Papa ante portas

„Familie ist das Wichtigste“, betont Familienvater David. Zu den Feiertagen hat er sich auf die heimeligen Werte besonnen. Seine Frau und die Kinder konnten den Ansprüchen an traute Eintracht nicht genügen. Sie liegen ermordet neben dem Tannenbaum. Nelson McCormick greift in „Stepfather“ zu mörderischen Erziehungsmaßnahmen. Leider hält seine Neuverfilmung von Joseph Rubens Psychothriller „Кill, Daddy, Kill!“ nicht, was diese Anfangsszene verspricht. Die Handlung folgt dem erprobten Plot des Originals, in dem Mamas neuer Freund sein Familienideal mit drastischen Mitteln durchsetzen will. „Papa ante portas“ weiterlesen

Mutter hat ’ne Schraube locker

Charles Kaufmans „Muttertag“ von 1981 genießt vor allem in Deutschland einen gewissen Kultstatus, den ihm wohl nicht zuletzt seine Beschlagnahmung im Rahmen der Horrorvideo-Debatte eingebracht hat. Dennoch hat sich die gallige Satire auf den Way of Life des US-amerikanischen Mittelstands, der sich bis zur Verblödung mit Werbespots, Fernsehserien und Industrienahrung volldröhnt, sich unhinterfragt bevormunden lässt und seinen Gewaltfantasien hingibt, nie wirklich in das Horrorkino seiner Zeit eingliedern lassen. Trotz seiner teilweise herben Gewaltdarstellungen, die ab der Hälfte in den bis dahin recht standardisierten Slasher-Plot einbrechen und ihn zersetzen, ist „Muttertag“ mit seinen Slapstick-Anleihen viel zu reflektiert und konfrontational, um von der konservativen Horrorfilm-Fanschar wirklich geliebt zu werden. In den USA ist er einer von vielen Filmen aus einer für dieses Genre ungemein produktiven Phase, aber eben auch einer, der heute kaum etwas von seiner subversiven Kraft verloren hat. Und insofern verwundert es kaum, dass in Darren Lynn Bousmans nominellem Remake nicht viel vom Original übrig bleibt. Aber Etikettenschwindel ist nicht der schwerste Vorwurf, den sich Bousman für seinen deprimierend dummen Film gefallen lassen muss. „Mutter hat ’ne Schraube locker“ weiterlesen

Berlinale 2011 – Neo-Comic-Remake-Western

Mit Western und period pieces im Allgemeinen, ist es immer so eine Sache: Entweder man versucht auf jedes Kostüm und jeden Akzent zu achten oder man schert sich erst gar nicht darum und verkehrt die Topoi sogar. Bei „True Grit“ ist das größte Problem, das er sich nicht entscheiden kann, welche Richtung er eigentlich einschlagen will. Da präsentieren uns die Coen-Brüder tolle Landschaftsaufnahmen, die Kameramann Roger Deakins perfekt in Szene zu setzen weiß, lassen Jeff Bridges einen Akzent sprechen, der brutaler kaum sein könnte und zeigen Männer, die noch Männer sind. Und dazwischen: ein cooler Spruch nach dem anderen, der mindestens so locker über die Lippen kommen soll wie der Colt aus dem Holster gezogen wird.

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»And than, one day, I got in …«

Als Boris Becker 1999 im AOL-Werbespot überrascht feststellte: „Ich bin drin!“ hatte er natürlich gemeint, dass sein Computer dank der Software und des ISP im Internet ist. Dass Becker allerdings das Wort „Ich“ verwendet hat, löst noch zwei weitere Implikationen aus: 1. Die mentale Annäherung (etwa im technischen Verständnis) des Nutzers an seine Maschine ist hier bis zur Identifikation gelangt. 2. Der Nutzer ist mit seinem Bewusstsein selbst in den virtuellen Raum eingedrungen. Zu letzterem gehört vordergründig zwar auch das Internet als „Cyberspace“, jedoch ist ein „Drinsein“ auch im Computer selbst Ziel der Arbeit mit dem Gerät. Die Kultur- und insbesondere die Filmgeschichte ist reich an der Konkretisierung dieser beiden Implikationen von „Drinsein“ – und 1982 hat Disneys Regisseur Steven Lisberger vielleicht einen der faszinierendsten Filme zum Thema inszeniert: „Tron“. Er erzählt, wie wir uns das Innenleben des Rechners vorzustellen haben und welche Rolle „darin“ die Software, die Hardware und wir – die User/Wetware – spielen.

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Blutbad

Kamera: Maik Rauhmann

Piranha
(USA 2010)
Regie: Alexandre Aja; Buch: Pete Goldfinger, Josh Stolberg; Musik: Michael Wandmacher; Kamera: John R. Leonetti; Schnitt: Baxter
Darsteller: Richard Dreyfuss, Ving Rhames, Elisabeth Shue, Christopher Lloyd, Eli Roth, Jerry O’Connell u.a.
Länge: 88 Minuten
Verleih: Kinowelt

A Nightmare at Melrose Place

Am Anfang wähnt man sich zunächst für ein paar Minuten in „A Nightmare at Melrose Place“. Der Vorspann, die Settings, die Ausleuchtung, die jugendlichen Protagonisten – all das ist auf jene Weise hochgestylt, die Produzent Michael Bay in den 1990er Jahren in das Blockbusterkino eingebracht hat und die im Grunde heute schon hoffnungslos gestrig wirkt. Aber, es wird besser: nur ein bisschen besser zwar, und es dauert auch eine Weile, bis sich dies in Samuel Bayers Remake von Wes Cravens Klassiker „A Nightmare on Elm Street“ von 1984 – einem der besten amerikanischen Filme der 1980er Jahre – bemerkbar macht. Dennoch wird offensichtlich, dass Bayer das Remake-as-usual-Business der Bay’schen Produktionsschmiede Platinum Dunes, die vom „Texas Chainsaw Massacre“ bis zu „The Last House on the Left“ nach und nach den Kanon des sozialkritischen 70er-Jahre-Splatters geglättet und für ein gegenwärtiges Popcornpublikum aufgehübscht hat und nun also in der Folgedekade angekommen ist, hier nicht so ganz mitmachen mag.
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»Everything is moving!«

27 Jahre nach George A. Romeros Seuchen-Film „The Crazies“ erscheint das Hollwood-Remake desselben, bei dem Romero ausführender Produzent war, dessen Existenzgrund er aber laut einer Interview-Aussage nicht ganz verstanden hat. Jörg Buttgereit, Jochen Werner und Stefan Höltgen haben den neuen „Crazies“-Film in der Originalfassung gesehen und im Anschluss im Foyer der Berliner „Astor“-Filmlounge einen Podcast dazu aufgenommen, der einen Vergleich mit dem Original anstellt und die Frage aufwirft, ob der neue „Crazies“ vielleicht der Missing Link zwischen „Night of the Living Dead“ und „Dawn of the Dead“ sein könnte.

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»Die Menschen verfilmen heutzutage aber auch alles!«

Zu den medialen Vorboten des Kinos zählt neben der Oper vor allem das Wachsfigurenkabinett. Bereitete erstere den Weg für die synästhetische, multimediale Darstellung von Inhalten, so lieferte zweitere die „Einstellung“ einer Szenerie, die durch die stillgestellte Bewegung auf ihre Kunsthaftigkeit (die Mise-en-scène) hinweist. Die große Affinität zwischen den beiden Medien hat sich bereits recht früh darin niedergeschlagen, dass das Wachsfigurenkabinett zu einem filmischen „Topos“ wurde. 1924 hatte Paul Leni ein solches zum Handlungsort seines Films „Das Wachsfigurenkabinett“ ausgewählt; neun Jahre später entstand Michael Curtiz‘ „Das Geheimnis des Wachsfigurenkabinetts“, von dem André de Toth 1953 ein Remake mit dem Titel „Das Kabinett des Professor Bondi“ drehte, das zuletzt 2005 von Jaume Collet-Serra neu aufgelegt wurde. All diesen Filmen ist gemein, dass sie Horrorfilme sind. Und auch der 1988 entstandene Film „Waxwork“ von Anthony Hickox fällt in diese Reihe – und beteiligt sie wie alle anderen ebenfalls an der allgemeinen Reflexion über die Filmizität des Wachsfigurenkabinetts.

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Der Wolfsmensch kehrt zurück

George Waggners „The Wolf Man“ (USA 1941) gilt als der erste richtige Werwolf-Film. Lon Chaney Jr. hatte darin das Wolfsmensch-Hybridwesen mit noch beinahe niedlicher Hundeartigkeit dargestellt – eine Darstellungsweise, die sich über die folgenden Filmjahrzehnte immer weiter hin abschleifen sollte, bis aus dem Wesen das Monster wurde, das in „American Werewolf“ sein Unwesen treibt. Mit dem jetzt in den Kinos startenden Remake des beinahe 70 Jahre alten Klassikers von Joe Jonston ersteht es nun beinahe in alter Pracht wieder auf. Aber nur beinahe, denn der Film leistet wesentlich mehr als die bloße Reanimation: Er fasst die Geschichte des Werwolf-Films in ihren Highlights zusammen. Stefan Höltgen hat sich den Film zusammen mit Miriam-Maleika Höltgen und Jörg Buttgereit in der Pressevorführung angesehen und direkt danach im Foyer des Berliner CineStar-Kinos ein Podcast aufgenommen.

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Kein Superman mit Rückenschmerzen

Werner Herzog, der gerade die Festival-Jury der Berlinale leitet, meldet sich selbst mit einem neuen Spielfilm in der Filmszene zurück. Von Abel Ferraras „Bad Lieutenant“ hat er ein Remake angefertigt, ohne – wie er er behauptet – das Original gesehen zu haben. Mit Jörg Buttgereit und Sirkka Möller haben wir den Film in der Pressevorführung gesehen und danach ein Podcast aufgenommen. Moderiert hat Stefan Höltgen.

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Strähnen lügen nicht

15 Jahre, nachdem er unschuldig des Mordes an seiner Geliebten verurteilt wurde, kehrt der verbitterte Barbier Sweeney Todd (Johnny Depp) auf Rache sinnend ins London der Industrialisierung zurück. Objekt seines Hasses ist der verschlagene Richter Turpin (Alan Rickman), der sowohl für den Tod von Sweeneys Herzensdame als auch für das Komplott verantwortlich war, das zu dessen Inhaftierung führte. Auf der Suche nach Unterkunft trifft Sweeney die einsame Ms. Lovett (Helena Bonham-Carter), eine wenig talentierte Pastetenbäckerin, die den Barbier bei sich aufnimmt. Nachdem Sweeney von dem Konkurrenten Pirelli (Sacha Baron Cohen) als ehemaliger Mörder identifiziert und so zum ersten Mord getrieben wird, kommt ihm die Idee, wie er sich Turpins entledigen kann: Der Schurke soll als Füllung von Ms. Lovetts Pasteten enden. Bald schon stapeln sich die Leichen im Keller des Hauses und das Geschäft von Ms. Lovett floriert … „Strähnen lügen nicht“ weiterlesen

Der Letzte macht das Licht aus

In seinem Sportwagen rast Robert Neville (Will Smith) durch die menschenleeren Straßen des zerstörten Manhattans, seinen treuen Freund, den Schäferhund Sam, auf dem Beifahrersitz. Die Straßen gehören Robert ganz allein, keine lästigen Ampeln, die ihn aufhalten, keine anderen Fahrzeuge, die ihm Platz wegnehmen. Doch plötzlich erregt etwas die Aufmerksamkeit des Hundes: ein Rudel Rehe prescht durch die Häuserschluchten, schlägt Haken zwischen stehengebliebenen Autos, verschwindet hinter der nächsten Ecke. Neville tritt die Bremsen, reißt das Steuer herum: Die Erkundungsfahrt wird zur Jagd, der sprichwörtliche Großstadtdschungel ist ein echter geworden. „Der Letzte macht das Licht aus“ weiterlesen

Zu Zweit allein

Eine lange Autofahrt, nachts, allein. Das Autoradio plärrt blechern, Langweile und Müdigkeit machen sich breit. Die ersehnte Unterhaltung und Abwechslung steht plötzlich in Gestalt eines Anhalters am Straßenrand, mitten in der Pampa. Freundlich hält der Fahrer an, lässt den Mann einsteigen, es ist nicht klar, wer sich hier mehr freut. Doch die Freude weicht bald der lähmenden Angst. Das folgende Gespräch, das doch nur die lange Fahrtzeit verkürzen sollte, wird immer unangenehmer und ein paar Minuten später hat der Fahrer ein Messer am Hals: Statt eines Gesprächspartners hat er sich einen gefährlichen Psychopathen ins Auto geholt und der lässt sich einfach nicht mehr abwimmeln. Das ist die Ausgangssituation für „Hitcher, der Highway-Killer“, einem kleinen, aber immens einflussreichen Thriller der Achtziger-Jahre. Robert Harmon inszenierte das Duell zwischen Anhalter und Fahrer damals als den Vater-Sohn-Konflikt, der nach dem Vietnamkrieg längst überfällig war und sich im Niemandsland des amerikanischen Mittelwestens mit brachialer Gewalt entlud.

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Yella

 Ein Geheimnis liegt in diesem Film. Nicht in seinen Bildern, die klar bleiben, präzise. Aber der Ton schlägt oft schrecklich hart ins Bild, von Außen. Der Donnerschlag eines Düsenjägers als Schock, der die Welt entrückt. Die Welt ist hier, zunächst, das Umland um Magdeburg, Wittenberge, sozusagen eine „Petzold-Gegend“ (Petzold drehte hier auch schon früher): flach, mehr oder weniger profillos, man kann sich in ihr zurechtfinden. Der Schlag des Düsenjägers straft dies Lügen.

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Higher Tension

Nach dem sagenhaft guten, jedoch viel diskutierten und -zensurierten „High Tension“ musste man sich schon fragen, ob Alexandre Aja seinem Stil treu bleiben kann – einem Stil, der sich durch vollständige Kompromisslosigkeit in puncto Gewaltinszenierung (und damit ist nicht nur deren bildliche Darstellung gemeint) und Narrations-Apokalypse auszeichnet. Durch die sehr nah am 1977er Original orientierte Erzählung von „The Hills have Eyes“ sind der Plot- und Figurenentwicklung in „The Hills have Eyes“ natürlich einige Grenzen gesetzt. Diese kompensiert und überschreitet Aja jedoch in seiner Inszenierung.
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Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Ende ohne Schrecken

John Carpenters Film „Assault on Precinct 13“ (hierzulande unter den Titeln „Das Ende“ oder „Anschlag bei Nacht“ erschienen) zählt zu den kompromisslosesten Actionfilmen seiner Zeit. Unvergessen sind jene Sezenen der Belagerung der Polizeistation durch eine Verbrecherbande, die mit einem der darin Gefangenen eine Rechnung begleichen will. Unerreicht die Kaltblütigkeit und der Zyninsmus, die der Film ausstrahlt, wenn er nicht einmal Halt vor der ansonsten tabuisierten Opferung von Kindern macht. Jean-François Richet hat den Stoff nun nach fast 30 Jahren erneut inszeniert und versucht das Original zu überholen – holt es dabei aber nicht einmal ein.
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Keine runde Sache

In älteren Mathebüchern findet man häufig die klassische Textaufgabe mit der Schnecke und dem Brunnen: In einem 8 Meter tiefen Brunnen sitzt eine Schnecke. Jeden Tag schafft sie es, den Brunnenschacht sechzig Zentimeter hinaufzukriechen. Nachts rutscht die Schnecke aber wieder die Hälfte der zurückgelegten Strecke hinunter. Wann wird die Schnecke aus dem Brunnen herauskriechen können? Lässt man den mathematischen Subtext beiseite, so kann man aus dieser Geschichte immerhin noch lernen, dass das, was aus einem Brunnen herauskriecht, zwar mit Rückschlägen leben muss, aber letztlich doch irgendwann ans Ziel kommt.
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Tradition of Terror

Was ist der Sinn eines Remakes? In einer Zeit, in der mediale Inhalte nahezu jeden Alters für jeden frei verfügbar sind, kann es wohl kaum allein um deren aufheben (im Hegelschen Sinne: bewahren/beseitigen/erhöhen) gehen. Eine weitere (vierte) Bedeutung kommt ihm zu: die kulturelle Analyse. Das Remake funktioniert als eine Art Sozial- und Mentalitätsgeschichte seiner Quelle und deren Entstehungsgeschichte. Gerade im Film wird daher der Blick des Zuschauers nicht selten zu einem kontemporären Blick auf die Epoche aus der das Original stammt. Im Fall von The Texas Chainsaw Massacre sind es die frühen 1970er Jahre; eine Zeit, die gemeinhin als Übergangszone der hochpolitisierten späten 60er in die individualistischen 80er Jahre angesehen wird. Ein Zwischenstadium, das in der Rückschau vor allem oft mit Orientierungslosigkeit gekennzeichnet wird (vgl. die Monologe von Raoul Duke in Fear and Loathing in Las Vegas). Das Remake von Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre aus dem Jahre 1974 richtet seinen Blick vor allem auf den Aufbruch gesellschaftlicher Mikrostrukturen. Ein Ergebnis der politische Kritik an den überkommenen Strukturen von Familie (Stichwort: Kommunen, freie Liebe) und eine Vorbereitung auf die zunehmende Individualisierung. „Tradition of Terror“ weiterlesen