Biografie im Film

Dieses Frühjahr scheint die Zeit der Filmbiografien zu sein. Gleich ein ganzes Hollywoodgenre meldet sich mit historisch inszenierten Portraits berühmter Männer und Frauen zurück und besetzt dieser Tage die Programmlisten der Lichtspielhäuser. Angefangen bei »Alexander der Große« (Oliver Stone), über die Geschichte von Howard Hughes in »Aviator« (Martin Scorsese) bis hin zu »Sophie Scholl« (Marc Rothemund) und »Kinsey« (Bill Condon).

Der erfahrene Kinobesucher, der die Tücken des biografischen Films nur allzu oft am eigenen Leibe erfahren musste, fragt sich angesichts dieser Biographismenflut: Warum ins Kino gehen, für eine Biographie? Warum die Leinwand dem geschriebenen Wort vorziehen, das mit Sicherheit den höheren Informationsgehalt böte? Und vor allem warum so authentisch inszenieren, was eigentlich in den Bereich der Geschichtsschreibung gehört?

Die letzte Frage fällt besonders ins Gewicht, da die authentische Umsetzung des Stoffes für alle oben genannten Filme im Vordergrund stand. Die Inszenierung soll informativ und spannend sein, dabei den Zeitgeist berühren und etwas von der Epoche der jeweiligen Titelfigur vermitteln. Frei nach dem Wahlspruch: Fakten, Fakten und dabei an die »Leser« denken. Leider dachten die Regisseure in den allermeisten Fällen an die Inszenierung ihrer eigenen Person, die Drehbuchautoren an die Grenzen ihrer eigenen Phantasie und die Produzenten – denn so wird es von einem echten Produzenten erwartet – an die Inhalte ihrer Geldbeutel (was man im Filmgeschäft allerdings niemandem wirklich zum Vorwurf machen sollte). Umso erfrischender wirkt in diesem Meer von „Halbgekochtem“ der von Stephen Hopkins grandios in Szene gesetzte »Life and Death of Peter Sellers«.

Sellers, der als eine der Ikonen des Filmgeschäfts galt und mit über 70 Filmen auch einer der erfolgreichsten seiner Zeit war, wird in Hopkins Film nicht als eine Person dargestellt, die er wahrscheinlich niemals gewesen ist (vgl. Alexander), sondern als ein Fraktal schillernder Figuren, die ihre Schattenseiten, oft zum Leidwesen ihrer Mitmenschen, immer wieder offen zu Tage förderten. Dabei bleibt Stephen Hopkins nicht bei der Üblichen „Reality-Show“ stehen, sondern reflektiert die eigenen Produktionsmechanismen und die von Sellers Filmen ständig mit. Wenn zum Beispiel Peter Sellers Frau Anne (Emily Watson) sich zur Kamera dreht und der Zuschauer überrascht feststellt, dass Peter Sellers selbst (Geoffrey Rush) sich hinter der Maske seiner Frau verbirgt, um dann dem Zuschauer wie einem Mitverschwörer eine zweite „bessere“ Version eines vorangegangenen Ehestreits in den Mund legt, bleibt an der Genialität und an der psychologischen Tiefe der Szene nichts mehr (oder alles) zu deuteln und unterstreicht nur allzu gut den manischen Perfektionismus dieses einzigartigen Mannes, der mit seinen Filmen nie zufrieden war und dem seine unzähligen Masken zur zweiten Natur geworden sind.

Das anarchistische Comedien-Talent Peter Sellers, das mit der BBC-Radioshow „The Goons“ das Publikum vor den Rundfunkempfängern fesselt, strebt, getrieben von seiner dominanten Mutter Peg (Miriam Margoyles) zum Film. Er möchte Schauspieler sein, bekommt aber immer wieder absagen. Durch eine geschickt inszenierte Maskerade gelangt er dennoch zum Film und erlebt zunächst in England eine steile Karriere, die ihm den begehrten Britisch Film Academy Award einbringt.

Sellers Familienleben verwandelt sich dabei jedoch mehr und mehr zu einer Tragödie, die er nur noch durch den Sucher einer 8mm-Kamera erträgt. Außerhalb des „Filters“ beginnt er sich zu einem Exzentriker zu wandeln, der sich nur noch in seinen Rollen wieder findet, die schließlich sein gesamtes Leben zu dominieren drohen. (Dies wird besonders bei den Dreharbeiten zu „Dr. Strangelove“ deutlich, als Sellers bei einem Essen mit seiner Mutter im Kostüm des Dr. Strangelove erscheint und statt Konversation zu üben ständig durch seine Rolle spricht. Auf die Frage wie das Essen mit ihrem Sohn gewesen sei, antwortet sie „I didn’t see him.“)

Er verlässt schließlich seine Familie (nach einer kurzen Schwärmerei für Sophia Loren (Sonja Aquino) und findet einen „Seelenführer“ in dem bourgeoisen Wahrsager Maurice Woodruff (Stephen Fry), der ihn aber insgeheim im Auftrag der Filmindustrie zu den „richtigen“ Rollen bugsiert. Der Regisseur Blake Edwards (John Lithgow) will Sellers als Nebendarsteller in »The Pink Panther« besetzen, wo Sellers den Inspector Clouseau jedoch dermaßen überzeugend spielt, dass er zum eigentlichen Star des Films wird. Sellers selbst hasst den Film jedoch.

Nach der Arbeit an „Dr. Strangelove“, bei dem Stanley Kubrik (Stanley Tuccu) Regie führt und in dem Sellers drei Rollen übernimmt, wird er für seine Leistung erstmals für einen Oscar nominiert, den er aber nicht bekommt. Nach einem weiteren „Pink Panther“-Film heiratet er die wunderschöne Schauspielerin Britt Ekland (Charlize Theron), wiederum aufgrund einer geschickt eingefädelten Taktik von Woodruff. Sechs Wochen später erleidet er einen schweren Herzanfall, der Sellers an den Rand des Todes führt. Hier spielt sich eine der dramatischsten Szenen ab, als ihm im Delirium alle seine Charaktere auf den Leib zu rücken versuchen und er sich ihrer mittels eines beeindruckenden Knalleffekts entledigt. Er überdenkt sein bisheriges Leben, das von Exzessen und Selbstverachtung bestimmt war und entscheidet sich für ein seriöses Dasein.

Doch trotz aller guten Vorsätze wird auch seine jetzige Ehe zur Hölle und er schafft es auch nicht das Image des ewigen Comedian abzustreifen, was schließlich zum Abbruch der Dreharbeiten zu »Casino Royal« führt. Nach dem Tod seiner Mutter geht seine zweite Ehe schließlich in die Brüche und er beginnt die Dreharbeiten an »The Return of the Pink Panther«, den er wie schon seine vorherigen Filme, aus tiefstem Herzen verachtet. Sellers nimmt zuflucht zu seinen alten Familienvideos und realisiert schließlich als letztes großes Projekt den Film »Being There«, der professionell wie privat zu seinen wichtigsten Filmen gehört.

Stephen Hopkins hat es mit »The Life & Death of Peter Sellers« geschafft, eine sehr überzeugende Darstellung des Ausnahmeschauspieler zu liefern. Dies gelingt ihm nicht zuletzt auf Grund der hervorragenden Besetzung des Films und der ausgezeichneten Kameraarbeit von Peter Levy.

Geoffrey Rush überschreitet mehr als einmal die Grenze des bloßen Nacherzählens, indem er zwischen den Handlungssträngen immer wieder in andere Rollen schlüpft, in denen er dann als Erzähler seine eigenen Szenen Kommentiert. Dadurch holt er den Zuschauer aus seiner reinen Beobachterposition und vermittelt etwas von der eigentlichen Welt des Peter Sellers, der es Zeit seines Lebens nicht geschafft hatte die Rollen die er spielte abzuslegen. Bezeichnend dafür ist ein Interview in dem er zu Protokoll gibt, dass er eigentlich gar nicht wisse, wer er sei. Er könnte in diesem Moment auch der Reporter selbst sein. Die Antwort auf die an den Journalisten gerichtete Frage, wer er aber denn dann in diesem Falle sei, wird gekonnt quittiert: »Then I’m you«.

Auch mit Charlize Therone in der Rolle der hoch erotischen Britt Ekland, oder mit Sonja Aquino als wahrscheinlich einzige Schauspielerin die das Sexappeal von Sofia Loren tatsächlich auch im echten Leben verkörpert, hat der Regisseur ein ausgezeichnetes Händchen bewiesen. Hopkins hat darüber hinaus ein unwahrscheinliches Gespür für die verschiedenen Kostüme und Filmsets, die er immer wieder mit der Figur der mise-en-abyme zeigt; so wird das Filmset zum eigentlichen Ort der Erzählung und das Kostüm zum wahren Protagonisten. Hopkins baut zum Beispiel den »Warroom« aus Dr. Strangelove oder die »Duschkabine« aus Casino Royal nach und stellt die Szene mit Blick auf das Medium selbst dar.

Faszinierend ist auch jene Szene, in der Sellers als James Bond in seinem Astin Martin eine Serpentienenstraße entlang rauscht, was sich auf den zweiten Blick als Flucht vom „Casino Royal“-Set herausstellt. Damit inszeniert Hopkins eine intelligente Ebene kinematografischer Selbstreferenzialität.

Hopkins hat mit seinem Film gezeigt, dass ein biographischer Film nicht mit seiner geschlossen Handlung für die Echtheit des Inhalts einstehen muss, sondern dass gerade das Gebrochene, Unzulängliche und zuweilen auch Unmögliche einen Zugang zu der Person des Protagonisten schaffen kann, ohne dem Zuschauer dabei ständig vorzugaukeln, dass sich diese, in Wahrheit unmögliche, Aufgabe tatsächlich jenseits des Fantastischen realisieren ließe.

»The Life and Death of Peter Sellers« ist ein Film der sich jenseits der üblichen Genrekonventionen bewegt und gekonnt mit Fakt und Fiktion spielt. Er schafft es, etwas von dem gebrochenen Charakter des Protagonisten zu vermitteln. Damit ist er nicht nur für Fans von Peter Sellers besonders »lesenswert«, sondern auch für all jene, die sich gerne dem Anschein des Scheins hingeben.

The Life & Death of Peter Sellers
(USA/GB 2005)
Regie: Stephen Hopkins; Drehbuch: Christopher Markus & Stephen McFeely
Darsteller: Geoffrey Rush, Charlize Theron, John Lithgow, Miriam Margolyes, Stephen Frey, Stanley Tucci, Emil Watson, Sonja Aquino.
Verleih: Warner Bros. Pictures Germany
122 min.

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