Verschwende Deine Jugend.doc

Man beginnt sich wieder für Punk zu interessieren. Punk dabei nicht als musikalisches Vehikel gestylter schöner Jungs aus den Staaten, die vor Hallenpublikum auftreten, und auch nicht als Synonym für vor allem das öffentliche Stadtbild prägende Hundebesitzer mit Hang zum penetranten Habitus verstanden. Vielmehr ist jene kurze Phase des elektrisierenden Kitzels gemeint – so grob ab ’77, in Deutschland eher zwischen ’79 und ’82 -, in der an allen Ecken kleine Garagenbands gegründet wurden, wo es weniger um die Musik selbst – die durfte gerne frei in den dilletantischen Raum hineindelirieren -, sondern vor allem um die richtige Attitüde, um spontane Kreativität und Ausbruch ging, um ein Spiel mit den Zeichen und einen eher inszenierten, denn wirklich praktizierten Nihilismus. Vor wenigen Jahren veröffentlichte Jürgen Teipel seinen Interview-Roman „Verschwende Deine Jugend“, in dem Protagonisten jener Phase zu Wort kommen und zurückblicken. Vor kurzem folgte dann Rocko Schamonis höchst unterhaltsamer, autobiografischer Roman „Dorfpunks“, dessen Titel Programm ist. Die Garde der ersten Punks in Deutschland blickt auf sich zurück, scheint sich historisieren zu wollen.

Verschwende Deine Jugend.doc ist nun vom Konzept her gesehen schlicht, aber auch schlicht genial: An sich ist das eine Diashow – nichts als Fotografien und ein paar alte Flyer, die auf die Leinwand projiziert werden. Auf der Tonspur hören wir die Statements aus den Interviews, die Teipel für sein Buch geführt hat. Zu hören sind dabei, neben allenfalls noch Szenefreunden bekannten Namen, längst im öffentlichen Leben arrivierte Personen wie Blixa Bargeld, Inga Humpe, Diedrich Diederichsen und andere. Dass diese nicht zu talking heads verkommen, ist dabei das große Plus. Denn sie sind, als ganz gegenwärtige Manifestation, nahezu abwesend, selbst noch die Tonbänder, die man hört, sind oft von abenteuerlicher Qualität (oft ist die Atmo im Hintergrund – miteinander gesprochen wurde offensichtlich auf Bürgersteigen, im Café und anderen öffentlichen Orten – lauter als der Interviewte) und unterstreichen dadurch das rohe, das ungeschlachte und wilde der zahllosen Bilder, die aus Privatarchiven zusammengesucht wurden.

Unfilmisch bis zum Ende also eigentlich. Und genau deshalb Punk in bester Tradition. Wie man am Ende im Abspann sieht, wurde der Film mit Macromedia, der Flashsoftware gemacht. Das passt zu dem, was die Leute im Film erzählen: Dass es darum ging, Dinge selbst zu machen, dass jeder Musik (und also auch: Film) machen kann, wenn man die Produktionsmittel sich erstmal angeeignet hatte.

Und es funktioniert: Ein ungemeiner Sog macht sich bemerkbar, man reist direkt hinein in diese wilde Zeit. Kleine Geschichten entfalten sich, Rivalitäten werden geschildert, aber auch Erfolgsstories (etwa: DAF) werden nachvollzogen. Das soziale Dispositiv der BRD wird, wenn auch durch die eigene Brille (aber gerade die ist in dem Zusammenhang wichtig), skizziert und oft genug (vor allem wenn man selbst als Jugendlicher eine Affinität zu Punk hatte – oder sie bestenfalls noch immer hat) innerlich nachfühlbar gestaltet. Es geht um grüne Sozialpädagogen, um linke Spießer, dann der Kalte Krieg und natürlich und ganz vor allem: die RAF. Deutlich wird die inspirierende Kraft des Dillentantismus, die Punk schon immer ausgezeichnet und vor allem in die Nähe von Traditionen aus der bildenden Kunst – Dadaismus, Surrealismus – gestellt hat. Nachvollziehen kann man das an den Flyern und Plattencovern, die auf die Leinwand gescreent werden, die, in dieser Größe betrachtet, nochmal an Effizienz und Schlagkraft zunehmen und das eigentlich durch sie hindurch arbeitende künstlerische Konzept ungemein deutlich erkennen lassen. Dass Punk ausgerechnet zu Beginn jenes Jahrzehntes, das allgemein als das der Postmoderne und der Künstlichkeit, aber auch als das des finalen Durchbruchs der omnipräsenten Massenmedien, apostrophiert wird, als populäres Phänomen auftrat, ist, wie man anhand dieser Collagen auch als nicht Szeneaffiner ohne weiteres erkennen wird, kein Zufall. Und wenn dann, gelegentlich, alte Klassiker der Undergroundszene, die sich eben nicht nur auf Garagengitarrengeschrammel reduzieren ließ, durch die Kinolautsprecher röhren, wünscht man sich eine solche Kraft in der derzeitigen Musiklandschaft zurück. Nicht zuletzt dies ist deshalb auch gut an der Dokumentation: Dass hier eben nicht alte Männer (und Frauen) in einer father-to-son-Perspektive auf Jugendsünden zurückblicken. Es ergibt sich ein wildes, ungestümes, deshalb mitreißendes Dokument, dem nostalgisches Ohrensesselsentiment vollkommen fehlt.

Thomas Groh

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