Gespenster

Das Auto fährt hinein nach Berlin. Dazu leicht schwülstige klassische Musik. Gefilmt aus Kabinenperspektive, keine Personen. Nur die langen Kurven der Schnellstraße. Etwas Bedrohliches liegt in diesen Bildern. Es mag daran liegen, dass man weiß, dass das Automobil bei Petzold nie der Ort von familiärer Harmonie ist. Das ist das Eigentümlichste an diesen ersten Bildern: Dass man meint, den Regisseur an diesen auch ganz ohne Hintergrundwissen um den Film ablesen zu können.
„Gespenster“ weiterlesen

Jiang Hu

Es ist eine der berühmten letzten großen Nächte im (Film-)Hongkonger Triadenmilieu. Der Boss (Andy Lau) feiert die Geburt seines Sohnes, er will sich aus dem Geschäft etwas zurückziehen. Seine rechte Hand (Jackie Cheung), ihm seit Jahren treuer Freund, will ihn davon überzeugen, dass er drei küngelnde ältere Gangster in der internen Hierarchie ausschalten solle und hat selbst entsprechendes schon in die Wege geleitet. Doch der Boss will nicht so recht, er ist eher Typ Schachspieler als Bluthund. Beim Diner entfaltet sich das Gespräch über die Maßnahmen, während durch die Nacht von Hongkong die Gangster ziehen, und Leute, die es auf sie abgesehen haben. Gleichzeitig macht das Wort die Runde, dass der Boss noch in dieser Nacht Opfer eines Attentats werden solle …
„Jiang Hu“ weiterlesen

The Life Aquativ with Steve Zissou

Wes Andersons Filme sind meist Ansammlungen von Skurrilitäten und Verschrobenheiten. Kleine Wundertüten, deren Inhalt breit ausgestreut wird und in denen es für jeden was zu finden gibt, das er sich rauspicken kann. Filme von Wes Anderson gehören zu jener Sorte, nach denen man sich austauschen kann: „Am besten gefiel mir …“ – und jeder sagt was anderes. Vielleicht ist das Bild von der Wundertüte aber auch falsch: Dieses suggeriert Beliebigkeit. Ein Andersonfilm aber wirkt zumindest immer so, als sei alles mit gutem Grund an seinem Platz.
„The Life Aquativ with Steve Zissou“ weiterlesen

The Wayward Cloud

Endlich! Endlich gibt es im Wettbewerb einen Film zu sehen, der knistert und begeistert, der Wagnisse eingeht und gewinnt. Sperrig, einfallsreich, von erstaunlicher Frische. Höchst unterhaltsam, tragikomisch, oft bis zum absoluten Stillstand gehend, nahezu kein Dialog, dann wird er immer wieder zum Musical, urbane Tristesse, groteske Pornografie, cinephiles Kino. The Wayward Cloud von Tsai Ming-Liang ist all das und darin ungemein aufregend.
„The Wayward Cloud“ weiterlesen

Katze im Sack

Ich muss vorausschicken, dass ich in die Vorführung geplatzt bin, als bereits der Vorspann lief. Ich weiß also nicht ob es einen Prolog gab, der den Figuren, der Geschichte einen anderen Dreh verpasst hat. Ich befürchte, selbst wenn, es hätte nichts verändert. Die erste Szene zeigt Karl, gespielt von Christoph Bach, der schon in „Detroit“ eine schwierige Rolle zu verkörpern hatte. Er lässt sich per Anhalter von einem Mann mitnehmen, der ihn kurz darauf in einem Waldstück zum Oralsex überreden will, natürlich für Geld. Karl willigt zögernd auf das Angebot ein, um den Mann schließlich zusammenzuschlagen und ihm sein unmoralisches Verhalten vorzuwerfen. Später wird man erfahren, dass der Mann seine Frau schlägt. Das beschreibt bereits die Haltung des Films zu käuflichem Sex, eigentlich Sex im allgemeinen.
„Katze im Sack“ weiterlesen

Willenbrock

Im Kern erzählt der Film eine Verunsicherung. Andreas Dresen beschreibt in einem Interview, wie er bei einem Urlaub in Griechenland nachts wach wurde und plötzlich ein fremder Mann im Raum stand, wie er aufgesprungen ist, ihm nackt und schreiend begegnet ist. Diese Erfahrung findet sehr direkt und kaum verfälscht Eingang in den Film. Das ist jetzt kein Witz, aber mir ist tatsächlich vor etlichen Jahren etwas ganz ähnliches passiert. Auch in Griechenland, in Patras um genau zu sein. Da stand mein Zimmernachbar plötzlich im Raum, ein dubioser, vierschrötiger Sizilianer, wer weiß wie lange schon. Es war letztlich alles ganz harmlos, ich hab ihn verscheucht, aber der Interrailtrip sollte seine Unbeschwertheit verloren haben.
„Willenbrock“ weiterlesen

The Life Aquatic with Steve Zissou

Man kommt den Filmen des Texaners Wes Anderson mit einer Plotbeschreibung nicht bei. Eher schon macht es Sinn exemplarisch eine Szene herauszugreifen und daran die Wirkungsweise des Films zu beschreiben. Ein Wes Anderson Film ist bereits nach einer Einstellung als solcher zu erkennen, unzweifelhaft, und wenn man so will ist das auch ein Verdienst. Das Problem, dass ich mit seinen Filmen bislang hatte, tritt in „Die Tiefseetaucher“ überdeutlich zu Tage. Es sind Fingerübungen, die ins Nichts laufen und schlimmer: die eine Leere in sich tragen, dir mir die Lust am Sehen nehmen. Ich fühle mich hinterher wie ausgekotzt.
„The Life Aquatic with Steve Zissou“ weiterlesen

Verschwende Deine Jugend.doc

Man beginnt sich wieder für Punk zu interessieren. Punk dabei nicht als musikalisches Vehikel gestylter schöner Jungs aus den Staaten, die vor Hallenpublikum auftreten, und auch nicht als Synonym für vor allem das öffentliche Stadtbild prägende Hundebesitzer mit Hang zum penetranten Habitus verstanden. Vielmehr ist jene kurze Phase des elektrisierenden Kitzels gemeint – so grob ab ’77, in Deutschland eher zwischen ’79 und ’82 -, in der an allen Ecken kleine Garagenbands gegründet wurden, wo es weniger um die Musik selbst – die durfte gerne frei in den dilletantischen Raum hineindelirieren -, sondern vor allem um die richtige Attitüde, um spontane Kreativität und Ausbruch ging, um ein Spiel mit den Zeichen und einen eher inszenierten, denn wirklich praktizierten Nihilismus. Vor wenigen Jahren veröffentlichte Jürgen Teipel seinen Interview-Roman „Verschwende Deine Jugend“, in dem Protagonisten jener Phase zu Wort kommen und zurückblicken. Vor kurzem folgte dann Rocko Schamonis höchst unterhaltsamer, autobiografischer Roman „Dorfpunks“, dessen Titel Programm ist. Die Garde der ersten Punks in Deutschland blickt auf sich zurück, scheint sich historisieren zu wollen.
„Verschwende Deine Jugend.doc“ weiterlesen

Inside Deep Throat

“Deep Throat“ ist ein Mythos, tatsächlich in seiner filmhistorischen Bedeutung vergleichbar mit dem ebenfalls auf dem Festival gezeigten „Heavens Gate“. Wenn man „Inside Deep Throat“ mit der Heavens Gate-Doku „Final Cut“ vergleicht, begreift man, was dem letztgenannten fehlt. Der Film schafft es die ganz persönlichen Tragödien der Beteiligten in Bezug zu setzen, zur soziokulturellen Dimension des Films.
„Inside Deep Throat“ weiterlesen

The Ballad of Jack and Rose

Zur Abwechslung mal ein Film der etwas zu sagen hat. Zunächst größte Vorbehalte meinerseits. Es geht um Utopien, um Aussteigertum, Hippiekram und begrabene Träume. Der Film wählt die Form des klassischen Erzählkinos und muss dabei jede Menge Balast mit sich herumschleppen. Zu Beginn verspricht das Ganze furchtbar zu werden. Daniel Day Lewis und seine Filmtochter leben praktisch allein auf einer vorgelagerten Insel auf dem Gelände einer ehemaligen Kommune im Osten der USA. Zwei Dylan Songs etablieren mit dem Holzhammer die gewünschte Atmosphäre. Lewis, seine Figur natürlich, lebt nicht im Hier und Jetzt. Er belügt sich selbst und hat, nach einer überstandenen Herzattacke, nicht gerade das was man eine gute Zeit nennt.
„The Ballad of Jack and Rose“ weiterlesen

Hana & Alice

Zwei Schulmädchen, Hana und Alice, vor morgentrister Kulisse eines japanischen Vorortes. Sie springen umher, bald hierhin, bald dorthin. Es geht zum Zug, erfahren wir. Wohin der fährt? Weiß die eine nicht. Sie fragt nach, hinein, nicht hinein? Erst hinein, drin rumpesen, dann wieder raus. Bei einer Haltestelle aussteigen, zum nächsten Zug hin. Ziellos in den Tag hinein. Am Ende geht’s dann doch zur Schule, aber erst nach vielen Umwegen. Und im Zug sehen sie einen jungen Mann, den beide neckisch finden. Vor ihm steht ein anderer, ein echter Bücherwurm, nicht unattraktiv, sicherlich, aber zunächst nicht im Fokus. Um ihn wird es später dann gehen, in diesem Film von Shunji Iwai, auf den man drei Jahre lang hat warten müssen. Endlich ist er da.

„Hana & Alice“ weiterlesen

Keine Lieder über Liebe

Die Prämisse des Films: Der angehende Dokumentarfilmer Tobias Hansen (Florian Lukas) lebt seit einem Jahr mit seiner Freundin Evelyn (Heike Makatsch) gemeinsam in einer Berliner Wohnung. Kurz vor dem Herzug hatte man noch Tobias’ Bruder Markus (Jürgen Vogel), Sänger der Indiepopband Hansen, in Hamburg besucht. Seitdem schwelt in Tobias der Verdacht, dass zwischen Bruder und Freundin mehr als bloß unverbindliche Freundlichkeiten ausgetauscht worden waren. Als er von einer anstehenden Deutschlandtour seines Bruders Band Wind bekommt, entschließt er sich spontan dazu, einen Dokumentarfilm über die Band im Allgemeinen, den Bruder im Besonderen zu drehen. Evelyn packt er gleich mit in den Tourbus, erhofft er sich derart doch, seine Ungewissheiten zu zerstreuen. Das Ergebnis, der vorliegende (gefakete) Dokumentarfilm, ist dann, wie Tobias seinen Prolog aus dem Off beschließt, „ein Film über uns drei“. Spricht’s also monoton, aber auch schon ein bisschen nervend, und man ahnt schon, dass hier fürchterliches deutsches Kino für hippe Twens, die sich gerade in der gemeinsamen Butze eingenestet haben, inszeniert werden soll. Mit etwas Gimmick (Mockumentary), etwas Wiedererkennungswert (Beziehungsproblemchen wälzen) und etwas abgeschmackte Popkultur (Deutschpopband mit Schlagertext, gemeinsam durch die kleinen Clubs dieser Republik, die das anvisierte Publikum vielleicht sogar aus eigenem Erleben kennt).
„Keine Lieder über Liebe“ weiterlesen

13 Lakes

Der Titel könnte den Inhalt des Films nicht treffender bezeichnen. James Benning, dessen Filme in der derzeitigen Kinolandschaft einzigartig sind, hat sich dieses Mal 13 Seelandschaften vorgenommen. Wie bereits in seinen früheren Filmen sind die statischen, jeweils um die 10 Minuten langen Einstellungen, von einer mehrere Sekunden andauernden Schwarzblende unterteilt. So kommt der gut 130 minütige Film zustande.
„13 Lakes“ weiterlesen

The Devil in Mr. Johnston

Für jeden halbwegs an Musik interessierten Menschen gibt es Bands, die man zumindest einmal in seinem Leben gesehen haben will. Ich hatte ziemlich viel Glück was das anbelangt und dennoch werde ich es vermutlich nie verschmerzen, Hüsker Dü nie gesehen zu haben oder Anfang der 90er, als ich gerade nach Berlin kam, Velvet Underground verpennt zu haben. Daniel Johnston gehört nicht dazu, obwohl sich seine Songs bei mir tief eingegraben haben. Das hat nichts mit dem Musiker zu tun sondern mit dem unguten Gefühl, das mich beschleicht, wenn ich Aufnahmen von seinen Auftritten sehe.

„The Devil in Mr. Johnston“ weiterlesen

Changing Times

Was waren das noch Zeiten, als Téchiné hintereinander „J’embrasse pas“, „Ma saison preferée“ und „Les roseaux sauvages“ inszenierte, seine Bilder vor Leidenschaft vibrierten, für seine Figuren, zumeist Außenseiter aus der Provinz oder Heranwachsende in Identitätskrisen. Nichts von alledem ist spürbar in seinem neuesten Film, „Les temps qui changent“.
„Changing Times“ weiterlesen

Klößchen

Sicher einer der spannendsten Filmemacher aus Hongkong ist Fruit Chan, der 1997 mit seinem selbstproduzierten Low-Budget Streifen „Made in Hong-Kong“ auf Anhieb den Zugang in die Welt der internationalen Filmfestivals geschafft hat und dem der Ruf des kompromisslosen Autorenfilmers vorauseilt; nebenbei bemerkt, denn so wichtig ist das nun auch nicht. Interessanter schon, dass man beim Betrachten von „Dumplings“, der übrigens weltweit als Horrorfilm vermarktet wird, überrascht ist, immer wieder und auf unterschiedliche Weise.
„Klößchen“ weiterlesen

Vers Mathilde

Mathilde gefällt der Gedanke, dass eine Bewegung durch den Raum den Raum selbst verändert. Wer mit der Hand durch ihn streicht, hinterlässt eine Narbe, eine Spur. Wir sehen das in einer Detailaufnahme, ganz grobkörnig das Bild, Super8. Ihre Hand, immer nur ihre Hand, wie sie durchs Bild streicht. Sie markiert, vernarbt das Filmmaterial in der Kamera. Die offenkundig im groben Korn ausgestellte Medialität des Bildes scheint auch davon zu handeln, wie Gegenstand und (Dokumentar-)Film zusammenhängen, aber eben auch Tanz und Kunstschaffungsprozess.
„Vers Mathilde“ weiterlesen

Green Chair

Eine Frau und ein junger Mann lieben sich. Sie haben Sex, immer wieder. Der Mann ist minderjährig, stellt sich heraus, nicht nur in Korea ein Fall für den Richter. Die Medien stürzen sich auf die Geschichte, ein besonders aufdringlicher Journalist hängt sich an ihre Versen und schießt Fotos. Die Frau wird zu 100 Tagen Sozialdienst verdonnert, den sie in der Psychiatrie ableistet. Dennoch können die zwei nicht voneinander lassen. Man taucht in der Folge bei der Schwester der Frau unter, sucht Bumshotels auf, bei denen die Kennzeichen der geparkten Autos dezent verdeckt werden und hat vor allen Dingen ausgedehnten Sex – warum auch nicht.
„Green Chair“ weiterlesen

Die Vogelpredigt

Entweder ist das vollends größenwahnsinnig, verrückt und gerade deshalb auch sehr großartig, vor allem aber von geradewegs erfrischender Inspiriertheit. Oder es ist einfach nur schräg hingezimmert. Ich bin der Meinung, ersteres hat Gültigkeit. Ganz sicher bin ich mir nicht. Aber schon alleine das macht diesen Film wichtig und es ist gut, dass er auf dem Festival einen Platz gefunden hat. Von nicht wenigen Wettbewerbsfilmen wäre das genaue Gegenteil zu behaupten.
„Die Vogelpredigt“ weiterlesen