1-18-08

Viren und Monster scheinen auf den ersten Blick recht verschiedene Stoffwechsel zu haben. Auf der einen Seite wäre das meist aus natürlichen oder auch hausgemachten Umständen, oder von Atomstrahlen zum wachsen gebrachte Ungetüm, dessen übernatürliche Kraft ausreicht, um es locker mit einer ganzen Armee aufzunehmen; auf der anderen das Virus, das eigentlich gar keinen eigen Stoffwechsel hat und sich definitionsgemäß in einer Zwischenwelt von Leben und Tod verorten lassen muss. Das Virus ist allerdings in der Lage, die Sprache seines Wirtes zu sprechen, um sich in dessen Zellen zu reproduzieren, wohingegen das Monster weitestgehend auf die Überzeugungskraft seiner nackten Präsenz setzt. Matt Reeves‘ „Cloverfield“ schafft es in gewisser Hinsicht, beides zu vereinigen und überschreitet dabei die Grenzen seines eigenen Films.

cloverfield.jpgHud dokumentiert den Abend. Wer böses will, könnte damit schon alles gesagt sein lassen, was es über die Machart von „Cloverfield“ zu sagen gäbe, denn alles, was in dem Film zu sehen ist, offenbart sich über die verwackelte Handkamera, die von besagtem Hud gehalten wird. Dieser übernimmt nämlich die äußerst gewichtige Aufgabe, auf Robs Abschiedsparty die Gäste zu interviewen und hie und da den anwesenden Frauen in den Ausschnitt zu filmen. Doch plötzlich kippt die Stimmung von Party zur Panik, als eine Explosion die Skyline von Manhattan illuminiert und im nächsten Augenblick der Kopf der Freiheitsstatue wie eine riesige Bowlingkugel an die Flanke eines gegenüberliegenden Gebäudes kracht, um vor der Haustür der Partygemeinschaft zum Stillstand zu kommen.

Etwas greift die Stadt an. Die Freunde entschließen sich zur Flucht, die jedoch tragisch unterbrochen wird. Als dann noch Robs Ex-Geliebte Beth aus ihrer zerstörten Wohnung anruft, und Rob um Hilfe anfleht, entschließt sich dieser, den gefährlichen Weg durch die Stadt zu nehmen. Begleitet von Hud, Lilly und der schüchternen Marlena beginnt eine Tour de Force durch die von einem ungetümen Monster terrorisierte Stadt, durch nachtschwarze U-Bahn-Schächte und dicke Staubwolken einstürzender Hochhäuser. Der Umstand, dass diese Hetzjagd aus der Ich-Perspektive gezeigt wird, reißt den Zuschauer mitten ins Geschehen dieses unglaublichen Ereignisses.

Reeves bedient sich bei der Montage der Szenen eines interessanten und stellenweise sehr witzigen Kniffs: Im Rekorder war nämlich ein älteres Band, das Rob und Beth in idyllischer Zweisamkeit auf Coney Island zeigt, einem technizistischen locus amoenus, dessen Zerstückelung auf Band die Zerstörung der Freiheitsstatue wiederholt und somit auf die Gewalt des Mediums selbst referiert. Überhaupt reinszeniert die symbolische Kastrierung, die Kombination aus Handkamera und apokalyptischem Szenario die allseits bekannten Amateurbilder der Terroranschläge vom 11. September; eine Ästhetik also, die den Terrorismus als den Einbruch einer von außen kommenden Krise in die „heile“ Welt des amerikanischen Traums ins Bild setzt. „Cloverfield“ bleibt jedoch nicht bei der filmischen Reinszenierung youtube’scher Katastrophenästhetik stehen. Seine Verwicklung mit der zugehörigen Marketingkampagne reflektiert zusätzlich auf die fatalen Strategien des Films.

Alles fing nämlich mit einem kurzen Trailer im Vorspann zu „Transformers“ an, der 2007 ins Kino kam. Eine mit der Handkamera gefilmte Partyszene schlug plötzlich in Panik um, was schließlich im oben bereits erwähnten Aufschlagen des abgerissenen Kopfes der Lady Liberty kulminierte. Außer dem Datum 01-18-08, das von nun an als die Markierung einer Grenze etabliert war, gab es jedoch keine weiteren Informationen zu dem bevorstehenden Kinoereignis. Der Trailer gab Anlass zur Spurensicherung und wer gewillt war, sich auf das Spiel einzulassen, konnte sich bald in einer breiten Community von Hinweissuchenden wieder finden.

Wie sich im Laufe der Zeit herausstellte, war der Trailer Teil einer ausgeklügelten Marketingkampagne aus der Schmiede des „Lost“-Machers J.J. Abrams, die jedoch nicht mit dem gezielten Streuen einzelner Teaser haltmachte, sondern eine eigene ausgewachsene Legende im Internet platzierte. Ein Netzwerk von japanischen Scheinfirmen, fingierten Videoblogs und MySpace-Seiten beschwor in guter Mystery-Manier eine unheimliche Geschichte über das Verschwinden eines Protagonisten (der im Film jedoch nicht auftaucht) und über geheime Experimente auf einer Bohrplattform vor der Ostküste der USA, die irgendwie in Zusammenhang mit dem Modegetränk „Slusho“ zu stehen schienen. Alles zusammen ließ sich als Geschichte rekonstruieren, die, wie sich später herausstellte, mit Teilen der Rahmenhandlung verwachsen war.

Das interessante an dieser Strategie war die Unmöglichkeit, sie unter Kontrolle zu halten, denn binnen weniger Monate wurde so viel Legende um die Legende gerankt, dass es teilweise nicht mehr möglich war, die sich formierenden Blogs und Internetseiten von den ursprünglich platzierten Hinweisen zu trennen. Die Kampagne hatte sich viral ausgebreitet. Gegner derartiger Kampagnen – wie sie im übrigen auch bei „Blair Witch Project“ zum tragen kamen – werden wahrscheinlich an dieser Stelle mit Burroughs einwenden: Für jemanden, der es gewohnt ist, ein gutes Komplott einzufädeln, ist sowas ein Kinderspiel. Doch der Fall scheint komplexer zu sein.

Die Störungen, die das Denkmodell des Virus im Allgemeinen zu verstehen geben, schlagen sich, wie Jacques Derrida beispielsweise zusammenfasst, als Kontrollverluste von Handel, Polizeiapparat, Militär etc. nieder, d.h. also in den Grundstrukturen von Staat und Gesellschaft. Der Verlust von Kontrolle – der im übrigen an eben diesen Beispielen abgearbeitet wird – geht im Film zwar auf das Monster zurück, dass hier als plötzlicher und nicht verstehbarer Einbruch von außen inszeniert wird, aber das Monster ist ebenso Ausgeburt der viralen Kampagne, mit deren Inszenierung es seine Existenz teilt. Man kann also sagen, und hier dürfte die eklatanteste Gemeinsamkeit zwischen Virus und Monster bestehen, dass der Verlust von Kontrolle im Zeichensystem des Films wiederholt wird.

Es lässt sich also feststellen, dass „Cloverfield“ mit seiner Kampagne aufs engste verwachsen ist, dass sich beide nicht voneinander trennen lassen. Das bedeutet zwar nicht, dass der Film ohne sein Marketing nicht funktionieren würde, es zeigt aber sehr wohl, dass dem Supplement der Werbung, das von vielen Kritikern eher abwertend kommentiert worden ist, eine eigentümliche Künstlichkeit zukommt, die sie mit dem Filmereignis nicht zuletzt ästhetisch verknüpft. Der Blick auf die Legende lohnt ebenso, wie der Blick auf das Monster. Beide sind sowohl vor, wie auch nach 01-18-08 effektiv.

Cloverfield
(Cloverfield, USA 2008)
Regie: Matt Reeves, Drehbuch: Drew Goddard, Kamera: Michael Bonvillain, Schnitt: Kevin Stitt
Darsteller: Lizzy Caplan, Jessica Lucas, T.J. Miller, Michael Stahl-David, Odette Yustman
Länge: ca. 85 Minuten
Verleih: Universal

Eine Antwort auf „1-18-08“

  1. Vielen Dank für die exzellente Film-Kritik, in der endlich die monströse Viralität bzw. virale Monströsität des Projektes erkannt und zum Ausdruck gebracht wurde. (In bisherigen Kritiken zu diesem Film in anderen Quellen fand ich lediglich das Hervorheben der Relevanz des Viralen im Bezug auf Umsatz).

    Der Film an sich hat mehrere Dimensionen (wie übrigens die meisten Produktionen von „Bad Robot“). Einerseits ist es ein Action-Thriller (für die uneingeweihte Zuschauer), andererseits ist es eine Antwort auf die unzähligen Spekulationen im Vorfeld.

    Ich persönlich fand gerade die Verbindung zwischen der viralen Vorgeschichte und den im Film verstreuten Hinweisen einzigartig und revolutionär. Die Idee, einen klischeehaften Monsterfilm aus einer unkonventionellen, und gleichzeitig naheliegenden Perspektive der kleinen Menschenfiguren zu zeichnen, ist an sich genial. Denn hier werden die Sci-Fi-Erkenntnismerkmale von Todorov am besten visualisiert: die Bewunderung über die Geschehnisse, das befremdende Erleben des Anomalen. Leider trifft man auf diese Merkmale in Sci-Fi-Filmen nur noch selten, denn dort wird des öfteren vorausgesetzt, dass die fantastische Welt bereits zur Normalität geworden ist (was nach Todorov für das Märchenhafte spricht).

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.