Als Boris Becker 1999 im AOL-Werbespot überrascht feststellte: „Ich bin drin!“ hatte er natürlich gemeint, dass sein Computer dank der Software und des ISP im Internet ist. Dass Becker allerdings das Wort „Ich“ verwendet hat, löst noch zwei weitere Implikationen aus: 1. Die mentale Annäherung (etwa im technischen Verständnis) des Nutzers an seine Maschine ist hier bis zur Identifikation gelangt. 2. Der Nutzer ist mit seinem Bewusstsein selbst in den virtuellen Raum eingedrungen. Zu letzterem gehört vordergründig zwar auch das Internet als „Cyberspace“, jedoch ist ein „Drinsein“ auch im Computer selbst Ziel der Arbeit mit dem Gerät. Die Kultur- und insbesondere die Filmgeschichte ist reich an der Konkretisierung dieser beiden Implikationen von „Drinsein“ – und 1982 hat Disneys Regisseur Steven Lisberger vielleicht einen der faszinierendsten Filme zum Thema inszeniert: „Tron“. Er erzählt, wie wir uns das Innenleben des Rechners vorzustellen haben und welche Rolle „darin“ die Software, die Hardware und wir – die User/Wetware – spielen.
Fast dreißig Jahre nach dem auch filmtechnisch beachtlichen Erfolg von Lisbergers „Tron“ ist nun eine Fortsetzung in die Kinos gekommen, die zugleich ein Remake darstellt. Abermals ist es der Programmierer Flynn, der sich im Computer gegen die Terrorherrschaft eines allmächtigen Computerprogramms stellt; doch dieses Mal ist es eine Kreation Flynns selbst, die den „Raster“ tyrannisiert um dort die „perfekte Welt“ zu erschaffen. In der Rahmenhandlung wird erzählt, Flynn sei Ende der 1980er-Jahre spurlos verschwunden und sein Computerspiele-Konzern ENCOM habe von da ab ohne ihn zu Ruhm und Geld gefunden. Gerade als dieser Konzern die Ideale des Hackers Flynn über Bord werfen will und seine Open-Source-Strategie zugunsten teurer Betriebssystem-Updates aufgibt, betritt Flynns Sohn Sam die Bühne. Er ist ebenfalls von seinem Vater allein gelassen worden, findet unterhalb der alten Spielhalle, die Flynn und seine Partner Anfang der 80er betrieben, allerdings einen laufenden Großcomputer, an den ein Laser angeschlossen ist. Als Sam den Laser in Betrieb nimmt, wird er digitalisiert und findet sich selbst im Computer wieder. Dort trifft er auf das tyrannische Programm CUE, den abtrünnigen TRON, aber auch auf seinen Vater, der dort mit der letzte „Überlebenden“ einer sich aus dem Nichts gebildeten Computer-Wesen-Rasse lebt.
„Tron: Legacy“ ist zuvorderst ein Märchenfilm, der die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn in eine des „verlorenen Vaters“ umkehrt: Auch Sam muss seinem Vater Barmherzigkeit entgegenbringen, nachdem er entdeckt hat, dass dieser keineswegs in böser Absicht die Familie verlassen hat, sondern von Cue im Raster festgehalten wurde. An das zentrale Motiv des Märchens reihen sich dann noch weitere religiöse Erlösermythen, Geschichten von Wunderheilungen, der Allmacht der Liebe, einer Judas-Verschwörung und zuletzt sogar der Himmelfahrt, die Sam zurück aus dem Computer in die Realität führt. Diese Motive waren schon in Lisbergers „Tron“ überdeutlich angelegt; sie sind angesichts des Images, das der Computer seit den 1940er-Jahren besitzt, jedoch schon Tradition. Bereits früh wurde die „göttliche Maschine“ in der Science Fiction zu einem Instrument des Heils wie des Untergangs. Stoffe wie „Tron“ und „Tron: Legacy“ stehen diesbezüglich auf den Schultern von Riesen (Asminov, Clarke, Lem …)
Selbstverständlich ist „Tron: Legacy“ aber nicht ausschließlich eine religiöse Parabel transponiert ins Computerzeitalter. Der Film liefert zuvorderst Bilder von Dingen, die eigentlich unbildlich sind: Prozesse, die unsichtbar als Stromflüsse in der Hardware des Rechners ablaufen. In einem Gutenacht-Märchen erzählt Flynn seinem noch kindlichen Sohn, dass er selbst immer versucht habe sich vorzustellen, wie die Daten in einem Computer wohl fließen: ob es Schiffe oder eher Motorräder sind. Dass Flynn dann schließlich vor die Konkretisationen dieser Sprachbilder tritt und selbst zu einem – wenngleich besonderen – Datensatz wird, ist einer speziellen Kombination aus Software und Hardware zu verdanken. Der Laser zusammen mit dem notwendigen Computerprogramm erzeugen eine Simulation der Vorgänge im Computer, die für den Menschen intuitiv erlebbar ist. Damit wäre sie aber eigentlich selbst schon wieder nur ein „aufgesetzter Prozess“ und keineswegs das Bild vom „Ding an sich“.
Die „Tron“-Filme versuchen diese Spur natürlich zu verwischen, weil sonst das Märchen nicht funktioniert. Aber im Prinzip tun sie damit dasselbe, was moderne Betriebssysteme mit ihren grafischen Oberflächen tun: Sie liefern symbolische Zugänge zu den Hardware-nahen Prozessen, betreiben Augenwischerei und arbeiten in letzter Konsequenz am Emanzipationsverlust des Users, der nur glaubt zu wissen, was er tut, wenn er auf dem Desktop grafische Symbole mit der Maus hin und her schiebt. Dass diese User in „Tron“ an so exponierter Stelle stehen und von dem normalen Programm gottgleich verehrt werden, ist daher eher ein Bild der Hoffnung als des realen Verhältnisses zwischen Mensch und Computer. Diese Hoffnungsbild ist allerdings überaus schillernd gezeichnet. Schon der erste „Tron“ rühmte sich, ein perfektes Hybrid zwischen Computergrafik und Realfilm zu sein (worin sich die Welten-Überlappung dann abermals offenbart); „Tron: Legacy“ konnte dem Thema selbst daher nichts mehr hinzufügen, auch weil die CGI mittlerweile so gut sind, dass man die Computergrafik schon eigentlich vorsätzlich schlecht gestalten muss, damit sie vom Realbild unterscheidbar wird.
Was „Tron: Legacy“ allerdings anders macht als sein Vorgänger, ist, die Geschichte gradlinig zu erzählen und dabei die religiösen Bilder noch deutlicher herauszustellen. Auch bemüht er sich gar nicht erst, „unlogische“ Stellen zu glätten. Wir wissen heute so viel über Computer, dass der Film im Vergleich zur Version von 1982 kaum noch als Visualisierung von Prozessen wahrgenommen werden dürfte, sondern schon vollständig als deren symbolische Übertragung in Bilder unserer Lebenswelt. Dies eröffnet den Ausstattern und Computergrafik-Programmierern die Möglichkeit, ihre Vision in unglaublich schillernden, fast opernhaften Bildern zu zeichnen. Zusammen mit dem treibenden Score der House-Formation Daft Punk gelingt ihnen ein synästhetisches Meistwerk, bei dem man sich – auch durch den Wechsel zwischen 2D- und 3D-Optik – immer im Klaren darüber ist, einen Film zu sehen. Der Sog in den Film endet wie der Sog in den Computer an der schillernd-schönen, glatten Oberfläche; und so wird man auch in „Tron: Legacy“ allenfalls so „drin“ sein, wie Boris Becker in seinem Computer.
Tron: Legacy
(USA 2011)
Regie: Joseph Kosinski; Drehbuch: Edward Kitsis, Adam Horowitz; Musik: Daft Punk; Kamera: Claudio Miranda; Schnitt: James Haygood
Darsteller: Jeff Bridges, Garrett Hedlund, Olivia Wilde, Bruce Boxleitner, James Frain, Beau Garrett, Michael Sheen u.a.
Verleih: Disney
FSK: ab 16 Jahren
Start: 27.01.2011