Nach zwanzig Jahren bringt Sylvester Stallone mit John Rambo die emblematische Figur des Actionkinos der 80er Jahre wieder in die Lichtspielhäuser: Schauplatz der Handlung sind diesmal Thailand und das benachbarte Myanmar (Birma bzw. Burma im europäischen Sprachraum), in dem seit mehr als 30 Jahren ein Bürgerkrieg tobt, der international kaum Beachtung findet. John Rambo (Sylvester Stallone) fristet sein Dasein auf einem Boot, mit dem er gelegentlich Waren und Passagiere auf dem Fluss Salween transportiert. Ansonsten lebt er von der Jagd auf Schlangen und dem Fischfang. Seine kriegerische Vergangenheit lässt ihn aber auch in seinem neuen ‚zivilen‘ Leben nicht los: Nacht für Nacht quälen ihn Alpträume voller Erinnerungsfetzen an vergangene Konflikte und Kämpfe (die aus den ersten drei Filmen kollagiert sind). Als christliche Missionare an seine Tür klopfen, um ihn dazu zu bewegen, sie ins Kriegsgebiet zu transportieren, lehnt er ab und legt ihnen eine Rückkehr in die sichere US-Heimat nahe: „Go home!“ (Nahezu monoton, fast wie ein Mantra, wiederholt Rambo diese Worte.) Das beharrliche Werben von Sarah (Julie Benz), der einzigen Frau im Missionarsteam, bringt ihn schließlich dazu, sie wider besseres Wissen zu den Flüchtlingslagern der Karen, der christlichen Minderheit in Birma, zu bringen. Knapp zwei Wochen später erfährt Rambo dann, dass die Missionare vom Militär verschleppt worden sind; er erklärt sich bereit, von der Kirche bezahlte Söldner ins Krisengebiet zu bringen und an der Befreiung der Gefangenen mitzuwirken. Das Presseheft verspricht nicht zuviel, wenn es die erneute Reise als einen „Abstieg in die Hölle auf Erden“ bezeichnet.
John Rambo (der Originaltitel ist noch stärker aufs Wesentliche verkürzt: Rambo) ist ein außerordentlich brutaler, auf den ersten Blick kompromissloser Film: Er beginnt mit drastischen Dokumentaraufnahmen aus Myanmar, die überleiten zu inszenierten, nicht weniger drastischen Grausamkeiten des birmanischen Militärs. Blut und Körperteile fliegen buchstäblich in die letzte Sitzreihe. Gerade am Anfang schafft der Film eine unerhört beklemmende Atmosphäre, die andeutet, was der Film hätte werden können: ein unerfreulicher (Anti-)Kriegsfilm, der den Zuschauer leibhaftig am Grauen teilhaben lässt und die Klischees des Actionkinos demystifiziert. Wäre dies gelungen – zumal mit der Figur des John Rambo, der wie kein zweiter für diese Klischees steht und es damit ja selbst in den Duden geschafft hat -, so wäre Stallones Film ein wirklich großer Wurf geworden. Leider hält der Film nicht diese Versprechungen der ersten Minuten, sondern entpuppt sich, trotz guter Ansätze, als ein Ärgernis. Was den Film zu einem Ärgernis werden lässt, ist die Art und Weise, wie er seine Chancen verschenkt: In seiner Grundkonstruktion, in der Figurenzeichnung und sogar in der Gewaltdarstellung verbleibt er letztlich innerhalb der Konventionen des Genres, dessen Grenzen er zu transzendieren scheint.
Die düstere Inszenierung, die sichtlich darum bemüht ist, eine Atmosphäre der Hoffnungs- und Sinnlosigkeit zu schaffen, läuft ins Leere, weil der Rahmen doch wieder nur eine klassische damsel-in-distress-Geschichte ist. Der naive Charme der selbstredend blonden Missionarin verführt Rambo erst dazu, die Missionare ins Kriegsgebiet zu schippern, und dient dann als Motivation für seine Beteiligung an der Rettungsmission. Ihre Rettung ist dann auch folgerichtig ein happy ending: Allen beobachteten Grausamkeiten zum Trotz bewahrt sie sich ihr Gottvertrauen und kann sogar Rambo mit seiner ‚alten‘ Heimat versöhnen. Nicht nur im Hinblick auf das naive Blondchen ist die Figurenzeichnung ärgerlich: Die anderen Missionare, allen voran ihr Anführer Michael Burnett (Paul Schulze), sind nicht nur unglaublich naiv, sondern zugleich auch noch ausnehmend selbstgerecht, was sie durchweg unsympathisch erscheinen lässt. Ihr Pazifismus wirkt vor dem Hintergrund des im Film gezeigten birmanischen ‚Alltags‘ als eine besondere Form von Realitätsblindheit: Als ihr Boot von Piraten aufgebracht wird und Rambo diese höchst effizient umbringt, um die Missionare und sich selbst vor dem sicheren Tod zu bewahren, lässt Burnett ihn pikiert wissen, dass diese Gewalttat zu gegebener Zeit den Behörden angezeigt werde. Dieses nachgerade absurde Festhalten an Rechtstaatlichkeit in einem anarchischen Umfeld, zudem in einer Notwehrsituation, konnotiert die Missionare als lebensuntaugliche Gutmenschen, deren Sinn für Realität erst durch die Ereignisse und das Vorbild John Rambos geschärft wird: Gerade Michael Burnett durchläuft eine besondere Form der éducation sentimentale, die darin gipfelt, dass er einem seiner birmanischen Peiniger bei der Befreiung durch Rambo und Konsorten den Schädel mit einem Stein einschlägt und so zur ‚Realität‘ einer dog-eat-dog-Welt bekehrt wird.
Selbst in seiner scheinbar grenzüberschreitenden Gewaltdarstellung bleibt der Film den Regeln und den Klischees des amerikanischen Actionkinos verhaftet. Zwar ist sie tatsächlich stellenweise beispiellos (wenn auch in der deutschen Fassung gekürzt): In drastischen, teilweise Übelkeit erregenden Bildern sieht man, wie Menschen (und darunter sogar Säuglinge) zerfetzt, verbrannt, erschlagen, erschossen und sogar bei lebendigem Leibe Schweinen zum Fraß vorgeworfen werden. Aber die scheinbare Kompromisslosigkeit der Gewaltdarstellung, die den Film zu einem wuchtigen Statement gegen die reine Konsumierbarkeit filmischer Gewalt hätte machen können, kennt doch Grenzen, wie sie für den amerikanischen Actionfilm typisch sind. Grundsätzlich wird die Gewalt in John Rambo ohne Blinzeln und ohne Möglichkeiten zum ‚Wegschauen‘ inszeniert, was dem Film vor allem am Anfang eine große Wucht verleiht. Bei sexualisierter Gewalt aber erweist sich der Film als merkwürdig keusch und damit inkonsequent. Während der Massenvergewaltigung weiblicher Gefangener durch die birmanischen Soldaten zündet einer der sichtlich berauschten Vergewaltiger eine Rauchgranate, die das Geschehen gnädig verdeckt. Um hier Missverständnissen vorzubeugen: Selbstredend soll hier nicht der drastischen Darstellung sexualisierter Gewalt das Wort geredet werden. Aber wenn ein Film sich der schonungslosen Darstellung von Gewalt so sehr verpflichtet wie John Rambo, dann legt die hier geübte Zurückhaltung den Verdacht nahe, dass Gewalt letztlich doch im Sinn eines plot device instrumentalisiert wird: Sie dient der Charakterisierung von Rambos Gegnern als Unmenschen und liefert die Rechtfertigung für die später an ihnen geübte Vergeltung.
Diese Vergeltung führt den Film dann vollends in vertrautes Territorium zurück und macht ihn, alles in allem, zu einer Enttäuschung: Der Regisseur Stallone kann nicht der Versuchung widerstehen, seine Figur John Rambo als quasi-übernatürliche Heldenfigur zu inszenieren. Zwar ist Rambo am Anfang des Films ein von den Gespenstern der Vergangenheit terrorisierter, völlig desillusionierter Antiheld, aber als es darauf ankommt, erwacht sofort der Elite-Soldat in ihm, der mit gewohnter Präzision die gegnerische Übermacht in ihre Schranken weist. Den Fans spendiert Stallone in der zweiten Hälfte des Films Großaufnahmen und Zeitlupen seines stellenweise wie aus Stein gemeißelt wirkenden Helden, die von dem bekannten musikalischen Leitmotiv unterlegt sind, und inszeniert Rambo als eine Art Naturgewalt, die über die birmanischen Bösewichte hereinbricht und für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt. Dies konterkariert die eingangs geschaffene, düstere Atmosphäre des Films und nimmt ihm viel von seiner ursprünglichen Wucht. (Konterkariert wird die Ernsthaftigkeit des Films übrigens auch durch die Beliebigkeit des Schauplatzes, über die der Regisseur und Drehbuchautor Stallone im Presseheft in entwaffnender Ehrlichkeit Auskunft gibt: „Ich rief beim Söldnermagazin Soldier of Fortune und bei den Vereinten Nationen an. Ich fragte: ‚Wo auf unserer Erde werden die Menschenrechte am offensichtlichsten und schlimmsten mit Füßen getreten, ohne dass darüber nennenswert berichtet wird?‘ Die Antwort war: ‚Birma‘.“ Selbst die Wahl des Schauplatzes, die im Presseheft zu einem Akt der Aufklärung stilisiert wird, gehorcht letztlich der Unterhaltungslogik: Der Schauplatz ist neu und ‚unverbraucht‘.) So bleibt John Rambo letztlich ein leidlich spannender, aber in den Klischees des Genres befangener Actionfilm, der wesentlich mehr hätte sein können.
Interessant ist der Film gleichwohl als Ausdruck US-amerikanischer Befindlichkeit: Dem Interventionismus, sei er humanitär oder militärisch, erteilt der Film eine deutliche Absage: „Go home!“, wie es mehrfach im Film heißt. So ist der Film gewissermaßen auch ein Dokument der Verunsicherung, die den öffentlichen Diskurs über die Interventionen im Irak und in Afghanistan in den USA mittlerweile deutlich prägt: Kann durch militärische Intervention, und das heißt letztlich: durch Krieg, Frieden und Freiheit geschaffen werden? Für den interventionserfahrenen John Rambo lautet die Antwort im letzten Teil der Filmreihe: Nein. Und folgerichtig geht er am Ende des Films, seinem eigenen Ratschlag folgend, nach Hause.
John Rambo
(Rambo, USA 2008)
Regie: Sylvester Stallone, Drehbuch: Art Monterastelli, Sylvester Stallone, Kamera: Glen MacPherson, Musik: Brian Tyler, Schnitt: Sean Albertson
Darsteller: Sylvester Stallone, Julie Benz, Matthew Marsden, Graham McTavish, Reynaldo Gallegos
Länge: 90 Minuten
Verleih: Warner Bros.
„Aber die scheinbare Kompromisslosigkeit der Gewaltdarstellung, die den Film zu einem wuchtigen Statement gegen die reine Konsumierbarkeit filmischer Gewalt hätte machen können, kennt doch Grenzen, wie sie für den amerikanischen Actionfilm typisch sind. Grundsätzlich wird die Gewalt in John Rambo ohne Blinzeln und ohne Möglichkeiten zum ‘Wegschauen’ inszeniert, was dem Film vor allem am Anfang eine große Wucht verleiht. Bei sexualisierter Gewalt aber erweist sich der Film als merkwürdig keusch und damit inkonsequent.“
Ein ebenso interessanter wie logischer Aspekt, der der oft betonten, vermeintlich unerbittlichen Härte des Films Lügen straft. Das soll also Krieg mit all seiner Hässlichkeit sein, ungefiltert und ganz, ganz drastisch, ohne Rücksicht auf Verluste. Aber wenn der Chefbösewicht kleine Jungs zu sich bestellt, wird freundlich abgeblendet und das Geschehen plötzlich filmisch dezent aufbereitet. Nicht, dass ich das gern gesehen hätte – aber es zeigt exemplarisch, wie alles an diesem Film nur reine Pose ist.