Los Angeles gehört wohl – neben New York, London und Paris – zu den meist gefilmten Städten der Welt. Anders als diese musste sich aber Los Angeles sein filmisches Dasein per se erst erkämpfen. Während die Weltstädte wie von selbst zu Objekten cinematografischer Begierde wurden, war die „horizontal city“ am Anfang des Jahrhunderts noch ein aus urbaner Perspektive unattraktives Dorf und hat sich erst nach und nach den Status einer filmenswerten Lokalität erarbeitet. Gefilmt wurde in Los Angeles zwar schon immer, seit sich in Hollywood die Kinoindustrie angesiedelt hatte, aber das Gefilmte wurde verkleidet: Das Gezeigte war immer andernorts. Heute ist dies natürlich nicht mehr so, und Los Angeles ist nicht nur Dreh-, sondern auch Handlungsort einer kaum überschaubaren Anzahl von Filmen und Fernsehserien. L.A. ist in mehr als einer Hinsicht die Film-Stadt.
Ami goes home.
Nach zwanzig Jahren bringt Sylvester Stallone mit John Rambo die emblematische Figur des Actionkinos der 80er Jahre wieder in die Lichtspielhäuser: Schauplatz der Handlung sind diesmal Thailand und das benachbarte Myanmar (Birma bzw. Burma im europäischen Sprachraum), in dem seit mehr als 30 Jahren ein Bürgerkrieg tobt, der international kaum Beachtung findet. John Rambo (Sylvester Stallone) fristet sein Dasein auf einem Boot, mit dem er gelegentlich Waren und Passagiere auf dem Fluss Salween transportiert. Ansonsten lebt er von der Jagd auf Schlangen und dem Fischfang. Seine kriegerische Vergangenheit lässt ihn aber auch in seinem neuen ‚zivilen‘ Leben nicht los: Nacht für Nacht quälen ihn Alpträume voller Erinnerungsfetzen an vergangene Konflikte und Kämpfe (die aus den ersten drei Filmen kollagiert sind). Als christliche Missionare an seine Tür klopfen, um ihn dazu zu bewegen, sie ins Kriegsgebiet zu transportieren, lehnt er ab und legt ihnen eine Rückkehr in die sichere US-Heimat nahe: „Go home!“ (Nahezu monoton, fast wie ein Mantra, wiederholt Rambo diese Worte.) Das beharrliche Werben von Sarah (Julie Benz), der einzigen Frau im Missionarsteam, bringt ihn schließlich dazu, sie wider besseres Wissen zu den Flüchtlingslagern der Karen, der christlichen Minderheit in Birma, zu bringen. Knapp zwei Wochen später erfährt Rambo dann, dass die Missionare vom Militär verschleppt worden sind; er erklärt sich bereit, von der Kirche bezahlte Söldner ins Krisengebiet zu bringen und an der Befreiung der Gefangenen mitzuwirken. Das Presseheft verspricht nicht zuviel, wenn es die erneute Reise als einen „Abstieg in die Hölle auf Erden“ bezeichnet.
David gegen Goliath
Die italienische Serie Allein gegen die Mafia (im italienischen Original: La Piovra, ‚Der Krake‘) zeigt in insgesamt zehn Staffeln den Kampf gegen die organisierte Kriminalität Siziliens; dieser Kampf wird konsequent als eine nahezu aussichtslose Unternehmung inszeniert. Trotz (oder gerade wegen?) der pessimistischen Grundhaltung wurde die Serie in Italien und im europäischen Ausland ein großer Erfolg. Michele Placido, den Hauptdarsteller der ersten vier Staffeln, machte sie zum Star. Nach vier Staffeln aber hatte die Rolle des aufrechten Commissario Cattani für Placido offenbar ihren Reiz verloren, und er verließ die Serie. Sein Ausstieg passte aber auch gut in die Logik der Serie: Der Mafiajäger Cattani hatte im Laufe der vier Staffeln seine Familie und nahezu alle seine Mitstreiter verloren. Als er dann im Laufe der vierten Staffel eine lukrative Unternehmung, die Mafiagrößen und hohe Politiker gemeinsam planen, scheitern lässt, wird der zunehmend kampfesmüde Commissario, der zuletzt dem übermächtigen Gegner allein getrotzt hat, von einem bewaffneten Kommando ermordet.
Der Kampf gegen die Krake
Nicht wenigen gelten Fernsehserien als besonders minderwertiges Produkt der Kulturindustrie (in der Nachfolge der gleichfalls verfemten Feuilletonromane des 19. Jahrhunderts und der Radio-soap-operas, deren televisuelle Ableger – zuletzt als daily soaps – noch heute ihren angestammten Platz im Programm haben). Serialität und Iteration sind ihre Kennzeichen: Folge für Folge wird der gleiche Grundkonflikt ausgefochten, stets innerhalb von 45 Minuten und immer mit einem hinreichend offenen Ende (damit’s weitergeht). Exemplarisch dafür ist die Krimiserie: Jede Woche löst der Kommissar den Mordfall innerhalb der zugestandenen Sendezeit und weist das Böse temporär in seine Schranken – bis zur nächsten Woche. „Der Kampf gegen die Krake“ weiterlesen
Euphoria vacui
Kommen Wissenschaftler in ein gesetztes Alter, so widmen ihnen Freunde, Kollegen und vor allem Schüler Sammelbände, die unter dem Begriff „Festschrift“ firmieren. Anlässe für solche Festschriften sind zum Beispiel runde Geburtstage oder das offizielle Ende der akademischen Karriere, die Emeritierung. Die Rückbindung an einen äußerlichen Anlaß führt nicht selten dazu, dass den Festschriften eine klare inhaltliche Linie fehlt. So kommt es vor, daß die angefragten Autoren, die sich der Pflicht der Würdigung des Freundes, Kollegen oder akademischen Lehrers nicht entziehen wollen, das abliefern, was sie ohnehin gerade ‚auf der Pfanne‘ haben. Zusammengehalten wird das Ganze dann von der vagen Vorstellung, das Mitgeteilte habe in irgendeiner Form mit dem Schaffen des Geehrten zu tun. Konvolute der genannten Art werden im Branchenjargon als „Aufsatzgräber“ bezeichnet. Der Ausdruck läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Die Festschrift bleibt reine social gesture. Die inhaltliche Relevanz der Beiträge tritt dahinter zurück. (Und in der Bezeichnung versteckt sich auch ein Imperativ, der die Diagnose zur selffulfilling prophecy macht: Verstecke bloß nicht deine besten Gedanken in einer Festschrift, die eh niemand liest!) „Euphoria vacui“ weiterlesen
Keine runde Sache
In älteren Mathebüchern findet man häufig die klassische Textaufgabe mit der Schnecke und dem Brunnen: In einem 8 Meter tiefen Brunnen sitzt eine Schnecke. Jeden Tag schafft sie es, den Brunnenschacht sechzig Zentimeter hinaufzukriechen. Nachts rutscht die Schnecke aber wieder die Hälfte der zurückgelegten Strecke hinunter. Wann wird die Schnecke aus dem Brunnen herauskriechen können? Lässt man den mathematischen Subtext beiseite, so kann man aus dieser Geschichte immerhin noch lernen, dass das, was aus einem Brunnen herauskriecht, zwar mit Rückschlägen leben muss, aber letztlich doch irgendwann ans Ziel kommt.
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Hermeneutik des Subjekts
Michel Foucault: Die Hermeneutik des Subjekts. Vorlesung am Collège de France (1981/82), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004
Es ist üblich, das Schaffen Michel Foucaults in drei Phasen einzuteilen: die archäologische Phase, die im wesentlichen die sechziger Jahre umfaßt, die genealogische Phase der Siebziger und schließlich das Spätwerk der achtziger Jahre, das unter dem Rubrum »Ästhetik der Existenz« firmiert. Wodurch sind diese Phasen jeweils charakterisiert?
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Es war einmal … der Mensch
Norbert Bolz/Andreas Münkel (Hgg.): Was ist der Mensch?, München: Fink 2003
Philosophische Anthropologie galt bis vor kurzem als „der unverkäuflichste aller philosophischen Ladenhüter“ (Ludger Lütkehaus). Die Frage nach dem Wesen des Menschen, nach seiner Essenz, wird zwar in der Tradition, etwa bei Immanuel Kant, als die eigentliche Frage der Philosophie ausgezeichnet, war aber lange Zeit von der Spitze philosophischer to-do-Listen verdrängt. Ihre mangelnde Attraktivität verdankt diese Frage ihrem allzu komplexen Gegenstand: Das Forschungsfeld „Mensch“ wird von vielen verschiedenen Bereichsanthropologien beackert; eine transdisziplinäre Zusammenschau, wie sie von einer philosophischen Anthropologie wohl erwartet würde, erscheint angesichts der Unübersichtlichkeit dieses Forschungsfeldes als kaum einzulösendes Desiderat.
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Blickverschiebungen: Kulturindustrie revisited
In der gemeinsam mit Max Horkheimer verfassten „Dialektik der Aufklärung“ (1947) prägte der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno das vielzitierte Schlagwort ‚Kulturindustrie‘. Adornos These – und der Begriff der Kulturindustrie fasst diese pointiert zusammen – ist es, dass in unserer Gesellschaft auch die Kultur gänzlich von der kapitalistischen Warenlogik kontaminiert ist: Kulturerzeugnisse sind für den Markt bestimmte und allein nach Marktregeln konzipierte Produkte wie Seife oder Schokoriegel. Die gesellschaftliche Diagnose, die er mit seiner Kulturkritik verbindet, ist äußerst pessimistisch: In der Gestalt der Kulturindustrie wird Kultur, die eigentlich der Aufklärung dienen soll, zum „Massenbetrug“, zu einer perfiden Form von ‚Opium fürs Volk‘, die den Einzelnen darüber hinwegtrösten und -täuschen soll, daß er nur Rädchen im Getriebe der „verwalteten Welt“ ist.
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Opiumhöhle und ästhetisches Asyl
»I’m in the front row with popcorn.
I get to see you – close up.«
(Alanis Morrissette)
Der französische Philosoph Michel Foucault zählt das Kino, jenen „merkwürdigen, viereckigen Saal, in dessen Hintergrund man auf einem zweidimensionalen Schirm einen dreidimensionalen Raum sich projizieren sieht“ (2002:42, Übersetzung leicht abgeändert), zu den Heterotopien. Mit diesem Begriff bezeichnet er eine eigentümliche Klasse von Orten, die im sozialen Ordnungsgefüge, das auch und vor allem ein Gefüge von Räumen ist – Foucault spricht von „Plazierungen“ (ebd. 38) –, eine präzise Funktion wahrnehmen, diese Funktion aber zugleich transzendieren und damit unerwartete Effekte produzieren. Heterotopien haben mithin „die sonderbare Eigenschaft […], sich auf alle anderen Plazierungen zu beziehen, aber so, daß sie die von diesen bezeichneten oder reflektierten Verhältnisse suspendieren, neutralisieren oder umkehren“ (ebd.) Inwiefern der Kinosaal ein solcher Ort ist, wird bei Foucault nur angedacht. Die Heterotopologie, die Analyse der Heterotopien, wird von ihm nur mit groben Pinselstrichen skizziert. Ausgeführt hat er dieses Programm selbst nicht.
ePhilosophy
Das mittelalterliche Geschichtsdenken ist im wesentlichen ein heilsgeschichtliches: Geschichte vollzieht sich nach göttlichem Plan. Eng damit verbunden ist der Gedanke der translatio imperii et studii: Weltliche Macht und Kultur gehen durch göttliche Vorsehung von einem Reich auf das andere über. War es im 20. Jahrhundert aus naheliegenden Gründen still geworden um derart hoffnungsfrohe Geschichtsmodelle, so hat sich doch in letzten 10 bis 15 Jahren im Rahmen des Siegeszugs der Neuen Medien in nahezu allen kulturellen und gesellschaftlichen Sektoren eine positive Erwartungshaltung entwickelt, die man als eine Art säkulare Heilsgeschichte zu interpretieren geneigt sein könnte. In den interaktiven Medien, im Cyberspace vermutet man neue Lösungen für nahezu alle drängenden politischen, sozialen und ökonomischen Probleme. Auch hier läßt sich so etwas wie eine translatio imperii beobachten: War es zunächst der ökonomische Sektor, der seine Hoffnungen in eine New Economy setzte (diese Blase scheint unterdes geplatzt), so sind es heute die Sozial- und Kulturwissenschaften, die ihre Fragestellungen unter den Bedingungen der Multimedialität anders buchstabieren und so eine Reihe neuer Forschungsfelder erschließen. Bei der Wortbildung einer entsprechenden Fachterminologie hat sich in diesem Zusammenhang das Suffix „e-“ (für „electronic“) als sehr produktiv erwiesen. Die neuen Forschungsfelder heißen also zum Beispiel eGovernance, ePublishing, oder eLearning.
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Die unmögliche Biografie
Derrida, USA 2003, Amy Ziering Kofman/Kirby Dick
Der französische Philosoph Jacques Derrida gilt als einer bedeutendsten Denker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit 1967 veröffentlicht er kontinuierlich philosophische Bücher und Aufsätze, die in akademischen Kreisen (aber auch im Feuilleton) – vornehmlich in der Philosophie, der Literaturwissenschaft und den Kulturwissenschaften, aber auch in Bereichen wie der Architektur oder dem Ballett –, lebhaft rezipiert werden. Bekannt geworden ist Derrida als Begründer des so genannten ‚Dekonstruktivismus‘, einer Überbietung der Heideggerschen ‚Destruktion‘ der abendländischen Metaphysik (vgl. Sein und Zeit, § 6), die sich darauf besinnt, dass man der Tradition nicht so ohne weiteres entkommt (wie Heidegger selbst gehofft hatte), und folglich aus ihr heraus und in ihr operiert: Die Tradition wird nicht einfach zerstört, sondern zerlegt und umgebaut; dem destruierenden Gestus ist auch etwas Konstruktives zu eigen. Die De(kon)struktion Derridas meint mithin eine Lektüre philosophischer Texte, die nicht nur auslegt, was der Text sagt (das wäre Hermeneutik), sondern auch auslegt, was er nicht sagt, was er verschweigt. Durch solche Lektüren legt der französische Denker die Hypotheken frei, die auf der abendländischen Philosophie lasten: Sie ist seit Platon logozentrisch (d.h. auf das gesprochene Wort fixiert), phallozentrisch (d.h. männlich dominiert) und ethnozentrisch (westeuropäisch geprägt). Gegen die von ihm auch als Präsenzmetaphysik bezeichnete Tradition setzt er ein Denken, das sich über die Beschränkungen, denen unser Welt- und Wahrheitszugang unterliegt, völlig im Klaren ist: Sinn gibt es nicht präsent, sondern immer nur aufgeschoben. Alle Präsenz ist eine abgeleitete. „Die unmögliche Biografie“ weiterlesen
Digitales Zwergobst
Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Berlin: Directmedia 2003
Die Berliner Directmedia Publishing GmbH gibt seit einigen Jahren in der Reihe „Digitale Bibliothek“ CD-ROMs heraus, auf denen in denkbar komprimierter Form Bestände der abendländischen Kultur- und Geistesgeschichte versammelt sind. Eins ihrer ersten Produkte war die Sammlung (nicht mehr Copyright-geschützter) Texte der Philosophie von Platon bis Nietzsche. Seitdem ist das Programm stetig erweitert worden und umfasst beispielsweise Werkausgaben von Nietzsche, Max Weber oder Karl May. Vor kurzem ist das philosophische Programm der Digitalen Bibliothek um einen saftigen Brocken erweitert worden: Pünktlich zum 100. Geburtstags Theodor W. Adornos liegt nun auch die 20bändige Ausgabe der Gesammelten Schriften des Philosophen, Soziologen und Musiktheoretikers auf CD-ROM vor.
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Matrix Revolutions
Matrix Revolutions, USA 2003, Andy & Larry Wachowski
„Alles was einen Anfang hat, hat auch ein Ende.“ So verspricht es die tagline von The Matrix: Revolutions, dem letzten Teil der Matrix-Trilogie, und weckt die Erwartung, der Abschlussfilm liefere Antworten auf die Fragen, die in den ersten beiden Teilen The Matrix (USA 1999) und The Matrix: Reloaded (USA 2003) aufgeworfen wurden. Gelingt es dem dritten Film, die Trilogie in ein stimmiges Ganzes zu verwandeln, oder folgt er – immerhin eine Joel-Silver-Produktion – nur dem Imperativ bigger, louder, more? „Matrix Revolutions“ weiterlesen