Strähnen lügen nicht

15 Jahre, nachdem er unschuldig des Mordes an seiner Geliebten verurteilt wurde, kehrt der verbitterte Barbier Sweeney Todd (Johnny Depp) auf Rache sinnend ins London der Industrialisierung zurück. Objekt seines Hasses ist der verschlagene Richter Turpin (Alan Rickman), der sowohl für den Tod von Sweeneys Herzensdame als auch für das Komplott verantwortlich war, das zu dessen Inhaftierung führte. Auf der Suche nach Unterkunft trifft Sweeney die einsame Ms. Lovett (Helena Bonham-Carter), eine wenig talentierte Pastetenbäckerin, die den Barbier bei sich aufnimmt. Nachdem Sweeney von dem Konkurrenten Pirelli (Sacha Baron Cohen) als ehemaliger Mörder identifiziert und so zum ersten Mord getrieben wird, kommt ihm die Idee, wie er sich Turpins entledigen kann: Der Schurke soll als Füllung von Ms. Lovetts Pasteten enden. Bald schon stapeln sich die Leichen im Keller des Hauses und das Geschäft von Ms. Lovett floriert …

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Die tragische Geschichte um den „Demon Barber“ Sweeney Todd erlangte im ausgehenden 19. Jahrhundert als „penny dreadful“ große Popularität in Großbritannien, wurde bereits mehrfach adaptiert und war für eine Verfilmung durch Burton spätestens zu dem Zeitpunkt prädestiniert, als der Stoff seine Umsetzung als Broadway-Musical erfuhr. So ist „Sweeney Todd: Der teuflische Barbier aus der Fleet Street“ Tim Burtons erstes echtes Musical geworden, nachdem er bei den Animationsfilmen „Nightmare before Christmas“ und „The Corpse Bride“ nur als Produzent und Drehbuchautor fungierte. Doch die Veräußerung von Emotionen in Musik ist schon immer ein wichtiges und prägendes Element von Burtons Filmen gewesen: Die Umsetzung von Willy Wonkas Schokoladenfantasien geht Hand in Hand mit Musik und Tanzeinlagen, immer wieder artikulieren Burtons Charaktere ihre Emotionen in Songs. Diesem Stilelement entspricht auf der Bildebene Burtons Einsatz opulenter Setdesigns: Die klobige neogothische Architektur Gotham Citys steht für die Entmenschlichung des Wohnraums und den Rückfall in die Barbarei auf der höchsten Stufen der Zivilisation, die verkrüppelten Wälder um das Dorf Sleepy Hollow für das Unheimliche, das im Hinterland auch in den Zeiten der Aufklärung noch immer anwesend und mächtig ist; das windschiefe Holzhaus, in dem der kleine Charlie mit seinen Eltern und Großeltern leben muss, spiegelt im Kontrast zu den immergleichen Reihenhäusern britischer Arbeitersiedlungen die Individualität und Reinheit seiner Bewohner wider; in den psychedelischen Innenräumen von Willy Wonkas Fabrik erkennt man dessen Kindlichkeit und der Filmemacher Ed Wood schließlich lässt seine Träume und Fantasien auf der Leinwand Wirklichkeit werden. Diesen psychotopologisch anmutenden Außenwelten stehen Burtons Charaktere, die trotz aller Verschrobenheit immer buchstäblich blass erscheinen, diametral gegenüber. Ob Nicholsons Joker, De Vitos Pinguin, Edward Scissorhands, der freundliche Geist Betelgeuse, Jack Skellington oder Ichabod Crane: Alle zeichnen sie sich durch sichtbar anämische Züge aus, die eben längst nicht nur von Burtons Liebe zum klassischen Schwarzweiß-Horrorfilm zeugen.

In „Sweeney Todd“ treibt Burton diesen starken Kontrast zwischen dem Innen und dem Außen auf die Spitze: Das in Schwarz- und Grautönen nicht gerade oszillierende rußbedeckte London mit seinen überfüllten Straßen und dem Dreck, der aus jeder Ecke starrt, sagt mehr über seine Bewohner aus, als diese es selbst je könnten. Der teuflische Barbier verbirgt seinen rasenden Zorn unter einer blassen Maske der Gleichgültigkeit und Professionalität, seine innere Zerrissenheit entbirgt sich allerhöchstens in seiner weißen Haarsträhne, die ihm der Verlust der Geliebten eingebracht hat (und Burton-Stammschauspieler Depp als dessen ganz persönliche Elsa Lanchester ausweist). Burtons Figuren bluten förmlich aus, ihr Leben fließt in die sie umgebenden Häuser und Landschaften, sie enden als leckere Pasteten in den Mägen der Londoner Bevölkerung, verflüchtigen sich als Rauchschwaden über den Dächern der Stadt, lassen ihre Stimmen in den Straßen verhallen. Die einzigen Farbtupfer in dieser Tristesse sind Sacha Baron Cohen als exaltierter Pseudoitaliener und bezeichnenderweise die blutigen Sturzbäche, die sich aus den Kehlen von Sweeney Todds Opfern ergießen und die Enthauptungen aus „Sleepy Hollow“ in Erinnerung rufen. Leider gelingt es Burton in „Sweeney Todd“ jedoch zu keiner Sekunde, die Tragik aus dem Stoff herauszufiltern, denn seine Figuren sind schon tot, lange bevor sie ihr Leben ausgehaucht haben. Das fällt umso schwerer ins Gewicht, als die Musik Sondheims doch vor Emotionen nur so übersprudelt. Leider bleiben diese Gefühlswallungen aber ein laues Plätschern, weil ihnen die menschliche Quelle fehlt, aus der sie sich speisen könnten. Form und Inhalt stehen sich merkwürdig unverbunden gegenüber und weil auch der Handlungsverlauf stets den Musicalkonventionen verhaftet und somit vorhersehbar bleibt, macht sich relativ schnell eine befremdende Gleichgültigkeit breit.

Man könnte unken, dass Burton genau zwei Filme dreht: einen guten und einen weniger guten. „Sweeney Todd“ gehört leider in letzte Kategorie. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Burton mit seiner qualvoll routinierten Adaption selbst ein bisschen gelangweilt hat.

Sweeney Todd: Der teuflische Barbier aus der Fleet Street
(Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street, USA 2007)
Regie: Tim Burton, Drehbuch: John Logan, Stephen Sondheim, Hugh Wheeler, Christopher Bond, Kamera: Dariusz Wolski, Musik: Stephen Sondheim, Schnitt: Chris Lebenzon
Darsteller: Johnny Depp, Helena Bonham-Carter, Alan Rickman, Timothy Spall, Sacha Baron Cohen
Länge: 116 Minuten
Verleih: Warner Bros.

4 Antworten auf „Strähnen lügen nicht“

  1. Meine Gratulation zu diesem Beitrag/dieser Kritik!
    Mit Abstand das Beste, das ich bis jetzt zu „Sweeney Todd“, bzw. Burton an sich gelesen habe!
    Habe den Film 2x gesehen und hatte das diffuse Gefühl, daß noch mehr an Emotionen gezeigt werden müsste.
    Besonders auch in Bezug auf Richter Turpin, seine verzweifelte Suche nach Liebe hätte noch viel mehr hervorgekehrt werden sollen.
    Johnny Depp vermag es in speziellen Szenen sehr wohl zu zeigen, wie ihn die Rachsucht und später auch der Wahnsinn übermannt.
    Für manch Zartbesaitete mag dies an Abtrünnigkeit und Blutrünstigkeit schon genug sein, doch ich denke, den Figuren fehlte noch etwas an Intensivität und Tiefgang.
    Beim Betrachten des Filmes kam mir des öfteren ein „Wann kommt mehr?“ in den Sinn.
    Die Charaktäre hätten noch viel größeres Potential, dafür hätte man einiges an Längen, die der Film zweifelsohne auch hat, einsparen können.
    In anderen Kritiken war zu lesen, daß sich manche über das unecht anmutende Blut mokierten.
    Heutzutage wäre echt wirkendes Blut wohl kein Problem, ich denke, Burton hat mit diesem lieblich-knalligen Rot wohl bewußt ein Gegenstück zu der
    extrem tristen Umgebung zeichnen wollen.
    Im Übrigen finde ich es viel grauslicher, daß die soeben Dahingeschiedenen kopfüber im Keller aufprallen, was einen recht nett gestauchten Genickbruch zur Folge hat…;)

    Nochmals danke für den gelungenen Artikeln und
    schöne Grüße aus Österreich,
    Michaela

  2. Gut geschrieben, auch wenn die eigentliche Kritik sich auf ein paar Zeilen zum Schluss beschränkt. Kann das nachvollziehen, nicht aber teilen. Dass den Figuren schon von Beginn an jegliches Leben ausgehaucht sei, mag ja durchaus richtig sein, nur ist das nicht unbedingt ein Hinweis auf fehlende Tiefe oder ein Minimum an wirklicher Tragik: Schon Sondheims Vorlage arbeitet ausschließlich mit einem fast ätzenden Fatalismus. Der Ausgang dieser Geschichte ist mit seiner ersten Einstellung besiegelt (deshalb empfinde ich auch die angeblich für Musicals prädestinierte Vorhersehbarkeit nicht als Schwäche), da kann es kein Leben mehr in den Gesichtern dieser Figuren geben, da kann nur fast neonfarbenes Blut als Kontrast fungieren. Dies ist eine pechschwarze Geschichte vom Tod und Verderben einer Gesellschaft, deren ganze Tragik unter einer Oberfläche brodelt, die man durchaus erst freischaufeln muss.

    PS:

    „So ist “Sweeney Todd: Der teuflische Barbier aus der Fleet Street” Tim Burtons erstes echtes Musical geworden, nachdem er bei den Animationsfilmen “Nightmare before Christmas” und “The Corpse Bride” nur als Produzent und Drehbuchautor fungierte.“

    Nicht ganz. Bei CORPSE BRIDE führte er bereits Regie, zusammen mit Mike Johnson. Inwiefern aber die Aussage, SWEENEY TODD sei Burtons „erstes echtes Musical“, auch unabhängig davon zuträfe, kann man natürlich sowieso diskutieren.

  3. Es ist schwierig, positive Seiten eines Films zu erkennen oder zu betonen, wenn er einen so gar nicht erreicht hat. Das war bei mir und „Sweeney Todd“ der Fall. Das alles ist natürlich ordentlich inszeniert, gespielt und sogar gesungen, trotzdem fand ich Burtons Film – gelinde gesagt – stinklangweilig.

    Freischaufeln muss man da meines Erachtens nach gar nichts, weil ja alles, wie du richtig sagst, von der ersten Einstellung an klar ist. Ein Widerspruch deinerseits?

  4. Klingt widersprüchlich, meint aber, dass die Farb- und Leblosigkeit des ganzen dem sicheren Ausgang geschuldet sind, während die tragische Dimension der Geschichte und ihrer Figuren (zum Beispiel Mrs. Lovett, die Todd eigennützig belügt, ein tristes Dasein mit geschlachteten Katzen führt, zu keinerlei Empathie fähig scheint und letztlich ihrem eigenen Trugschluss zum Opfer fällt) nicht auf dem Tablett serviert wird – allein welch geballten Subtext die Sondheim-Lyrics aufweisen.

    Hätte ich das Musical aber nicht vorher gekannt und die Texte lange verinnerlicht, vielleicht wäre ich mit dem Film – so wie einst zunächst mit der Vorlage – auch nicht gleich warm geworden.

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