The Wayward Cloud

Endlich! Endlich gibt es im Wettbewerb einen Film zu sehen, der knistert und begeistert, der Wagnisse eingeht und gewinnt. Sperrig, einfallsreich, von erstaunlicher Frische. Höchst unterhaltsam, tragikomisch, oft bis zum absoluten Stillstand gehend, nahezu kein Dialog, dann wird er immer wieder zum Musical, urbane Tristesse, groteske Pornografie, cinephiles Kino. The Wayward Cloud von Tsai Ming-Liang ist all das und darin ungemein aufregend.

Aufgegriffen werden die Fäden, die in What Time is it there? gesponnen wurden. Das Paar aus diesem Film trifft sich hier wieder, sehr zufällig, in einem Park. Er schläft dort auf einer Windschaukel, neben ihm steht eine Flasche Wasser. Sie hat gerade eine Melone aus dem Wasser gefischt, die ihr von nun an heilig ist. Das ist wichtig, denn im Lande herrscht eine groteske Situation: Es herrscht Dürre und infolge Wassernot (es wird gebunkert, in Flaschen in Badewannen), dafür aber gibt’s der Wassermelonen so grotesk überviele, dass die Leute schon nicht mehr wissen, wohin. Zu Beginn etwa, eines der ersten Bilder (und „Bilder“ sind das bei Tsai Ming-Liang meist in der Tat: die Kamera fast immer statisch, lange, distanzierte Einstellung) zeigt ein junges Mädchen auf dem Rücken liegend, Unterleib nackt, Beine gespreizt; ihre Scham verdeckt eine riesige halbe Wassermelone, die im folgenden geleckt und gefingert bis zum Exzess wird; wir befinden uns auf einem Pornodreh. Er ist nicht mehr Uhrenverkäufer (der erste Satz von, vermutlich, nicht mehr als fünfen, die zwischen den beiden über die volle Länge hinweg gewechselt werden: „Verkaufst Du noch Uhren?“ – er schüttelt stumm den Kopf), sondern Pornodarsteller. Ihr kann er das nicht sagen, offenbar. Er vögelt wie ein tollwütiger Hengst, zwischen ihren Beinen, zwischen beiden die Überreste der Melone. Duschen danach geht aber nicht, da Wassernot. Dafür gibt es andauernd und zu jeder Zeit Melonensaft zu trinken. Sie reicht ihm aus der Küche das Glas, er schüttet es aus dem Fenster, mit Unschuldsmiene gibt er es geleert zurück. Sie schüttet ihm neu ein. Melonen, die im Wasser schwimmen, einfach so. Irgendwer hatte die Schnauze offenbar voll von dem Zeug.

Lakonisch und beinahe schon jedwede Erzählung negierend entblättert sich der Film. Es sind kleine Ansichten, wie gesagt, deren oft implizit grotesker Inhalt zu dieser Inszenierung geradewegs quer steht. Der Effekt ist herausragend, da Tsai Ming-Liang gleichzeitig auch ein Meister der Ökonomie ist und keine Einstellung ohne Hintersinn oder Zweck entsteht. Die Folge ist ein Etappenfilm, so ein bisschen wie ein Countdown. Und noch ein Bild – was geschieht nun hier? – nächstes Bild – was geschieht nun jetzt? Unmöglichkeiten, Unwahrscheinlichkeiten werden eingebaut – doch es funktioniert, tadellos. Hat man sich an dieses Konzept gewöhnt, ist man süchtig nach dem nächsten Bild, nach dem nächsten Einfall. Vaudeville ist das aber dennoch nicht: Sensationalistisch ist Tsai Ming-Liang, auch in den Sexszenen, die im Vorfeld als härter apostrophiert wurden, als sie eigentlich sind, nicht.

Und dann immer wieder, so dass man förmlich aus den Wolken fällt: Musicalsquenzen. Alte chinesische Schlager werden eingespielt, die Protagonisten tanzen durch mal mehr, mal weniger albern gestaltete Insertwelten und hechten dabei der, entsprechend kaum gegebenen, Lippensynchronität hinterher. Dies wiederum steht nun wiederum den „eigentlichen“ Bildern konträr gegenüber, auch wenn die Songsequenzen die Narration deutlich stützen. Der Kontrast ist hart: Großstadttristesse, bis ans Äußerste ausgereizte Lakonie und Einsilbigkeit auf der einen Seite, bunte Sing- und Tanzwelt auf der anderen. Doch in der Logik dieses Films macht das, auf einzigartige Weise, Sinn. Man lächelt und staunt und ist begeistert, über alles und jedes. Über seinen Witz, seinen Wagemut, seine Groteske. Ein Film, so sympathisch zwischen allen Stühlen, das er im diesjährigen Wettbewerb schon fast schmerzlich deplatziert wirkt. Allein wegen des Umfelds, versteht sich.

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