Des eigenen (Un)Glücks Schmied

Douglas Sirk, 1897 in Hamburg unter dem Namen Detlev Sierck als Sohn dänischer Eltern geboren, gilt als Meister des Melodrams. Ursula Vossen definiert es in ihrem Eintrag in „Reclams Sachlexikon des Films“ als „Spielfilmgenre, das auf triviale Handlung setzt, die Schicksalhaftigkeit des Lebens betont und den Zuschauer bis zur Gefühlsmanipulation emotional bewegt.“ Auf Sirks Filme trifft diese etwas abschätzig formulierte Definition jedoch nur bedingt zu.

Naomi Murdock (Barbara Stanwyck), eine erfolgreiche Vaudeville-Schauspielerin, kehrt für einen Besuch zurück zu ihrer Familie in der Kleinstadt Riverdale, die sie vor zehn Jahren ohne eine Erklärung abzugeben verlassen hatte. Rasch wird sie wieder in die damals aufgegebenen Beziehungen gezogen: Vor allem ihr Gatte verlangt eine längst überfällige Erklärung. In dieser Konfrontation mit ihrem alten Leben entdeckt sie ihre Gefühle für ihren Mann und ihre Kinder wieder – und kehrt schließlich in dieselben Umstände zurück, in denen sie sich einst wie eine Gefangene fühlte.

Der Spielzeugfabrikant Clifford Groves (Fred MacMurray) führt ein zwar harmonisches, aber dennoch nicht zufrieden stellendes Ehe- und Familienleben. Als er seine einstige Flamme, die erfolgreiche Modedesignerin Norma Vale (Barbara Stanwyck) wiedertrifft, wird ihm schmerzhaft bewusst wie unglücklich er tatsächlich ist. Die alte Leidenschaft wird wieder entfacht, doch Cliffords Kinder bekommen Wind von der sich anbahnenden Liebschaft und melden ihre Ansprüche an. Am Ende akzeptiert Clifford seine eheliche Verpflichtung und entscheidet sich für seine Familie, während Norma zurück nach New York fliegt.

Helen Banning (June Allyson) begibt sich aus Amerika nach München, um ihrem Leben neue Impulse zu verleihen. Bald schon hat sie die Wahl zwischen dem gutmütigen Dr. Morley Dwyer (Keith Andes) und dem exzentrischen und wohlhabenden Star-Dirigenten Tonio Fischer (Rossano Brazzi). Natürlich erliegt Helen dem Charme des Deutsch-Italieners und dem Luxus von spontanen Cabrio-Ausflügen nach Salzburg und schmucken Lustschlösschen im Allgäu. Doch dann muss sie erfahren, dass ihr Angebeteter eine schwer kranke Frau (Marianne Koch) hat. Auch sie muss eine Entscheidung treffen …

416hk6jcecl_ss500_.jpgDie sich selbst genügende Erzeugung von Affekten, die beim Melodram im Vordergrund zu stehen scheint, weicht bei Sirk echter Tragik. Seine tragisch verlaufenden Liebes- und Lebensgeschichten sind von einem sehr nüchternen, resignierten Blick auf ein von gesellschaftlichen Zwängen bestimmtes Leben geprägt. Dieser Blick verleiht seinen Filmen emotionale Tiefe wie auch eine Relevanz, die weit über ihren Entstehungszeitraum hinausweist. Die Träume von einer romantischen Liebe und einem erfüllten und erfolgreichen Berufsleben, die Sirks Protagonisten träumen, kristallisieren sich meist als nicht lebbar heraus. Sie stellen einen zwar märchenhaften Gegenentwurf zu einem starren Regeln unterworfenen Dasein dar, doch müssen seine Protagonisten diesen am Ende verwerfen, weil sie erkennen, dass sie in ihren längst zementierten Rollen gefangen sind und ein Ausbruch – so reizvoll er auch scheint – zum Scheitern verurteilt wäre. Die Tragik resultiert jedoch nicht nur daraus, dass Sirks Protagonisten eine bessere Zukunft verwehrt bleibt, sondern dass sie sich aus freien Stücken für ihr als unbefriedigend erkanntes Leben entscheiden müssen. Das genretypische Happy End, eigentlich ultimatives Zugeständnis an die Bedürfnisse des Zuschauers, weicht bei Sirk einem hochgradig ambivalenten Ende, dessen bitterer Beigeschmack sich kaum verleugnen lässt. Wenn sich Naomi Murdock in „All meine Sehnsucht“ gegen ihre Karriere und für ihre Ehe entscheidet, so mag dies ein Sieg der Liebe sein, vor allem aber ist es eine Niederlage Naomis: Die emanzipierte Frau kehrt in ein Leben zurück, das sie einst als beengend empfunden hatte, in eine Stadt, in der sie als Ehebrecherin beschimpft worden war. In „Es gibt immer ein Morgen“ erwächst Clifford Groves Bekenntnis zugunsten seines als mittelmäßig empfundenen Familienlebens und gegen einen Neuanfang mit seiner großen Liebe Norma einzig aus seinem starken Verantwortungsbewusstsein und dem Gefühl, den Zeitpunkt für einen Neuanfang längst verpasst zu haben. Und am Ende von „Der letzte Akkord“ steht dem gemeinsamen Glück der Amerikanerin Helen und des erfolgreichen Tonio dessen nicht mehr zurechnungsfähige, geistig umnachtete Ehefrau im Weg. Zwar landet Helen in den Armen des freundlichen Morley, doch nie wird sie diesem mit derselben Leidenschaft begegnen wie dem Stardirigenten. Und Tonio bleibt an eine Frau gefesselt, die er nicht mehr lieben kann. Sirks Filme stellen erzählen von „Zwischenspielen“, von einem „Interlude“ wie es der Originaltitel von „Der letzte Akkord“ treffend benennt: Der Regisseur gewährt ihnen einen Blick auf ein besseres Leben, nur um es dann vor ihnen zerplatzen zu lassen wie eine Seifenblase.

Diese ernüchternde Weltsicht korrespondiert in Sirks Werk mit einer Bildsprache, die die Charaktere als Gefangene ihrer Lebensumstände zeichnet: Die kleinen Häuschen der Murdocks und Groves mit ihren eng abgesteckten Räumen und den aus allen Ecken ins Bild ragenden Querstreben, Treppenaufgängen, Geländern und Raumtrennern scheinen ihre Bewohner förmlich in ein Korsett zu zwängen. Immer wieder teilen senkrechte und waagerechte Elemente das Bild und fassen die Protagonisten in enge Rahmen; Schatten unklarer Herkunft legen sich wie Spinnweben auf ihre Gesichter – ein Stilmittel, das durch das Schwarzweiß von „All meine Sehnsucht“ und „Es gibt immer ein Morgen“ besonders hervorsticht. Vorherrschendes Motiv dieser beiden Filme ist der Blick durch das Fenster: Der Zuschauer von Sirks Filmen nimmt nicht am Geschehen teil, vielmehr wird ihm seine Rolle als passiver Beobachter immer wieder deutlich vorgeführt. „Schau es dir gut an“, scheint Sirk zu sagen, „dies ist auch dein Leben.“ Aber dieser Blick bindet den Zuschauer auch an Sirks Hauptfiguren, an Naomi Murdock und Clifford Groves, die ihrerseits ihr Leben einer Bestandsaufnahme unterziehen, dabei aber immer stärker von der Passivität zur Aktion übergehen, nur um sich schließlich wieder in die gewohnte Passivität zu fügen. Am deutlichsten wird das in „All meine Sehnsucht“, in dem die Schauspielerin Naomi zu Beginn noch vom Zuschauerraum aus das Spiel ihrer Tochter auf der Bühne bewundert, nur um wenig später selbst wieder zum Zentrum des Geschehens zu werden. Demgegenüber nähert sich der Spielzeugfabrikant Groves immer mehr einem von ihm konbstruierten Spielzeugroboter an. Die Erfindung, die Kinderherzen höher schlagen lassen soll, erscheint am Ende des Films in einem anderen Licht: Wenn Groves erkennt, dass der Traum von der großen Liebe zerplatzen muss, marschiert der Roboter im maschinellen Stechschritt im Vordergrund zum Bild hinaus. Das Leben ist vor allem von der Pflicht geprägt. Der schwächere „Der letzte Akkord“ hingegen, der in strahlenden Farben leuchtet und in barocken Aufnahmen Münchener und Salzburger Sehenswürdigkeiten schwelgt, lebt von dem Kontrast zwischen den überladenen Bildern voller Pomp und Kitsch und dem ruinösen Seelenzustand seiner männlichen Hauptfigur Tonio Fischer. Der ganze Luxus, mit dem er sich umgibt, kann die Leere in seinem Inneren, den Magel an Liebe, nicht kompensieren. Dass sein Reichtum auch eine Bürde ist, wird nirgends deutlicher als in dem Bild des sich im Holz eines Flügels spiegelnden Antlitzes von Tonios kranker Ehefrau.

Sirks Filme erzählen von gesellschaftlichen Zwängen, sozialen Misständen und von den Menschen, die sich mit diesen arrangieren müssen. Dass sie hinter ihrer altmodisch anmutenden Fassade von beinahe universeller Wahrheit und Gültigkeit sind, lässt sich auch aus der Liste seiner großen Verehrer ablesen, zu denen unter anderem Rainer-Werner Fassbinder und Pedro Almodóvar zählen – Regisseur, die nicht gerade für harmloses Betäubungskino bekannt sind. Der heute zusammen mit „seinem“ Genre, dem Melodram, leider ein wenig in Vergessenheit geratene Sirk, hat eine Wiederentdeckung dringend verdient. Die schöne Box von Koch Media stellt eine hervorragende Gelegenheit zur Kontaktaufnahme dar.

All meine Sehnsucht
(All I desire, USA 1953)
Regie: Douglas Sirk, Drehbuch: Robert Blees, James Gunn, Gina Kaus, Kamera: Carl E. Guthrie, Musik: Henry Mancini, Milton Rosen, Hans J. Salter, Frank Skinner, Herman Stein, David Tamkin, Schnitt: Milton Carruth
Darsteller: Barbara Stanwyck, Richard Carlson, Lyle Bettger, Marcia Henderson, Lori Nelson
Länge: 79 Minuten
Verleih: Koch Media

Es gibt immer ein Morgen
(There’s always Tomorrow, USA 1956)
Regie: Douglas Sirk, Drehbuch: Bernard C. Schoenfeld, Kamera: Russell Metty, Musik: Heinz Roemheld, Herman Stein, Schnitt: William Morgan
Darsteller: Barbara Stanwyck, Fred MacMurray, Joan Bennett, William Reynolds, Pat Crowley
Länge: 84 Minuten
Verleih: Koch Media

Der letzte Akkord
(Interlude, USA 1957)
Regie: Douglas Sirk, Drehbuch: Inez Cocke, Franklin Coen, Daniel Fuchs, Dwight Taylor, Kamera: William H. Daniels, Musik: Frank Skinner, Schnitt: Russell F. Schoengarth
Darsteller: June Allyson, Rossano Brazzi, Marianne Koch, Franoise Rosay, Keith Andes, Frances Bergen
Länge: 90 Minuten
Verleih: Koch Media

Zur Box von Koch Media

Koch Media präsentiert die drei Filme in drei jeweils mit dem alten Posterartwork gestalteten DVDs, die zusammen in einem stabilen Pappschuber stecken. Zusätzlich befinden sich drei Schwarzweiß-Poster darin, die mit ihrem schmucklosen Druck allerdings nicht ganz zur ansonsten hochwertigen Box passen. Die DVDs selbst sind jedoch über jeden Zweifel erhaben, Bild und Ton sind äußerst ansprechend. Auf weiteres Bonusmaterial muss man leider verzichten, es gibt lediglich Bildergalerien, die dafür aber recht umfangreich sind. Eine Anschaffung ist dringend empfohlen.

Zur Ausstattung der Box:
Bild: 1,33:1 bzw. 2,35:1 („Der letzte Akkord“)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Mono
Extras: Bildergalerie, Poster
Länge: ca. 248 Minuten
Freigabe: ab 12
Preis: 34,95 Euro

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Eine Antwort auf „Des eigenen (Un)Glücks Schmied“

  1. Man sollte sagen, dass es nicht nur keine Extras, sondern auch keine Untertitel gibt, das ist ja schon sehr ungewöhnlich. Ich spreche hier für „Interlude“, den ich mir über amazon ausgeliehen hatte, ´bei den anderen Filmen weiß ich nicht, ob Untertitel dabei sind.

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