Normal ist, was sich sehen lässt

Einmal im Jahr kommt die Familie Yokoyama zusammen, um des Todestages des ältesten Sohnes zu gedenken. Dieser, so erfährt man sehr früh, kam vor Jahren schon beim Versuch ums Leben, einen kleinen Jungen vor dem Ertrinken zu retten. Für einen lauen Sommertag entführt uns „Still Walking“ in ein kleines Küstenstädtchen, hinein ins Elternhaus von Ryota (Abe Hiroshi) und dessen Schwester Chinami (You), um diesem schönen, melancholischen Ritual beizuwohnen. Wie kaum ein anderer seines Faches versteht es der japanische Autorenfilmer Hirokazu Kore-eda dieses recht ereignislose Geschehen in seinen vielen teils ernsten, teils verspielten und zuweilen auch komischen Abläufen und Schattierungen auszumalen, und dabei implizit die vielen kleinen und großen Geschichten aus dem Familienleben, die Geschäftigkeit und die Ruhe zu erzählen. Die ganze Festivität steht unterm Diktum der Alten, von der Zubereitung des Essens bis zu den nicht abreißenden Sticheleien des Vaters, für den der Zweitgeborene eine konstante Enttäuschung ist. Dieser hat es nämlich versäumt, anders als sein toter Bruder, rechtzeitig in die Fußstapfen von Vater Shohei (Harada Yoshio) zu treten und den Arztberuf zu ergreifen, von dessen Prestige und überragender Wichtigkeit sich der Alte unumstößlich überzeugt zeigt.

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Enough to base a movie on?

Es gehe ihm nicht darum, am Mythos der Doors weiterzuarbeiten, so Tom DiCillo, vielmehr versuche er mit seiner Dokumentation so nahe wie möglich an die Menschen heran zu kommen, die hinter der Musik und den zahllosen kleinen und großen Skandalen stehen. Mit diesem Anspruch kommt „When You’re Strange“ am ersten Juli hierzulande in die Kinos. Ob ihm dies gelingt, darüber lässt sich bei genauerer Betrachtung diskutieren. Filmisch setzt Jim Morrison 1969 den Mythos des abtrünnigen, ewig auf die Suche gerichteten Randgängers  ins Bild. In seinem Roadmoviefragment „HWY – An American Pastoral“, spielt er einen Anhalter, der möglicherweise seinen Fahrer umgebracht hat und nun mit dessen Mustang einen Highway irgendwo in der Wüste hinauf fährt. DiCillo stimmt den Zuschauer gleich zu Beginn durch einige montierte Szenen aus dem Stück ein und lässt eine Männerstimme im Radio die Nachricht vom Tode des Rockstars Jim Morrison verkünden. Die Szene hat zugegebenermaßen etwas Gespenstisches, und genau hierin wird der Ansatz, den DiCillo verfolgt, selbst fiktional, arbeitet sozusagen an einer Übertragung des Mythos weiter. „Enough to base a movie on?“ weiterlesen

Bibelschwarze Flamboyanz

Wenn sich Welt und Scheinwelt nur noch von den nervösen Zeigefingern der Pathologie auseinanderhalten lassen, trifft das meist diejenigen am härtesten, die den Unterschied selbst nicht zu sehen in der Lage sind. In seinem 2008 erschienenen Debütwerk „Franklyn“, für das der Brite Gerald McMorrow auch das Drehbuch schrieb, werden die Geschichten von vier Menschen erzählt, für die diese Grenze auf die eine oder andere Art zu verschwimmen droht. Angesiedelt zwischen der heutigen Metropole London und der düsteren Parallelwelt Meanwhile City machen sich die vier auf, um ihrem Dasein die entscheidende Wendung hin zum Sinnhaften zu geben. „Bibelschwarze Flamboyanz“ weiterlesen

Kafka im Käfig oder vom Zwang kein Häftling zu sein

“Warum gerade jetzt nach vierzig Tagen aufhören? Er hätte es noch lange, unbeschränkt lange ausgehalten; warum gerade jetzt aufhören, wo er im besten, ja noch nicht einmal im besten Hungern war? Warum wollte man ihn des Ruhmes berauben, weiter zu hungern, nicht nur der größte Hungerkünstler aller Zeiten zu werden, der er ja wahrscheinlich schon war, aber auch noch sich selbst zu übertreffen bis ins Unbegreifliche, denn für seine Fähigkeiten zu hungern fühlte er keine Grenze.“ Kafka hatte diese Gedanken einst seinem Hungerkünstler eingegeben. Einer Figur, die sich nicht für Geld sondern für Anerkennung, für Ruhm, für die Unsterblichkeit einer Kunst aufzuopfern wusste. Einer Kunst allerdings, die das Verschwinden betrifft, die sich also nicht im Medium des Überzeitlichen halten lässt, deren Fundament und Dasein vielmehr auf dem Sich-Verschwinden-Machen und auf der aufmerksamen Kontrolle dieses Prozesses durch die anderen beruht. „Kafka im Käfig oder vom Zwang kein Häftling zu sein“ weiterlesen

Erzébet Delpy. Das Grauen lauert hinter dem Gesicht der Schönheit.

„Ich hatte ganz vergessen, dass man auch jung sein kann“, sagt sich Sam Shepard in „Homo Faber“, als vor seiner Nase die gerade mal 21-jährige Julie Delpy eine Treppe hinauf turnt. 19 Jahre sind mittlerweile vergangen und 19 Jahre sind eine lange Zeit. Die Lolita ist mittlerweile eine Frau, deren Leinwandkonterfei zum Sinnieren über den Unterschied von Alter und Reife einlädt. Ebenso wie wir mit zunehmender Reife ein Mehr an Erfahrung, Weltwissen und im Fall der Delpy auch an Charisma gewinnen, erschreckt uns das Alter. „Erzébet Delpy. Das Grauen lauert hinter dem Gesicht der Schönheit.“ weiterlesen

Star Traction

Zwei Dinge, um es kurz zu machen: Jeffrey J. Abrams Fortsetzung der Star-Trek-Saga ist kein „neuer“ Star-Trek-Film und das J. im Vornamen des New Yorker Regisseurs steht nicht für Jim – auch wenn es angesichts des bereits für 2011 geplanten Sequels zum Prequel irgendwie passend wäre. „Star Traction“ weiterlesen

»Ain’t nobody likes the Middle East, buddy.«

Ridley Scott schafft mit der Romanadaption „Body of Lies“ (dt. „Der Mann, der niemals lebte“) einen rasanten Film über den Kampf eines moralisch in die Zwickmühle geratenen CIA-Agenten gegen den Kopf einer islamistischen Terrororganisation. Leider wirkt sowohl der Plot, als auch die sich gegeneinander verschiebenden Stereotype von Orient und Okzident in dieser Konstellation ziemlich abgedroschen. Wie schon seine reale Vorlage – die unter dem Namen „Krieg gegen den Terrorismus“ in die Geschichtsbücher eingehen wird – hockt der Film dem Trugschluss auf, die Hydra müsse lediglich geköpft werden, um den Frieden wieder herzustellen.

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Das Abwassersystem Freundschaft

„Cloaca“ – das bedeutet im Lateinischen unterirdischer Abwasserkanal oder Entwässerungsgraben und bezeichnet auf der anderen Seite die Kloake, den Darmausgang der Vögel und Reptilien, der diesen gleichzeitig als Harnleiter und Geschlechtsorgan dient. Der Künstler Wim Delvoye stellte unter dem Titel „Cloaca“ im Museum of Contemporary Art in Antwerp im Jahr 2000 eine Installation aus, die den menschlichen Verdauungsapparat simulieren sollte. Die Ergebnisse dieser Simulation konnte man, wenn man wollte, übers Internet „erwerben“. „Buying Cloaca shit has never been easier!“ „Cloaca“ lautet auch der Titel eines 2003 unter der Regie von Willem van de Sande Bakhuyzens entstandenen Filmes. Der Titel ist programmatisch, denn er stellt sich die Frage menschlicher Exkremente auf einer ganz anderen Ebene, indem er nämlich die Konstruktion und das Scheitern der Freundschaft von vier Mittvierzigern seziert, deren Lebensentwürfe aus dem Ruder zu laufen drohen. Der Niederländer zeigt dabei, dass Freundschaft eine Aporie ist die es auszuhalten oder an der es zu scheitern gilt.
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1-18-08

Viren und Monster scheinen auf den ersten Blick recht verschiedene Stoffwechsel zu haben. Auf der einen Seite wäre das meist aus natürlichen oder auch hausgemachten Umständen, oder von Atomstrahlen zum wachsen gebrachte Ungetüm, dessen übernatürliche Kraft ausreicht, um es locker mit einer ganzen Armee aufzunehmen; auf der anderen das Virus, das eigentlich gar keinen eigen Stoffwechsel hat und sich definitionsgemäß in einer Zwischenwelt von Leben und Tod verorten lassen muss. Das Virus ist allerdings in der Lage, die Sprache seines Wirtes zu sprechen, um sich in dessen Zellen zu reproduzieren, wohingegen das Monster weitestgehend auf die Überzeugungskraft seiner nackten Präsenz setzt. Matt Reeves‘ „Cloverfield“ schafft es in gewisser Hinsicht, beides zu vereinigen und überschreitet dabei die Grenzen seines eigenen Films.
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Sehen und gesehen werden

Zombies sind einfach nicht tot zu kriegen. So sehr man auch versucht sie loszuwerden, so hartnäckig kehren die Untoten immer wieder aus der Versenkung zurück, um sich am Fleisch unbescholtener Bürger schadlos zu halten. Die Bedrohung ist dabei stets eine innere und zugleich äußere, denn was die Zombies zu Zombies werden lässt, ist – so die plotlogische Erklärung – in aller Regel die Infektion durch ein Virus. „Sehen und gesehen werden“ weiterlesen

Die unendliche Recherche

Anfang der 1970er Jahr erschütterte eine mysteriöse Mordserie die Region um San Francisco. Die Identität des Killers, der sich damals unter dem Pseudonym Zodiac mit kodierten Nachrichten an die Presse wandte, konnte trotz jahrelanger Spurensicherung nie eindeutig geklärt werden, da der Hauptverdächtige vor der Aufklärung einem Herzinfarkt erlag. Und so finden sich fast 40 Jahre später immer noch Gruppierungen und selbst ernannte Experten, die sich mit der Aufklärung dieses Traumas beschäftigen. David Fincher greift in seinem gleichnamigen Film die Geschichte der Zodiac-Morde auf und schafft eine teils gelungene teils langatmige Erzählung um vier Männer, deren Leben auf unterschiedliche Weise vom Killer beeinflusst worden sind.
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Die Befindlichkeit der Montage

Wenn Schnitt und Montage im Film nicht nur als technische Mittel der Herstellung von Linearität gesehen werden, sondern auch als ästhetische Konstitutiva (post)moderner Kunstproduktion, so stellt sich früher oder später die Frage, welche Rolle diese Mittel für den kreativen Schaffensprozess spielen. Jene Schriften, die sich als reine Werkanleitungen verstehen und in einer technischen Beschreibung des Filmschnitts münden – für das Hollywoodkino der 40er und 50er Jahre wurde dieser Ansatz besonders intensiv durchdekliniert –, lassen demnach das Feld unbeachtet, das man, mit Eisenstein gesprochen, eine psychologische Wirklichkeit nennen könnte. Wie lässt sich aber über das Schneiden und Montieren schreiben, ohne sich auf technische Aspekte des Arrangements zu reduzieren? Schnitt und Montage funktionieren immerhin auf Basis notwendiger Regeln der Wahrnehmung, der Technik u.s.w. Wo endet das Handwerk und wo beginnt das intuitive Spiel mit den Möglichkeiten? Nimmt der schöpferische Prozess seinen Anfang am Schneidetisch, oder sind ihm bereits Bedingungen vorläufig, die nicht aus der Sache selbst ableitbar sind? „Die Befindlichkeit der Montage“ weiterlesen

Ein Kannibale als Kulturheros

Was in Mode zu kommen scheint, sind dieser Tage Filme, die sich mit der Aufarbeitung eines bisher unbeleuchteten Kapitels aus der frühen Lebensgeschichte einer Roman- oder Filmfigur befassen. Den Auftakt dazu lieferte das horribel verstümmelte „Texas Chainsaw Massacre – The beginning“ (Kinostart 18. Januar). „Hannibal Rising“ führt die Reihe der Anfänge als ein auf Hochglanz poliertes Gründungsmythos fort, das seinerseits Volksmythen in Form von Märchen und nebenbei die Folterung von Kriegsverbrechern zeigt. Er versucht die Transformation vom Mythos zum Myzel, kommt dabei aber kaum ohne eine schlicht gestrickte Psycho-Logik aus, die dem Film alle die Haken und Kanten nimmt, an denen man sich beim „Schweigen der Lämmer“ seinerzeit noch genüsslich die ein oder andere Blessur holen konnte.
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Die Philosophie der Psychoanalyse

Innerhalb der letzten zwanzig Jahre trat ein philosophisches Problem zunehmend in den Fokus des Interesses, das, bei aller Pauschalität, die man diesem in der Alltagssprache häufig angedeihen lässt, unter den Schlagworten „Gedächtnis und Erinnerung“ zusammengefasst worden ist. In der Kognitionspsychologie, den Geisteswissenschaften und der Hirnforschung sind in diesem Zeitraum die Problemstellungen an den Themenkomplex so zahlreich geworden, dass es nur mit viel Mühe gelingt, sich einen einigermaßen profunden Überblick über das Forschungsfeld zu verschaffen. Doch trotz der Flut an Neuerscheinungen gibt es bis heute keine einheitliche Theorie des Gedächtnisses.
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Verdächtige Verschlagwortung

Die Begriffe „Medien“ und „Kultur“ sind in den vergangenen Jahren derartig infltionär gebraucht worden, dass das Auftreten allein eines von ihnen in einem Buchtitel schon den Verdacht eines zeitgenossenschaftlichen Verschlagwortungsversuchs weckt. Scheinen beide Begriffe auf den ersten Blick jedoch zu weit und zu fraktal in ihrer Bedeutung, um einen Gegenstandsbereich sinnvoll einzugrenzen, so ist es hier der Untertitel des Bandes, der präzisiert: In welchem Verhältnis stehen genuin philosophische Konzepte zu anderen geisteswissenschaftlichen Ansätzen von Medien und Kultur?
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Douglas Kellner – ein Denker der Multis

Douglas Kellner gehört zu den wichtigsten Vertretern einer kritischen Medien- und Gesellschaftstheorie. Seit Anfang der 1980er Jahre bemüht sich der in New York, Tübingen und Paris studierte Philosoph um eine Verbindung der Frankfurter Schule, der französischen Philosophie und der Cultural Studies. Er hat sich im Zuge dessen einer kritischen Analyse postmodernen Denkens zugewandt.
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The Jacket

Thomas Elsaesser kommt in seinem Essay „Was wäre, wenn du schon tot bist?“ auf eine Reihe von Filme zu sprechen, die sich, meist in motivischer Anlehnung an den film noir, mit den Verlust des Gedächtnisses und der damit verbundenen Krise männlicher Identität beschäftigen. Wichtig ist für ihn, dass sich diese Filme, zu denen er unter anderem „Fight Club“, „Lost Highway“ oder „Memento“ zählt, mit der Annahme des Todes des Helden beschäftigen, der sich durch sein Vergessen symbolisch immer auf der Seite der bereits Gestorbenen bewegt. Im Zuge dessen prägt er den Begriff des „post-mortem“-Kinos, Filme also die sich mit dem Vergessen, dem Bemühen um die Wiederholung des Vergessenen und dem Tod auseinandersetzen. Dieses Verhältnis von Vergessen, Wiederholen und Tod bestimmt auch John Mayburys Film „The Jacket“, der in Kürze auf DVD erscheinen wird.
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Reine Anschauungssache

Die Frage, wo der voyeuristische Blick beginnt und wo seine Grenzen liegen, war schon häufig Teil kulturwissenschaftlicher Überlegungen. Spätestens seit Freud gilt die Lust am Sehen auch als essentieller Bestandteil des sexuellen Reizes, der ganz bestimmten Regeln und Formen unterliegt, die es erlauben den Voyeur sehr nuanciert beispielsweise vom Spanner zu differenzieren. Der Voyeur lässt sich in Kunst und Literatur, vor allem in den Darstellungen seit Beginn des 18. Jahrhunderts, aber nicht mehr einfach nur auf ein randgängiges Phänomen reduzieren, er wird zum Schaulustigen, der sich an jeder Art des optischen Reizes zu verlustieren weiß, ohne jedoch diese eindeutig sexuelle Referenz zu erfüllen. Voyeur ist nicht gleich Voyeur. Und dennoch wird dem „Voyeurismus“ noch heute eine gewisse Anrüchigkeit beigemessen, die nicht nur auf das perverse Potenzial des heimlichen Beobachtens zurück zu führen ist, sondern auch ein Urteil darüber darstellt, was man als Angst vor dem Beobachtet-Werden erklären kann.
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