Gespenster

Das Auto fährt hinein nach Berlin. Dazu leicht schwülstige klassische Musik. Gefilmt aus Kabinenperspektive, keine Personen. Nur die langen Kurven der Schnellstraße. Etwas Bedrohliches liegt in diesen Bildern. Es mag daran liegen, dass man weiß, dass das Automobil bei Petzold nie der Ort von familiärer Harmonie ist. Das ist das Eigentümlichste an diesen ersten Bildern: Dass man meint, den Regisseur an diesen auch ganz ohne Hintergrundwissen um den Film ablesen zu können.

Zwei unterschiedliche Welten faltet der Film parallel auf, die sich kreuzen, überlappen werden. Ganz zusammen finden sie nie, auch nicht in Momenten, wo dies als Aussicht über allen Bildern steht. Hier Nina, gespielt von Julia Hummer, die man aus Die innere Sicherheit kennt, sie lebt in einem betreuten Heim für Jugendliche (und einen Moment lang stellt man sich die Frage, ob hier vielleicht eine mögliche biografische Fortsetzung ihrer Figur aus Die innere Sicherheit angedeutet wird) und arbeitet in einem zugewiesenen Job als Müllaufsammlerin in einem Park. Dort, im Park, freilich nicht unter ihren stumpf proletigen Kollegen, lernt sie die launische Toni (Sabine Timoteo) kennen, nachdem diese von zwei Typen im Gebüsch verprügelt wurde. Toni klaut sich durchs Leben und zeichnet sich auch sonst durch Unverlässlichkeit aus. Dennoch scheint Nina von ihr fasziniert und lässt sich in ihre Welt hineinziehen. Francoise (Aurélien Recoing) hingegen ist eine Beschädigte: Ihre Tochter Marie wurde vor 15 Jahren als Baby entführt und ist seitdem verschollen. Die Suche nach dem Kind treibt die Französin immer wieder nach Berlin. Beim H&M am Potsdamer Platz trifft sie auf Nina.

Man könnte, so man will, zu dem kritischen Schluss kommen, dass Petzold seine Form gefunden hat und diese nun allenfalls noch nach innen hin ausdifferenziert. In der Tat ergibt sich sehr schnell ein „Petzold-Feeling“, wie ich es von Die innere Sicherheit und Wolfsburg – beide großartig – her gut kenne (sein Tv-Film, Toter Mann, ist mir bislang noch unbekannt). Die Figuren sind sozusagen Verwandte im Geiste, die Inszenierung konzentriert und nuancierend, die Dialoge, überhaupt die darstellerischen Leistungen, sorgfältig austariert. Und das Gefüge, mit dem Petzold die kargen Welten seiner Figuren dramaturgisch, nicht unbedingt ästhetisch, erfahrbar werden lässt, ist zu einer Präzision gelangt, die beinahe schon mechanisch scheint. Plätze von Wärme waren Petzolds Filme gewiss nie, aber diese Mechanik ergibt eine Kälte von zusätzlicher Qualität. Dabei will der Film aber Emotion, etwas leicht Märchenhaftes haftet ihm an (Nina findet einen verlorenen Schuh, zum Beispiel) und das letzte Bild lädt zur Melancholie ein. Die Frage ist, ob dieser Konflikt einen Gewinn darstellt, oder ob die Routine – vielleicht aber auch der unbedingte Wille, die Instanz des Films zu sein – hier der Intention nicht vielleicht sogar im Wege stand. Wenn man will, kann man darin auch Stringenz sehen. Stringenz in Werk und Film.

Es geht um Sphären, die sich annähern, eigentlich die Nähe auch immer suchen, sie oft auch erreichen, aber sich immer wieder abstoßen. Schon das Setting des Films verdeutlicht dies: Das Geschehen findet im Gebiet auf und um den Potsdamer Platz statt, wo der Tiergarten und seine ausgelatschten Nebenpfade nur wenige Schritte von den Hochhäusern entfernt liegen. Trotz dieser geografischen Nähe der einzelnen Hintergründe – Park, Trampelweg, luxuriöses Hotel, urbane Kulisse – entwickeln sich örtliche Zellen, die nichts miteinander gemein zu haben scheinen, aber dennoch – auch für den Nicht-Berliner erkennbar – sich offenbar in Laufnähe zueinander befinden.

Oder eine andere Szene: Nina und Toni wurden von einem etwas schmierigen Regisseur (Benno Fürmann) nach einem Casting zu was auch immer (sie sollen erzählen, wie ihre Freundschaft begann, die ist da kaum einen Tag alt, sofern das Freundschaft überhaupt ist; eine fadenscheinige Veranstaltung) auf eine Party der Berliner Schickeria eingeladen. Ganz rot ist das Bild, das Nina zeigt, in einer Großaufnahme ihres Gesichts, Gegenschnitt auf Toni, die Nina ein wenig neckt, genauso groß, genauso rot. Eine Umwelt, geschweige andere Menschen, scheint es nicht zu geben. Man könnte sich in einem kleinen Separé befinden, einer Zelle. Dieser Moment ist ganz Privatheit, Zurückgezogenheit. Toni lockt Nina, sie umarmen sich, tanzen aneinandergeschmiegt. Es braucht nicht viele Schnitte, um die Illusion zu zertrümmen, um analytisch festzustellen: Dies ist keine Nische, sondern eine rot ausgeleuchtete Ecke der Party, die ringsum im vollen Gange ist. Der Regisseur ruft Toni zu sich, ein Schnitt in die Distanz und wir sehen Nina verlassen in der Ecke stehen, aus einem anderen Raum heraus gefilmt. Die rot anheimelnde Intimität war keine, allenfalls Wunschdenken. Dass das Bild, wie der Film, nicht in das große Melodram umkippt, dass es weder ästhetisiert ist, noch Wehmut auslöst, mag dabei vielleicht sogar die Stärke des Films sein, der auf Distanz hält und den Blick analytisch bleiben lässt. Andere mögen dies als unangenehme Kälte ansehen.

Es ist in letzter Konsequenz schwierig, sich zu positionieren. Manches wirkt wie eine noch ausgefeiltere Wiederholung des bereits Geleisteten. Andererseits hat die Methode nicht wenig Effizienz, von Einzelnen auf ihrer Suche zu erzählen ohne in pathetisches oder gar beschauliches Fabulieren abzusinken.

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