»Everything is moving!«

27 Jahre nach George A. Romeros Seuchen-Film „The Crazies“ erscheint das Hollwood-Remake desselben, bei dem Romero ausführender Produzent war, dessen Existenzgrund er aber laut einer Interview-Aussage nicht ganz verstanden hat. Jörg Buttgereit, Jochen Werner und Stefan Höltgen haben den neuen „Crazies“-Film in der Originalfassung gesehen und im Anschluss im Foyer der Berliner „Astor“-Filmlounge einen Podcast dazu aufgenommen, der einen Vergleich mit dem Original anstellt und die Frage aufwirft, ob der neue „Crazies“ vielleicht der Missing Link zwischen „Night of the Living Dead“ und „Dawn of the Dead“ sein könnte.

Teilnehmer: Jochen Werner, Jörg Buttgereit, Stefan Höltgen
Moderation: Stefan Höltgen

The Crazies
(USA 2010)
Regie: Breck Eisner; Buch: Scott Kosar, Ray Wright; Kamera: Maxime Alexandre, Schnitt: Billy Fox; Musik: Mark Isham; Effekte: Robert Hall
Darsteller: Timothy Olyphant, Radha Mitchell, Joe Anderson, Danielle Panabaker, Christie Lynn Smith, Brett Rickaby u. a.
Verleih: Kinowelt
Länge: 101 Min.
FSK: N. N.

4 Antworten auf „»Everything is moving!«“

  1. @ Jochen Werner:

    Jetzt muss ich aber das Remake von „Dawn of the Dead“ mal in Schutz nehmen. Einer der dümmsten Filme der letzten 10 Jahre? Ich will nicht behaupten, dass der Film ein Meisterwerk ist, aber dumm ist er sicher nicht. Snyder hat das Original nicht verstanden? Doch hat er, und er hat den Diskurs von Romeros Film weiter entwickelt.

    Romeros Film geht aufs Ganze. Er zeigt die moderne westliche Wohlstandsgesellschaft im Zustand der sozialen und kulturellen Desintegration. Bislang gültige Orientierungssysteme wie Medien, Polizei, Konsumwelten oder Politik fallen nach und nach aus. Und Romero spielt die Konflikte, die das mit sich bringt anhand seiner kleinen Protagonistengruppe durch. Am Ende entwickelt er dann einen quasi-utopischen Ausgang ins Ungewisse: Wer weiß, wohin wir steuern, wenn wir ohne die Ordnungssysteme auskommen müssen, die unsere Welt bislang strukturiert haben.

    Snyders Film hat ein anderes Thema. Und das lautet: Globalisierung. Sein Film zeigt nicht den Zusammenbruch sozialer Ordnungssysteme (das handelt er in dem von Cashs „The Man comes around“ untermalten Intro kurzerhand ab), ihm geht es um die Auswirkungen globalisierter Gesellschaftsstrukturen auf private Lebenszusammenhänge wie Freundschaften und vor allem die Familie. Viel mehr als Romero interessiert sich Snyder für die Beziehungen der Figuren zueinander und wie sich diese unter Druck verändern. Okay, Globalisierung als Virus zu metaphorisieren mag man ungelenk finden. Snyder kommt aber auf den Punkt und es macht in diesem Zusammenhang absolut Sinn, dass seine Zombies rennen können, denn wenn wir etwas mit Globalisierung verbinden, dann eine allgegenwärtige Beschleunigung der Verhältnisse.

    Die Hauptthese des Remakes: die rasend schnellen Veränderungen auf makrosoziologischer Ebene wirken sich massiv auf das Private aus – in jeder Hinsicht. Nicht umsonst beginnt er seine Erzählung mit dem Einbruch des Zombie-Virus in die Kernfamilie Mutter-Vater-Kind. Und es ist auch kein Zufall, dass das Kind zuerst infiziert ist. Später zeigt Snyder dann noch die Zerstörung der heterosexuellen Paarbeziehung. Das aus dieser infizierten Beziehung ein Kind zur Welt kommt, dass bei Geburt bereits infiziert ist zeigt, dass der Mensch im 21. Jahrhundert gar keine Wahlmöglichkeit mehr hat – er kann den Veränderungen nicht entkommen.

    Snyder zieht diesen Diskurs konsequent durch. Und so ist es nur folgerichtig, dass ganz am Ende auch die vermeintlich sichere Insel keine Rückzugsmöglichkeit mehr bietet. Selbst die einsamsten Archipele können sich heute den Auswirkungen der Globalisierung nicht mehr entziehen.

    Man mag den Diskurs des Remakes reaktionär weil globalisierungsfeindlich finden, aber dumm ist der Film sicher nicht. Würde mich mal interessieren, was Jochen Werner so sehr an dem Film stört, dass er so ein apodiktisches Urteil fällt.

    In jedem Fall werde ich mir „The Crazies“ ansehen, denn Romeros Original merkt man die budgetär bedingten Unzulänglichkeiten leider allzu sehr an. Und wenn auch hier eine Aktualisierung der Fragestellungen gelungen ist, umso besser.

    Ganz unabhängig davon sind die FLM-Podcasts auf jeden Fall eine spannende Sache. Mehr davon!

    Beste Grüße, Markus

  2. Lieber Markus,

    zunächst mal vielen Dank für Deine ausführliche und interessante Antwort. Zustimmen kann ich freilich nicht so ganz, da mir Snyders Film inhaltlich wie ästhetisch eher eine Rückentwicklung als ein Fortschreiben von Romero zu markieren scheint. Das hat sicher nicht nur, aber durchaus auch mit den rennenden Zombies zu tun. An denen hängt sich die allermeiste Kritik ja zugegeben an einem Konservatismus auf, der verlangt, dass jede Konvention auf immer und ewig sakrosankt zu bleiben hat. Zu dieser Fraktion zähle ich mich nicht; ich finde aber doch, dass der „schnelle Zombie“ bei Snyder im Vergleich zum „langsamen Zombie“ bei Romero einen entscheidenden Verlust mit sich bringt: jenes entscheidende Moment bei Romero nämlich, dass den Zombie über den bloßen Status als Filmmonster hinaus eher zum Medium für andere Konflikte – nämlich die „internen“ Konflikte der überlebenden Menschen – werden lässt.

    Der Zombie in Romeros „Dawn“ zeichnet sich ja erst einmal dadurch aus, dass er für sich genommen gar nicht einmal so besonders gefährlich ist. Er ist langsam, dumm und von den Lebenden oft wie am Fließband und fast mühelos außer Gefecht zu setzen. Er ist also eins definitiv nicht: ein klassisches Kinomonster, das als bedrohliches Individuum auftritt. Zur Gefahr werden die Untoten einerseits durch ihre schiere Massenhaftigkeit („When the dead walk the earth, we have to stop the killing. Or lose the war.“), andererseits dadurch, dass sie die Räume besetzen, die ihnen durch die internen Konflikte der Lebenden geöffnet werden. Denn im Grundsatz ist der Hauptteil von Romeros Film ja ein einziges, langes, retardierendes Moment: Wir hier drinnen, die da draußen. Und die Zombies verbringen die meiste Zeit damit, nutzlos gegen Schaufensterscheiben zu drücken, ohne auch nur einen Zentimeter voranzukommen. Das apokalyptische Finale, und die Fluchtbewegung in ein neues Nirgendwo, die meiner Deutung zufolge aber so gar nichts Utopisches an sich hat – das kommt erst am Ende von „Land of the Dead“ ins Spiel -, wird erst möglich durch das Eindringen der entfesselten Menschen in Gestalt der Bikergang.

    Darin scheint mir Snyder hinter Romero zurückzufallen, und daher rührt auch meine These, dass er seine Vorlage schlichtweg nicht verstanden haben mag: Indem er den Zombie zum Agenten einer individuell fassbaren Bedrohung macht, macht er ihn auch zu „bloß einem weiteren Monster“. Das eigentliche Bedrohungspotenzial des Konzeptes Zombie, wie es bei Romero in Kraft ist, fällt somit aus Snyders „Dawn“ ganz heraus. Das ist natürlich eine Umdeutung, und die ist Recht und letztlich Pflicht jedes Remakes; aber mir jedenfalls erscheint sie wie eine oberflächliche Lesart des Originals. Zombies, Blut, Splatter. Und ordentlich Action. Eine Fanboylektüre gewissermaßen, die die sozialen und politischen Diskurse bei Romero eh immer schon als akademisches Geschwurbel abgetan hat. Und das ist mir daran zutiefst unsympathisch.

    Das sagt, am Rande noch angemerkt, gar nichts darüber aus, wie gut oder schlecht der Film gemacht ist. Ich nehme an, er ist gut gemacht; ich kann das aber nicht beurteilen, weil ich ihn intellektuell so grundsätzlich ablehne. Dennoch gehe ich davon aus, dass Zack Snyder wohl ein guter Handwerker ist. Die zahlreichen Anhänger sowohl von „Dawn“ als auch von „300“ legen dies ja nah.

    (Auch das vehemente Beharren auf seinem unpolitischen Ansatz bei der Adaption von Millers Comic legt ja m.E. nahe, dass Snyder ein reiner Oberflächenpolierer ist, der sich um die Tiefenschichten eines Stoffes, jenseits der reinen Mechanik des Plot, überhaupt nicht schert. Und weiterhin der Umstand, dass er danach mit „Watchmen“ ein ebenso bedeutendes, aber ideologisch denkbar diametrales Comic zur Adaption ausgewählt hat. Wem diese Vorgehensweise genügt, der mag Snyders Filme, das belegen ja auch die Reaktionen aus den Reihe der Genrefans zur Genüge. Ich lehne diese Vorgehensweise ab.)

    So, das ist ja nun fast schon eine eigenständige Filmkritik geworden. Ich hoffe, einige der Fragen, die meine sehr zugespitzte Formulierung im Podcast aufgeworfen haben mag, sind dadurch beantwortet worden.

    Herzliche Grüße,
    Jochen

  3. Hallo Jochen,

    ja, in der Tat hat deine Antwort die meisten Fragen beantwortet. Und natürlich ist Snyders Zombie eine Umdeutung des Romeroschen Untoten. Synder entkernt die Figur des Zombies und lädt ihn mit anderen Bedeutungen auf. Ohne dabei aber das Bedrohungspotential, dass aufgrund des massenhaften Erscheinens der Zombies entsteht, aufzugeben. Meiner Meinung nach eine spannende Aktualisierung, über die wir uns wahrscheinlich stundenlang „streiten“ könnten ;-)

    Snyder selbst sehe ich auch eher zwiespältig. „300“ konnte ich nur dank der tollen Optik und eines zeitweise ausgeschalteten Reflexionsapparates genießen. Und „Watchmen“ wäre wohl ein großartiger Film geworden, wenn er das Ende nicht so „entschärft“ hätte. Eine ordentliche Portion Fanboy ist wohl dabei. Das „Dawn“-Remake ist m.E. bislang Synders bester Film. Mal sehen, was da in Zukunft noch kommt.

    In jedem Fall besten Dank für Deine Antwort!

    Bestes, Markus

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