Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Ende ohne Schrecken

John Carpenters Film „Assault on Precinct 13“ (hierzulande unter den Titeln „Das Ende“ oder „Anschlag bei Nacht“ erschienen) zählt zu den kompromisslosesten Actionfilmen seiner Zeit. Unvergessen sind jene Sezenen der Belagerung der Polizeistation durch eine Verbrecherbande, die mit einem der darin Gefangenen eine Rechnung begleichen will. Unerreicht die Kaltblütigkeit und der Zyninsmus, die der Film ausstrahlt, wenn er nicht einmal Halt vor der ansonsten tabuisierten Opferung von Kindern macht. Jean-François Richet hat den Stoff nun nach fast 30 Jahren erneut inszeniert und versucht das Original zu überholen – holt es dabei aber nicht einmal ein.

Der Film wartet mit einem Prolog auf: Sgt. Jake Roenick (Ethan Hawke) veruscht als verdeckter Ermittler zusammen mit zwei Kollegen einen Ring osteuropäischer Drogendealer auszuheben. Als die Falle auffliegt, werden Jakes Leute aufgrund seiner falschen Instruktionen bei einem Feuergefecht getötet. Danach ist Jake ein anderer. Unfähig Einsätze zu koordinieren verbringt er seine Dienstzeit am Schreibtisch. Als sein Revier (das titelgebende „Precinct 13“) an Sylvester 2004 aufgelöst werden soll und ein Schneesturm einen Gefangenentransport dort zum Halten zwingt, gelangt Jake wieder in die Rolle, aus der er mit Hilfe von Alkohol und Tabletten zu fliehen gehofft hatte. Einer der Inhaftierten, welche die Nacht im Revier verbringen sollen, ist Marion Bishop (Lawrence Fishburne), ein bekannter Cop-Killer und – wie sich herausstellt – potenzieller Kronzeuge in einem Korruptionsskandal, der die Polizei selbst betrifft. Diese Polizisten sind Bishop nun auf den Fersen und wollen mit allen Mitteln verhindern, dass er vor Gericht von der Beteiligung der Polizei an seinen krummen Geschäften aussagt. Kurzerhand entschließt man sich, alle Insassen des Polizeireviers, die Gefangenen wie die Beamten, zu töten. Ein Belagerungszustand beginnt.

In der Basis-Erzählung dem Original von Carpenter sehr ähnlich weicht Richets Film vor allem in der Wahl der Gegner ab; damals eine gewaltbereite Kriminellenbande, die einen Inhaftierten „befreien“ will, der einen ihrer Leute auf dem Gewissen hat; heute eine zu allem bereite Polizeitruppe, die den Gangsterboss beseitigen will. Das verschafft dem Plot nicht nur ein gewisses Maß an „guter Bulle – böser Bulle“-Spekulationen (quasi als Erbe des späten Film noir), sondern verhilft der Eingeschlossenen-Gruppe auch zu interessanten Re-Konfigurationen: Wer wem trauen kann, wer sich auf wen verlassen muss: Das sind die Fragen, die die Eingesperrten hauptsächlich beschäftigen, wenn sie nicht gerade angegriffen werden.

Leider verschenkt der Film die Möglichkeiten, die sich aus solch einer Konfiguration ergeben, vollständig dadurch, dass er die Figuren zu reinen Stereotypen erstarren lässt. Zwar behilft sich das Drehbuch mit einigen Haken in „umgekehrter Psychologie“, so dass wir stets (meinen zu) wissen, dass der Verrückte tatsächlich recht hat und dass der vermeintlich Gute der in Wirklichkeit Böse und umgekehrt ist. Doch auch diese Kapriolen können kaum darüber hinweg täuschen, dass die überkommenden Klischees des Polizeifilms hier 90 Minuten lang paradieren dürfen.

Das beginnt schon bei der Besetzung der Hauptfiguren mit Lawrence Fishburn und Ethan Hawke. Dass sich beide in ihrer Ambivalenz aneinander abzuarbeiten haben und miteinander zu wachsen, ist auf den ersten Blick klar. Weder ist Fishburn der Bösewicht, als den ihn der Plot ausweisen möchte, noch ist Hawke der gebrochene Held, als den ihn seine ebenfalls ständig anwesende Therapeutin Alex (Maria Bello) gern sehen würde. Sie selbst ist die vielleicht ärgerlichste Figur im Spiel zwischen den Fronten. Ständig zwischen ihrer kühlen Reserviertheit und hysterischen Verknalltheit in Jake changierend, springt sie von einem Extrem ins nächste, wird schließlich selbst zur größten Psychopathin im Stück und – hier liegt vielleicht der einzig wirklich originelle Akt des Dramas – in dem Moment getötet, wo sie die Chance zur Entwicklung bekommt.

Die Gewalt, mit der Alex von den Gegnern nach einem Ausbruchsversuch hingerichtet wird, ist der klägliche Versuch, jene Grenzüberschreitungen des Carpenter’schen Originals in den eigenen Film hineinzuholen. Zwar geschieht der Kopfschuss hier ebenso unerwartet wie jene Erschießungsszene mit dem kleinen Mädchen aus dem Original, doch ist es das deutlich spürbare Kalkül, das hier den Effekt zunichte macht. Hatte die Szene 1976 noch erschüttern können (eine Erschütterung, die bis heute anhält!), gerade, weil der Mord dramaturgisch und diegetisch völlig „unnötig“ war, so präsentiert Richets Film uns hier eine lupenrein funktionalisierte Gewaltszene: Die zarte Liebesbeziehung, die sich zwischen Jake und Alex entwickelt hat, wird hier mit einem Schuss zerstört, der die Rachebilanz soweit ins Ungleichgewicht bringen soll, dass im Finale jeder Gegenschlag gerechtfertigt erscheint.

Richets Film ist in gewisser Weise ein offener Film – ein Film ohne Ende, denn die Konfronation der Antagonisten ist nur aufgeschoben. Hier hatte Carpenter klarere Verhältnisse geschaffen. Im Gegensatz zum Remake hatte er es nicht nötig, seine Erzählung nach einer Kaskade an gewagten Plottwists ins Leere laufen zu lassen, denn sein Horror war schon gleich als moralisch gekennzeichnet, als eine Herausforderung an den Ethos der Eingesperrten. Diesen Ethos hat zwar auch Richet zu etablieren versucht, ist daran jedoch durch seinen Hang zum Konventionellen gescheitert.

Das Ende – Assault on Precinct 13
(USA/Frankreich 2005)
Regie: Jean-François Richet; Buch: James DeMonaco; Musik: Graeme Revell; Kamera: Robert Gantz; Schnitt: Bill Pankow
Darsteller: Ethan Hawke, Lawrence Fishburne, Ja Rule, Maria Bello, Peter Bryant, Gabriel Byrne u.a.
Länge: 104 Minuten
Verleih: Constantin

Die DVD von Constantin:

Bild: 2.40:1 (16:9)
Ton: DD 5.1 (deutsch), DTS (deutsch), DD 5.1 (englisch)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Extras: Der Waffenausstatter (ca. 5 Min.), Der Produktions-Designer (ca. 7.5 Min.), Der Stunt-Koordinator (ca. 4.5 Min.), Deleted Scenes (ca. 6 Min.), Hinter den Kulissen (ca. 12 Min.), Die Besetzung (Textseiten).
FSK: Ab 16 Jahre
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