Filmische Entjungferung

Bilder der vor Hitze flirrenden Wüste, eine Stimme, die mit schwerstem southern drawl zu uns spricht: So endete „The Big Lebowski“, so beginnt „No Country for old Men“. Doch zwischen diesen beiden Filmen ist etwas passiert mit den Coens und mit dem Cowboy, dem diese Stimme gehört. Statt dem „Stranger“ (Sam Elliott), diesem fleischgewordenen Filmzitat, das den Zuschauer an die Hand nahm, gehört sie nun Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones), einem alternden Sheriff, der noch nie eine Waffe abgefeuert hat und sich nicht mehr heimisch fühlt in dieser Welt und Zeit. Es ist eben kein Land für alte Männer, sagt er nüchtern, man müsse flexibel sein, um in diesem Land zu überleben. Er wird mit dem Ausgang der Geschichte nichts zu tun haben, sich im Hintergrund halten – fast absichtlich kommt er immer einen Schritt zu spät. Doch es sind seine Augen, durch die wir auf dieses Land blicken und die uns immer auf Distanz zu den Bildern halten.
nocountryforoldmen_poster_1.jpgBei einem Trip in die Wüste gerät der Vietnamveteran Llewelyn Moss (Josh Brolin) an den Schauplatz eines offensichtlich schiefgelaufenen Drogengeschäfts: Alle sind tot, nur ein Mann sitzt langsam verblutend in seinem Wagen. Aber Moss hat bereits anderes im Sinn als Leben zu retten. Wenig später findet er das zu dem Deal gehörige Geld, ebenfalls in den Händen eines Toten. Er nimmt die Beute an sich und kehrt in sein kleines Leben im Trailerpark zurück. Dieses Leben soll eine entscheidende Wendung nehmen, aber noch ist er der alte Llewelyn und deshalb packen ihn die Gewissensbisse: Doch als er nachts zu der Stelle zurückkehrt, um dem Verblutenden zu helfen, ist er nicht allein. Bald schon sitzt ihm ein gefährlicher Killer im Nacken, Anton Chigurh (Javier Bardem), gleichermaßen eiskalter Engel wie göttlicher Scharfrichter, der seine Opfer am liebsten mit dem Bolzenschussgerät ermordet als wären sie Vieh …

Texas, ein Sheriff, dessen beste Zeit lang zurückliegt, ein Mann, der die Chance auf einen Neuanfang bekommt, ein Killer, der kein Versagen kennt: Die Coens haben im Jahr 2007 einen Spätwestern gedreht und ihn – man übersieht das, wenn man nicht aufpasst – in das Jahr 1980 verlegt, eine Zeit der Orientierungslosigkeit: Der Vietnamkrieg war noch lang nicht verdaut, Präsident Carter hatte kein Rezept, wie er der angeschlagenen Nation ihr Selbstwertgefühl zurückgeben konnte. Eine resignative Stimmung liegt über „No Country for old Men“, eine Ahnung des nahenden Todes, ein Gefühl der Entfremdung von der Welt. Der Tod ist so unausweichlich, dass sogar die Coens ihn verpassen: Llewelyn Moss wird abseits der Kamera, ja beinahe abseits des Films sterben, in einer sprachlos machenden Ellipse, mit der die Coens mehr zu erzählen wissen als manch anderer Regisseur mit dem, was er zeigt. Kameramann Roger Deakins kadriert das Geschehen in aufgeräumt wirkenden Bildern, die mal die Nähe zum Western, mal die zum Film Noir suchen und so die Diskrepanz zwischen den Träumen der Pionierzeit und der Wirklichkeit des Hier und Jetzt thematisieren. Carter Burwells Score glänzt meist durch Abwesenheit und drängt sich erst mit den Schlusscredits in den Vordergrund. Überwiegend auf diegetischen Ton vertrauend, gewinnt „No Country for old Men“ eine traumgleiche Präsenz, die mit Tommy Lee Jones’ eröffnendem Voice-over und seinem Schlussmonolog – die Nacherzählung eines rätselhaften Traums – korrespondiert. Doch Vieles spricht dafür, dass dieser Traum ein Albtraum ist: Javier Bardem interpretiert seinen Anton Chigurh gleichermaßen als auf die Erde gefallenen Racheengel und als sadistisches Kind, das nie den Unterschied zwischen Gut und Böse gelernt hat. Er ist nicht einfach ein Professional, er ist eine Urgewalt, der grimme Schnitter, der seine Ernte einholt und sich dabei nicht auf einen Handel einlässt.

So merkwürdig die Filme der Coens auch immer schon waren, man befand sich als Zuschauer stets auf sicherem Terrain. Das Geschehen auf der Leinwand blieb in seiner Sphäre gefangen: Zwar waren die Zeichen, die die Coens aus dem Gesamttext der Filmgeschichte destilliert hatten, leicht zu entziffern und zu übertragen, doch blieben sie immer innerhalb des Bezugsrahmens „Film“ verhaftet. Das ist nun anders. Zwar erkennt man die Archetypen und Klischees, die Motive und die Schauplätze aus anderen Filmen und weiß um ihre Bedeutung, aber diesmal lösen sie sich von ihrer bloßen Repräsentation im Text und beginnen ein eigenes, größeres Leben. Sicher, auch in ihren älteren Filmen begnügten sich die Coens nicht mit formalistischem Zitatenspiel, immer suchten sie eine Verknüpfung zum „echten Leben“ herzustellen. Aber erst jetzt ist ihnen dieser Spagat wirklich gelungen. Mehr noch: „No Country for old Men“ ist ein Film, dessen Wahrheit so universal erscheint, dass man sie kaum noch in Worte kleiden kann. Er manifestiert sich nicht zuerst als Schöpfung individueller Kreativität, sondern speist sich aus dem Inhalt eines kollektiven Bildergedächtnisses, dessen Bedeutung sich ganz intuitiv erschließt. Nichts von dem, was passiert, ist wirklich neu, aber es dringt mit einer Folgerichtigkeit und Kraft ins Bewusstsein, dass es einer Entjungferung gleichkommt. Reduktion ist das Zauberwort: Die Coens haben kräftig durchgelüftet und ausgemistet, den Hang zum Episodischen abgelegt und sich mit langem Atmen einem in seiner Konzentriertheit beinahe wieder epischen Film zugewandt, der ebenso klar wie vollkommen rätselhaft, gleichzeitig von ernüchterndem Pessimismus, augenzwinkernder Komik wie von tröstender Spiritualität ist und der mit seinen klaren Bildern den Weg dorthin findet, wohin sonst nur wenige Filme vorzudringen vermögen: Er trifft direkt in die Seele.

No Country for old Men
(No Country for old Men, USA 2007)
Regie: Ethan Coen, Joel Coen, Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen, Kamera: Roger Deakins, Musik: Carter Burwell, Schnitt: Ethan Coen, Joel Coen
Darsteller: Tommy Lee Jones, Javier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly Macdonald
Länge: 122 Minuten
Verleih: Universal

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