Erzébet Delpy. Das Grauen lauert hinter dem Gesicht der Schönheit.

„Ich hatte ganz vergessen, dass man auch jung sein kann“, sagt sich Sam Shepard in „Homo Faber“, als vor seiner Nase die gerade mal 21-jährige Julie Delpy eine Treppe hinauf turnt. 19 Jahre sind mittlerweile vergangen und 19 Jahre sind eine lange Zeit. Die Lolita ist mittlerweile eine Frau, deren Leinwandkonterfei zum Sinnieren über den Unterschied von Alter und Reife einlädt. Ebenso wie wir mit zunehmender Reife ein Mehr an Erfahrung, Weltwissen und im Fall der Delpy auch an Charisma gewinnen, erschreckt uns das Alter. die-grafinAuf der einen Seite ist das innere Heranwachsen immer schon zum Preis des äußeren Verfalls erkauft, den wir fürchten, denn seine Begleiter sind Krankheit, Tod und das Risiko vielleicht irgendwann nicht mehr geliebt sondern abgeschoben zu werden. Auf der anderen Seite verziert die Zeit den Körper und in besonderem Maße das Gesicht mit ihren komischen Girlanden, die sich weder konservieren noch abwaschen lassen. In diesem Prozess tritt eine schreckliche Schönheit zu Tage, deren melancholisches Memento am ehesten noch im Brown-Sister-Zyklus des Photographen Nicholas Nixon oder in den Vaterportraits von Richard Avedon zu finden ist.

Dass es in Julie Delpys „Die Gräfin“ um die zuweilen schmerzhafte Diskrepanz zwischen einer Schönheit geht, die es im unerschütterlichen Glauben an ein Ideal jugendhafter Unbeschädigtheit zu konservieren gilt, und einer Schönheit, die sich eben nur im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte zeigt, ist kein Zufall. „Die Gräfin“ handelt von eben diesem Thema, das mindestens genau so alt ist, wie die ersten Zivilisationen die erkannt haben müssen, dass Repräsentation Macht bedeutet und deren absurde Übersteigerung uns nicht zuletzt durch die botoxgeschwollenen Lippen eines Mickey Rourke auf den Titelseiten der Klatschpresse entgegenlächelt.

Sie selbst genieße das Älterwerden, sagt die Delpy in einem Interview. „Älter zu werden bedeutet auch, dass man am Leben geblieben ist.“ Doch von welcher Art Leben erzählt die Geschichte der Báthory, für deren jüngste Nacherzählung Julie Delpy nicht nur das Drehbuch geschrieben hat, sondern diese auch sehr überzeugend spielt. Sie war eine schöne und herrische Frau mit viel Macht und Einfluss. Sogar der ungarische König Matthias II soll zu ihren Schuldnern gezählt haben. Ziemlich sicher hätte sie de Sade, wenn er sie denn gekannt hätte, ein „tierisches Heulen“ entlockt. Ähnlich der Figur Gilles de Rais‘, der, wie Bataille sagt, letztlich ein Opfer seiner Zeit gewesen sein muss, so wird auch die Geschichte Erzébet Báthorys als Chronik intriganter Machenschaften erzählt.

Nach dem Tod ihres Mannes Ferien Freiherr Nádasdy (Charly Hübner) wirbt ihr Cousin Gyorgy Thurzo (William Hurt) um die mächtige Frau. Als diese ihn jedoch zurückweist und stattdessen gegen alle Konvention mit seinem viel jüngeren Sohn Istvan (Daniel Brühl) eine Liebesaffäre beginnt, ist die Keimzelle gesät für den großen Verrat. Der Vater zwingt den Sohn nach Dänemark zu reisen, um sich dort anderweitig zu verheiraten. Mit Hilfe des Grafen Dominic Vizakna (Sebastian Blomberg) gelingt es ihm, Erzébet glauben zu machen, dass sie von Istvan zu Gunsten einer Jüngeren verschmäht worden sei. Anstatt jedoch das Komplott  zu wittern,  steigert sich die zutiefst gekränkte Frau in den Wahn hinein, Istvan hätte sie wegen ihrer vom Alter aufgezehrten Schönheit verlassen.

In einer schicksalhaften Szene – die einzige in der sich die Báthory im Spiegel betrachtet – entdeckt sie die angeblich verjüngende Wirkung des Jungfrauenblutes. Bezeichnenderweise ist diese Spiegelszene eine des Ekels. Ihr Gesicht gleicht dem einer alten, halb verrotteten Frau, deren Tränensäcke bereits bis auf die Wangenknochen heruntergeschlafft sind. Der Ekel vorm eigenen Verfall, auch wenn er nur imaginiert erscheint, lässt die Figur kippen, von einer schrecklichen und verzweifelten Frau in eine souveräne Mörderin. Mit einer schweren Haarbürste prügelt sie in wutschwangerer Verzweiflung auf die ungeschickte Zofe Bertha (Anna Maria Mühe) ein. Das verspritzte Blut trifft das Gesicht Erzébets, wo es sofort seine Wirkung zu entfalten scheint. Die Furchen in der Haut verschwinden und im Spiegel erkennt sich die Báthory als junge Frau wieder.

Was danach kommt ist Teil des Mythos um die Blutgräfin, der eigentlich erst 100 Jahre später  entstanden ist. Um ihren Bedarf an frischem Blut zu stillen, lässt sie immer mehr junge Mädchen entführen und in einem eigens dafür konstruierten Käfig ausbluten, bis ihr eines Tages durch das Zutun Vizaknas der Klerus auf die Schliche kommt. Der alte Thurzo überzeugt den König davon, dass es das Beste sei, der Báthory den Prozess zu machen, sie jedoch nicht als Hexe verbrennen sondern stattdessen der Aufsicht des Alten unterstellen zu lassen. Damit ist der König auf einen Schlag schuldenfrei und Thurzo der Verwalter der gräflichen Güter. Perfiderweise setzt der machthungrige Intrigant niemand anderen als seinen Sohn Istvan als Chefinquisitor ein. Erzébet wird im Turmzimmer ihrer Burg Čachtice eingemauert und soll bis zu ihrem Tod noch über drei Jahre im Dunkeln vegetieren.

Ob es sich bei Julie Delpys Version der Geschichte nun um eine authentische Rekonstruktion des Falles handelt oder nicht, lässt sich kaum entscheiden und spielt eigentlich auch keine Rolle. Wahrscheinlicher ist, dass „Die Wahre Geschichte der Erzébet Báthory“, wie der Untertitel prophezeit, wohl auch bei genauester Quellenforschung immer nur am Mythos arbeiten kann, der wiederum andere Mythen speist. Viel interessanter ist, das hier ein neuer Typ von Vamp auftaucht, dessen amoralische Konstitution kein Urteil über die Falschheit oder Richtigkeit ihrer Taten zulässt. Inszenatorisch ist Delpys Version der Legende entgegen der archaischen Vorstellung  vom sprichwörtliche Blutbad weit entfernt von den berühmten Hammer-Gemetzeln in „Countess Dracula“ oder den verstörend surrealistischen Mordphantasien in „Mondo Weirdo“.

Die Tatsache, dass das Leben der Báthory erst viel später zu dem umgedichtet worden ist, was dann als Figur der Blutgräfin in unzähligen Horrorschinken für einen ziemlichen Verschleiß an Kunstblut gesorgt hat, löst die ambitionierte Französin mit einem geschickten Kunstgriff. Trotz einiger expliziter Szenen, die das Ausbluten der Mädchen oder deren halbverscharrte Kadaver zeigt, bleit man doch bis zum Schluss im Unklaren darüber, ob alles nicht bloß ein Phantasiegebäude war. Gerade am Ende als die Leichen entdeckt werden, die angeblich im Keller der Burg verrotten, verweigert die Regisseurin den erlösenden Blick in die Mördergrube. Bestärkt wird dies noch durch das betont oberflächliche Mimenspiel der Protagonisten und der Eindruck will nicht weichen, dass alles nur Maskerade war. Wenn es sich aber nur um historisierten Mummenschanz handelt und also eine Blutgäfin als solche nur vielleicht existiert hat, stellt sich die Frage, wie Julie  Delpy das Überzeitliche der Figur herausarbeitet.

Die äußerste Kaltblütigkeit, mit der die Báthory ihre Morde begeht, ist letztlich, wie Bataille von der historischen Figur sagt, nicht eine de Sade’sche Obsession für’s Böse, wenngleich die zu überschreitende Grenze wahrscheinlich die selbe bleibt. Die Báthory steht für ein Grundbewusstsein der menschlichen Natur, Schreckliches zu tun, weil sie Schreckliches erfährt. So ist die Blutgräfin Sinnbild für die „Gewalt des Schrecklichen“, dem der Mensch sich zu öffnen hat, um die Spanne seiner Natur voll auszumessen. Julie  Delpy stellt Erzébet jedoch auch als einen Menschen vor, der bis zur Verzweiflung zur Liebe fähig ist. Eben diese extreme Differenz von kalter berechnender Gewalt nach Außen und innerem Verzehren nach Liebe macht sie als literarisches Motiv außergewöhnlich. Für „Die Gräfin“ bedeutet dies aber ein verstörendes Identifikationsangebot, da man die Figur eben nur als eine differente erfährt. Die Liebende droht jederzeit ins Disparate, Monströse zu kippen.

In diesem Sinn kehrt die Delpy jedoch die Angst vorm Altern um. Der Schrecken ist für uns, der wir dieser zwingenden Figur die ganze Zeit über nicht von der Seite weichen, sie sogar bis ins lichtlose Schwarz ihres Verlieses begleiten und doch nicht wissen, was wahr und was falsch ist am Mythos, eben nicht mehr der vor dem Alter. Der Schrecken ist der davor was passieret, wenn jemand eben nicht mehr altern will. In der Figur sind prototypisch  jene Mechanismen konservierter Schönheit angelegt, die grausam, monströs und von der Idee eines zeitlosen Ideals ausgegrenzt sind. Eine Monstrosität also die längst schon zur Normalität geworden ist. Darum schreckt sie uns nicht mehr. Das verschüttete Bewußtsein vor dem Schrecklichen, dass sich hinter einem attraktiven, begehrenswerten, makellosen Gesicht verbirgt, tritt in Delpys Báthory hervor.  Sie ist das Grauen, das Hinter diesem Gesicht lauert.

Die Gräfin

(The Countess, FR/D 2009)

Regie: Julie Delpy; Drehbuch: Julie Delpy; Musik: Julie Delpy; Kamera: Martin Ruhe

Darsteller: Julie Delpy, Daniel Brühl, William Hurt, Anamaria Marinca u.a.

Länge: 98 Minuten; Verleih: X Verleih

Kinostart: 25. Juni 2009 (9. Februar 2009 Berlinale)

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