Zurück zum Kerngeschäft (mit Knöpfen)

Mit seinem humorvollen Schocker ist Sam Raimi sozusagen zum Kerngeschäft zurück gekehrt. „Drag me to Hell“ erinnert streckenweise an sein stilbildenes Horrorfilm-Debüt „The Evil Dead“ von 1982. Seinerzeit wurde das so genannte Buch des Todes verlesen, in dem es unter andrem hieß: „It deals with demons“. Diese Dämonen hat Raimi erneut entfesselt in seiner gelungenen Mischung aus effektvollen Grusel-Szenen im „Poltergeist“-Stil und metaphysischem Slapstick, bei dem wieder viele Körperflüssigkeiten austreten und Augäpfel aus den Höhlen springen.

dtmh_posterIm Unterschied aber zur Evil-Dead-Trilogie, die von einem jungen Mann erzählte, steht nun – wie sollte es anders sein? – eine Frau im Zentrum des Geschehens. Und anders als der comichafte Held Ashley aus der Eisenwarenabteilung eines Kaufhauses entwirft Raimi, der das Buch zusammen mit seinem Bruder Ivan schon vor 10 Jahren konzipierte, einen nuanciert gezeichnete Charakter mit Vergangenheit und psychologischer Tiefenschärfe. Da Raimi in seinem eher ‚kleinen’ Film mehr oder weniger bewusst auf Stars verzichtete, konzentriert sich die Aufmerksamkeit auch mehr auf die ausgefeilte Geschichte als auf das Charisma eines berühmten Akteurs.

Die junge Kreditsachbearbeiterin Christine, eine Hinterwäldlerin von der Farm, welcher der zweifelhafte Ruhm einer „Schweinefleisch-Königin“ noch irgendwie anhaftet, hat die Beförderung zur Filialleiterin vor Augen und muss sich gegen das geschlechtsspezifische Mobbing ihres tranigen Chefs und ihres Konkurrenten behaupten. Um ihr Ziel zu erreichen, muss sie trotz ihres schlechten Gewissens den Hypothekenkredit einer tattrigen Zigeunerin namens Mrs. Ganush kündigen und die Alte auf die Straße setzen – die Hypotheken- und Bankenkrise lässt grüßen.

Dass diese einäugige Zigeunerin – ein diffuser, negativ konotierter Begriff, den man bei politisch korrekter Beschreibung nicht verwenden sollte, der sich aber in diesem Kontext mehr als aufdrängt – mit ihrem schleimigen Auswurf und ihrem Gebiss, das sie auf dem Schreibtisch der Bankerin platziert, sich als prototypische Schnorrerin erweist, entspricht einerseits einer rassistischen Form der Exploitation (die wir bereits aus dem stilistisch ähnlichen Dämonenfilm „Constantine“ kennen). Andererseits ist diese hexenartige Alte, deren Züge stark an die Monster-Mutter aus Jacksons „Braindead“ erinnert, eine buchstäbliche Verkörperung von Christines schlechtem Gewissen und ihrer Herkunft – über die wir nur indirekt etwas erfahren. Christine hat nämlich zu ihrer Mutter, eine zurückgezogen lebende Alkoholikerin, die im Film nicht auftaucht, keinen Kontakt.

dmth1Nach einem absurden und faszinierenden Kampf in der Enge eines Kleinwagens, bei dem alle möglichen Ekelvorstellungen bis hin zum Zutackern eines Auges förmlich durchdekliniert werden, verflucht die Alte Christine. Obwohl die merkwürdigerweise sehr kräftige und robuste Furie Christine in Stücke hätte reißen können, rupft sie ihr lediglich einen Knopf vom Mantel ab, um aus ihm ein verfluchtes Objekt zu machen.

Das eigentlich verbrauchte Genrethema des Fluches hat Raimi bereits in „Evil Dead“ originell eingesetzt. Das abgespielte Tonband eines Forschers, der seine Lektüre des „Buchs des Todes“ aufzeichnete, führte dazu, dass der Fluch durch die Stimme des Wissenschaftlers hier und jetzt wirksam wird. In „Drag me to Hell“ erhält nun der verfluchte Knopf – nicht zuletzt dank dem Bezug auf Freud und Jung, den der Film selbst herstellt – eine schillernde Bedeutung: die der Film aber niemals nach dem Motto „bedeut! bedeut!“ extrapoliert.

Vorder gründig betrachtet, ist „Drag me to Hell“ nämlich in erster Linie ein handwerklich virtuoser Horrorfilm, in dem ca. alle zehn Minuten ein neuer Grusel-Höhepunkt folgt. Der Film funktioniert erstaunlich gut, weil Raimi die gesamte Klaviatur des Horrors souverän spielt. Während man sich in der einen Szene vor klapperndem Geschirr und düsteren Schatten ängstigt, nimmt das Grauen schon im nächsten Moment eine körperliche, allzu körperliche Gestalt an. Entsprechend liegen auch die Angst und das – nicht immer befreiende – Lachen dicht beieinander.

dmth2Auf einer vermeintlich tieferen Ebene – die man aber nicht unbedingt entschlüsseln muss, um sich zu amüsieren – kann man den Fluch, bei dem Christine von einem Ziegenbock namens Lamia heimgesucht wird, auch als unbewusstes Echo des so genannten „Zickenalarms“ sehen. Nicht zufällig scheint Christine die einzige zu sein, die diesen Horror wahrnimmt. So gesehen, ist ihr Kampf gegen den Ziegenbock bzw. die alte Zigeunerin eine visualisierte Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Mutter – die ihre Tochter nicht gehen lassen will. In Christines Kämpfen mit dem Geist der Alten gibt es immer wieder eklig schmatzende, homoerotisch anmutende Umarmungen.

Christine muss sich von dieser tyrannischen Mutter lösen, weil sie einen jungen Mann an sich binden und dessen Eltern bei einem obligatorischen Besuch beeindrucken will. Die Implikationen dieses ersehnten sozialen Aufstiegs werden von Raimi sehr präzise ausgeleuchtet, ohne dass die Geschichte überdeutlich psychologisieren würde. Der lärmende Ausbruch des Grotesken – bei dem z. B. eine Fliege, die Christine verschluckte, zur unpassenden Zeit wieder aus ihrem Mund herauskommt – ist eine chriffrierte Darstellung ihres Kampfes gegen eine allzu anhängliche Muttergestalt, die diesen Aufstieg zu verhinder sucht. Dabei gelingen unglaublich humorvolle Bilder: Bei der großen Seance etwa, zu der Christine mit einem Medium und zwei Esoterikern den Dämon überlisten wollen, sitzt eine echte Ziege meckernd mit am Tisch. Großartig.

Unterschwellig entwickelt sich die nur scheinbar simple Handlung entlang einer subtilen Serie von Tauschvorgängen. Zunächst schenkt Christine ihrem Freund eine seltene Münze – eine Szene, die man später natürlich vergisst, ohne sie wirklich zu vergessen. Diese Gabe erhält ihre Bedeutung im Zusammenhang mit jenem Knopf, der von der alten Zigeunerin verflucht wird: Das Objekt, das Christine loswerden muss, kommt immer wieder zu ihr zurück. Unterschwellig deutlich wird damit Christines Problem: Sie muss ein gewisses „Etwas“ irgendwie loswerden, das ihr auf intime Weise angehört – aber das funktioniert nicht.

dmth3In der wohl komischsten Szene rät der indische Wahrsager Rham Jas, Christine möge den Lamia mit einem Tieropfer zu besänftigen. Wie viele Frauen besitzt Christine eine Katze, deren fetischhafte Bedeutung als „Objekt“ als indirekter Kommentar zur eigentlichen Bedeutung des verfluchten Knopfes lesbar wird. Das in einem witzigen Plakat angedeutete Katzenopfer wird natürlich nicht unmittelbar bebildert – obwohl der Film ansonsten nicht zimperlich ist.

Am Ende gräbt Christine die Leiche der alten Zigeunerin aus, um ihr das vermaledeite Objekt zurück in den Rachen zu stecken, von wo es – als ausgesprochenes Wort – schließlich herkommt: Die Bedeutung der Sprache klingt in einer beiläufigen Szene ganz zu Anfang an, als Christine in ihrem Wagen via Kassette einen Kurs in Hochsprache absolviert: „Es gibt keine Qual bei der richtigen Wortwahl. Ist die Aussprache gesund, bleibt der Mund immer rund“. In der Synchronisation wird diese Anspielung leider kaum mehr nachvollziehbar.

Alles scheint gut zu werden. Zum finalen Date mit ihrem Freund Clay, der mit ihr verreisen will, kauft Christine mit letzter Anstrengung noch (obwohl der Laden geschlossen hat) einen neuen Mantel, dem nun kein Knopf mehr fehlt. Sie ist also wieder makellos – aber genau das scheint das Problem zu sein. Denn als ihr Freund Clay sie in der Schluss-Szene darauf aufmerksam macht, dass sie jenen Briefumschlag, in dem seine Münze sich befindet, mit dem vertauschte, in dem der verfluchte Knopf ist, wird irgendwie deutlich, dass Christine dieses „Objekt“ nicht wirklich loswerden will. Genauer: die Handlung des Films widerlegt ihre scheinbar eindeutigen Bemühungen, den Fluch loszuwerden. Und so öffnet sich auf dem Bahnsteig der Schlund der Hölle – der mütterliche Inzest – um sie zu verschlingen.

Drag me to Hell
(USA 2009)
Regie: Sam Raimi; Buch: Sam & Ivan Raimi; Musik: Christopher Young; Kamera: Peter Deming; Schnitt: Bob Murawski
Darsteller: Alison Lohman, Justin Long, Lorna Raver, Dileep Rao, David Paymer u. a.
Länge: 99 Minuten
Verleih: Universal Pictures

Manfred Riepe

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