mit seinem Versuch auf den sprichwörtlichen „Schultern von Riesen“ stehen. Das tut er aber nicht, sondern geht mit seinen Überlegungen und Theorieansätzen nicht nur lediglich am Rande auf die einschlägigen vorherigen Versuche (auf die jüngsten Publikationen des Gebietes „Film & Philosophie“ sogar gar nicht) ein; er fällt mit seiner Kategorienbildung sogar noch hinter Béla Balázs zurück. Wenn man gleich in der Einleitung lesen darf, dass der Film Gemälde und Drama sei und der Dokumentarfilm deshalb keine Kunst, weil er zu sehr auf den Inhalt konzentriert ist, als dass er genuin künstlerische Mittel der Dramatik bedienen könnte, muss man sich fragen, ob der Autor für die Produktion seiner Theorie überhaupt mal einen Film gesehen hat. Dokumentarfilme von Morris bis Herzog scheint er jedenfalls gar nicht oder nur auf Basis ihres „Inhalts“ (was auch immer das sein soll) zur Kenntnis genommen zu haben. Leider bleibt der Text bei seiner Ermittlung eines längst überkommenen „organischen Ganzen“ des Films auch weiterhin klassischen Kategorien der Kunstdefinition verhaftet und versucht eine Filmästhetik in Vergleich mit Malerei, Fotografie und Bühnendramatik zu lancieren. Darüber sollte sowohl die philosophische Ästhetik als auch die Filmästhetik und -theorie eigentlich längst hinaus sein.

Sönke Roterberg: Philosophische Filmtheorie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008. 100 Seiten (Paperback), 19,80 Euro. Bei Amazon kaufen.

Imagination und Realität des Weltraums

… lautet der Untertitel des Sammelbandes „Science & Fiction“, der anlässlich einer Ringvorlesung an der Universität Bern herausgegeben wurde. Darin widmen sich 13 Autoren dem Thema „Weltraum“, das natürlich selbst schon so weit gefasst ist, dass man es kaum erschöpfend behandeln kann. Daher konzentrieren sich die Autoren (und darüber hinaus dann auch die Perspektive des gesamten Bandes) auf die Wechselwirkungen zwischen harter Wissenschaft (von Raumfahrttechnik über Astronomie bis hin zu Exobiologie und -chemie) und der fiktionalen Repräsentation des Themas in Literatur, Film, Kunst und nicht zuletzt Philosophie. Neben Darstellungen zur konkreten Raumfahrttechnik, dem möglichen Leben auf anderen Planeten oder biologischen und medizinischen Faktoren der Raumfahrt, bestimmen den Band Überlegungen zur menschlichen Motivation zur Erforschung des Kosmos und seiner Himmelskörper (Philipp Felsch), der Geschichte und Motivik der Science Fiction (Monica Rüthers, Christoph Asendorf, Simon Spiegel – letzterer mit einer Phänomenologie des Film-Aliens) sowie Philosophie (Regine Kather) und sogar Theologie (Linus Hauser) des Themas. Zentral ist bei etlichen der kunst- und kulturwissenschaftlichen Beiträge immer wieder der Austausch zwischen den Disziplinen, die gegenseitige Inspiration von Science und Fiction, die den „Dialog zwischen den beiden Wissenschaftskulturen [als] möglich und fruchtbar“ (so die Herausgeber) darstellen. Dass der Weltraum hierfür den idalen Hintergrund bildet, liegt an der nachhaltigen Faszination, die für beinahe alle Bereiche der Kunst und Wissenschaft von ihm ausgeht. Der reichhaltig und zudem zumeist farbig bebilderte Band liefert damit einen weiteren wichtigen Beitrag zur Überwindung von Forschungsgrenzen und dürfte den „harten“ wie den „weichen“ Wissenschaftlern und Wissenschaften eine sehr gute Reflexionsquelle für den eigenen Zugang zu Thema sein. Den Science-Fiction-Fan wird er ohnehin erfreuen.

Thomas Myrach/Tristan Weddinten/Jasmine Wohlwend/Sara Margarita Zwahlen (Hgg.): Science & Fiction. Imagination und Realität des Weltraums. Zürich: Haupt 2009 (Berner Universitätsstudien), 325 Seiten (Paperback) mit zahlr. farbigen und s/w Abbildungen, 32,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

Frühwarnsystem und Reflexionsfigur

„Monster sind stets nur medial gegeben, oft entspringen sie plurimedialen Fügungen (Kombinatorik) oder intermedialen Transformationen (Metamorphose)“, stellen die Herausgeber des Bandes „Monster. Zur ästhetischen Verfassung eines Grenzbewohners“ in der Einleitung fest. Die Beiträge des Sammelbandes, die teilweise auf eine Tagung der „Stiftung Romantikforschung“ im Frühjahr 2007 zurückgehen und für die Buchpublikation ergänzt wurden, situieren die Monsterfigur zentral in den Medien der Romantik. Das ist natürlich nicht nur die Literatur, sondern – und das macht das Spannende des Bandes aus – auch die Philosophie, Technikfiktionen, Zeitungsberichte über Verbrechen und Reiseberichte. Die Romantik bildet jedoch nur den Schwerpunkt gegenüber anderen im Band behandelten Epochen. Die 16 Beiträge sind chronologisch sortiert, das heißt, sie erlauben den sukzessiven Nachvollzug der Monstermedialisierung von den Wandfriesen im frühen Griechenland bis hin zu filmischen Arbeiten zum Doppelgänger in Brian De Palmas „Sisters“ und Ingmar Bergmans „Persona“. Thematisch besonders reizvoll sind die kulturhistorischen Untersuchungen über den Affen und speziell den Orang Utan, ein Beitrag über den Verbrecher als Monster (der das Monster als Normalisierungsstrategie diskutiert) sowie eine der seltenen Betrachungen monströser Technik, in der der Autor Hybridwesen zwischen Biologie und Technik von der antiken Kunst bis in die Gegenwart vorstellt und diese als besonderes Skandalon markiert, eben weil sie keine Biomonster sind. Der 350-seitige Band ist nicht nur ansprechend illustriert, er beginnt auch gleich mit neun großformatigen Radierungen zum Thema, die die Künstlerin Vroni Schwegler auf der Tagung ausgestellt hatte.

Roland Borgards/Christiane Holm/Günter Oesterle (Hgg.): Monster. Zur ästhetischen Verfassung eines Grenzbewohners. Würzburg: Königshausen & Neumann 2009. 351 Seiten (Paperback), 48,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

Der Mond als Ziel und Vorstellung

Zunächst: Mit Älterwerden der Bologna-Reform wird eine kleine, vor allem in den letzten Jahren häufiger anzutreffende Textsorte zunehmend seltener auf dem Buchmarkt anzutreffen sein: die Magisterarbeit. Die Verfasser der schmalen, oft nur 150 – 200 Seiten starken Bücher zu einem eingegrenzten Arbeitsthema haben vor allem in den Geistes- und Kulturwissenschaften nicht selten kleine Juwelen auf den Buchmarkt gebracht. Der vorliegende Fall, Daniel Grinsteds „Die Reise zum Mond“, ist eine solche Arbeit – entstanden an der Humbold-Universität Berlin in der dortigen Kulturwissenschaft und gleichermaßen ansprechend wie hoch im Niveau. Nachdem er die kulturhistorischen Hintergründe der Mondreise(fantasie)n vorgestellt hat, untersucht Grinsted den Mond als mediale Projektionsfläche in drei Schritten: in einer medienhistorischen Abhandlung über das Fernrohr, cineastisch-fiktive Mondreisen mit immersivem Charakter und schließlich die Apollo-11-Mission in ihrer medialen Darstellung. Zentral dabei ist die „vermittelnde“ Perspektive, die bei jeder Mondreise, sei sie virtuell oder real, eine Rolle spielt: Das Medium ist zwischen Mensch und Mond und es ermöglicht erst den Kontakt – bzw. ex negativo den Verdacht der Verschwörungstheorie, dass überhaupt kein Mensch je dort gewesen ist. Grinsted arbeitet sowohl die televisive Darstellung und Wirkung der Apollo-Mission heraus als er auch die Bedeutung von Fiktionen für die Mondreisen und die Wirkung der Mondreisen auf die Fiktionen betrachtet. Er geht dabei gleichermaßen diskursanalytisch wie medienepistemologisch vor, wenn er die technischen Artefakte der Monddarstellung immer wieder in ihren Einflüssen auf die Diskurse (als Faszinationsgeschichte) über den Mond aufzeigt.

Daniel Grinsted: Die Reise zum Mond. Zur Faszinationsgeschichte eines medienkulturellen Phänomens zwischen Realität und Fiktion. Berlin: Logos 2009. 230 Seiten (Taschenbuch), 28,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

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