Thomas Elsaesser kommt in seinem Essay „Was wäre, wenn du schon tot bist?“ auf eine Reihe von Filme zu sprechen, die sich, meist in motivischer Anlehnung an den film noir, mit den Verlust des Gedächtnisses und der damit verbundenen Krise männlicher Identität beschäftigen. Wichtig ist für ihn, dass sich diese Filme, zu denen er unter anderem „Fight Club“, „Lost Highway“ oder „Memento“ zählt, mit der Annahme des Todes des Helden beschäftigen, der sich durch sein Vergessen symbolisch immer auf der Seite der bereits Gestorbenen bewegt. Im Zuge dessen prägt er den Begriff des „post-mortem“-Kinos, Filme also die sich mit dem Vergessen, dem Bemühen um die Wiederholung des Vergessenen und dem Tod auseinandersetzen. Dieses Verhältnis von Vergessen, Wiederholen und Tod bestimmt auch John Mayburys Film „The Jacket“, der in Kürze auf DVD erscheinen wird.
In „The Jacket“ geht es um die Geschichte eines an Amnesie leidenden Trauma-Patienten, der sich unter den Bedingungen der Klinik an seinen eigenen Tod erinnert. Die metaphorische Annäherung an das Aktualisieren von Gewesenem kommt dort eben deshalb so gut zur Darstellung, weil sich der Film des Motivs der Zeitreise bedient, um einen Blick auf das Phänomen des Gedächtnisses und die damit verbundenen Probleme zu werfen. Der Tod Des Helden, der erst in einer antizipierten Zukunft verortet und wiederholt werden kann, aber in der Vergangenheit bereits erinnert wird, thematisiert somit einen für die Zukunft aufbewahrten Tod – ein Archivmodell also.
Jack Stark (Adrien Brody) kehrt, durch einen Kopfschuss traumatisiert aus dem Irak-Krieg zurück. Er leidet an Amnesie, kann sich nur noch fragmentarisch an die Ereignisse erinnern, die ihn seiner Identität und damit seines früheren Lebens beraubt haben. Plötzlich findet er sich auf der Anklagebank wieder: Er habe einen Polizisten auf einer Landstraße erschossen. Jack kommt daraufhin in eine geschlossene Anstalt, wo er zunächst wegen seiner angeblichen Gewaltausbrüche behandelt wird. Doch bald schon nimmt der Leitende Nervenarzt Dr. Becker (Kris Kristofferson) eine gewagte und vor allem verbotene Therapie an ihm vor. Jack wird in eine Zwangsjacke gesteckt, mit einem psychoaktiven Serum versorgt und für mehre Stunden in eine Die Schublade eines Leichenkühlschranks gesteckt. Anstatt jedoch auf seine Gewaltausbrüche anzusprechen, sieht sich Jack plötzlich in die Zukunft versetzt, wo er Jacky (Keira Knightley) trifft, die er damals, vor dem Polizistenmord als kleines Mädchen mit ihrer Mutter zusammen auf der Landstrasse getroffen hat. Er erfährt in der Zukunft, dass er sterben wird, bekommt das genaue Datum heraus und beginnt mit Jackys Hilfe eine „post-mortem“-Recherche anzustellen, um die Umstände seines Todes zu klären.
Man kann sagen, dass sich „The Jacket“ gut in das von Elsaesser postulierte Genre des „post mortem“-Kinos einreiht. Alles in allem spannend erzählt, kommt er hier und da etwas zu emphatisch und lässt in manchen Erzählpassagen die sich anbahnende Romanze der beiden Hauptfiguren zu sehr in den Vordergrund treten. Dies wirkt sich auch ruinös auf das Ende aus, das man sich, wie bei vielen Hollywood-Produktionen der letzten Jahre, vielleicht anders gewünscht hätte, ganz gewiss aber besser – sprich weniger kitschig – hätte machen können.
Das metaphysische Problem, wie ein Gedächtnis zu erkunden sei, das sich in vollkommener Abwesenheit befindet, wird hingegen recht originell gelöst. War bei „Memento“ noch die Körperoberfläche der Träger des Gedächtnisses, so wird hier der Körper selbst in ein Archivsystem eingespeist, in dem er in Derrida’scher Manier den eigenen Tod, also den Tod des Archivs-„Körper“ vorfindet. Dies wird filmtechnisch recht gut als Zeitreise metaphorisiert. Jacks paradoxer Zustand in der Black Box bleibt für den Zuschauer jedoch über weite Strecken rätselhaft, was dem Film seine nötige Spannung und das Motiv zum weiterschauen gibt.
„The Jacket“ ist ein Film, der, entgegen der Ankündigung als Nerven zerrender Psychothriller, keineswegs aufgeregt ist, umgekehrt aber auch nicht aufregt. Dort wo eine Kritik an der „Erfindung der Geisteskrankheit“ und dem Klinikbetrieb versucht wird, ist er eindeutig zu zahm. Dies ist, wie man vermuten kann, durchaus auf die beruhigende Ausstrahlung und die stoische Gelassenheit von Brody zurück zuführen, die seinerzeit unter den Händen Polanskis („Der Pianist“) noch eine Waffe war, hier jedoch zu wenig aufwühlt, um wirkliche Kritik zu transportieren. Dennoch gehört „The Jacket“ zu den besseren Filmen, der letzten Zeit und es ist erstaunlich, dass er trotz des Staraufgebots nicht im deutschen Kino released wird, sondern als DVD-Premiere erscheint. Wie diese jedoch aussieht bleibt – angesichts der wenig aussagekräftigen Qualität der Presse-Version – abzuwarten.
The Jacket
(USA 2995)
Regie: John Maybury, Buch: Massy Tadjedin, Musik: Brian Eno, Kamera: Peter Deming, Schnitt: Emma E. Hickox
Darsteller: Adrien Brody, Keira Knightley, Kris Kristofferson, Jennifer Jason Leigh, Kelly Lynch, Brad Renfro u.a.
Länge: 103 Minuten
Verleih: Constantin
Sehr treffend geschrieben die Kritik. Erwähnen möchte ich noch die grandiese Vorstellung von Kris Kristofferson als psychopathischen Arzt. Allein deswegen lohnt es sich den Film anschauen.