Es war einmal … der Mensch

Norbert Bolz/Andreas Münkel (Hgg.): Was ist der Mensch?, München: Fink 2003

Philosophische Anthropologie galt bis vor kurzem als „der unverkäuflichste aller philosophischen Ladenhüter“ (Ludger Lütkehaus). Die Frage nach dem Wesen des Menschen, nach seiner Essenz, wird zwar in der Tradition, etwa bei Immanuel Kant, als die eigentliche Frage der Philosophie ausgezeichnet, war aber lange Zeit von der Spitze philosophischer to-do-Listen verdrängt. Ihre mangelnde Attraktivität verdankt diese Frage ihrem allzu komplexen Gegenstand: Das Forschungsfeld „Mensch“ wird von vielen verschiedenen Bereichsanthropologien beackert; eine transdisziplinäre Zusammenschau, wie sie von einer philosophischen Anthropologie wohl erwartet würde, erscheint angesichts der Unübersichtlichkeit dieses Forschungsfeldes als kaum einzulösendes Desiderat.

Und doch ist die Frage nach dem Menschen aktuell. Ja, man könnte sogar sagen, daß sie gegenwärtig an Aktualität gewinnt: Das spezifisch Menschliche des Menschen ist heute wohl so fragwürdig wie selten zuvor. Die rasante Entwicklung der sogenannten Lebenswissenschaften, der Robotik, der Erforschung künstlicher Intelligenz sowie der Informations- und Kommunikationstechnologien verschiebt die Grenzen des »Menschenmöglichen« beinahe täglich. Mit den Schlagwörtern Genmanipulation, Klonen, Cyborgisierung und Mediatisierung seien nur einige der durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt initiierten An- und Zumutungen benannt. Dieser Fortschritt geht, im Wortsinne, an die Substanz und stellt traditionelle Menschenbilder und mit ihnen verknüpfte Orientierungsmuster (samt der aus ihnen abzuleitenden Handlungsempfehlungen) radikal in Frage. Für diese Entwicklung werden eine ganze Reihe von Deutungen angeboten; das Spektrum reicht von einer Art säkularen Heilsgeschichte, wie sie im Transhumanismus entfaltet wird, bis hin zu Katastrophenszenarien, in denen das „Ende des Menschen“ (so der Titel einer populären Darstellung von Francis Fukuyama) beschworen wird. Wie auch immer man sich zu diesem Deutungsangebot verhalten mag, es zeigt die Notwendigkeit von philosophischer Reflexion im Hinblick darauf, wie sich der Mensch heute selbst verstehen will und überhaupt noch verstehen kann. Philosophische Anthropologie ist in eigentümlicher Weise zugleich anachronistisch und aktuell.

Im letzten Jahr ist im Münchner Wilhelm-Fink-Verlag ein Sammelband erschienen, der sich der Grundfrage der Philosophischen Anthropologie – „Was ist der Mensch?“ – annimmt. Die von Norbert Bolz und Andreas Münkel herausgegebene Anthologie dokumentiert eine Vortragsreihe, die im Rahmen des Heinz Nixdorf MuseumsForums stattfand und bietet so einen Überblick über Fragestellungen und Ergebnisse verschiedener Bereichsanthropologien; im einzelnen thematisiert werden die Paläoanthropologie (Schrenk, Breuer), die Sozialanthropologie (Eßbach), die Kultur- und Medienanthropologie (Faßler, Loprieno, Kruse, Kaltenborn) und die theologische Anthropologie (Berger).

Der Band erschöpft sich aber keineswegs in einer bloß summarischen Überblicksfunktion, sondern hat – wie sich aus der Anordnung der Beiträge herauslesen läßt – durchaus eine Agenda, die expressis verbis in den Beiträgen des Herausgebers Norbert Bolz formuliert wird, welche den Band eröffnen und beschließen. Diese Agenda kommt auch im ursprünglich vorgesehenen Untertitel zum Ausdruck, den man dem Verlagsprospekt entnehmen kann: Zwischen Affe und Roboter – das bezeichnet, folgt man Bolz, nicht nur den systematischen Ort des Menschen, sondern auch seinen geschichtlichen. Der Mensch (als Leitidee im Sinne des Humanismus) wird, auf den Spuren Foucaults, zu einer historischen Episode: „Heute aber pfeifen es aber die Spatzen von den Dächern, daß der alte anthropologische Schlaf ausgeträumt, die Zeit des Menschen abgelaufen ist, ja am Anfang des dritten Jahrtausends scheint es auch um die antiquierten Menschen selber geschehen.“ (S. 7)

In diesem Sinne folgt die Anordnung der Beiträge einer Aufstiegslogik: Am Beginn stehen die Ursprünge des Menschen als homo sapiens, wie sie in der Paläoanthropologie erforscht werden, in Intermezzi wird dann der Mensch als soziales Wesen und als Kulturwesen thematisiert, schließlich kulminiert der Band in posthumanistischen Szenarien, in denen „einer radikalen Umorientierung“ (S. 210) das Wort geredet wird: „Um den Menschen als das Wesen, dem Wesentliches mangelt, in seinem Wesen zu denken, muß man vom Menschen wegdenken. Weg vom Menschen, d. h. hin zum Programm, das sein Wesen formt.“ (ebd.) Als „neue Leitmetapher“ (ebd.) dient der Computer und zwar in seiner Gestalt als Roboter: „Der Mensch ist eine Maschine, die von der Kultur so programmiert wurde, daß sie sich selbst nicht als solche erkennt. […] Heute stellt sich der Mensch die Frage nach sich selbst mit Hilfe des Roboters.“ (S. 210 f.)

In dieser Perspektivenverschiebung – und darin liegt das besondere Interesse des Bandes – kann man exemplarisch nachvollziehen, wie sich der Anthropologie-Diskurs zu einem Cyborg-Diskurs wandelt. Schon vor einigen Jahren hat Dietmar Kamper von der „historischen Situation des Wechsels der Grundorientierung, vom ‚animal rationale‘ zum ‚deus qua machina‘“ gesprochen; an die Stelle des traditionellen Leitbildes vom vernunftbegabten Tier tritt das der „phantasiebegabte[n], selbstreflexive[n] Maschine“. Der hier vorliegende Sammelband ist – nicht so sehr in den Einzelbeiträgen, aber in seiner Programmatik – Ausdruck dieses Wechsels. Aber leider – und darin liegt die Enttäuschung – reflektiert er diesen Wechsel nicht. In seiner hoffnungsfrohen Orientierung an den von den Kognitionswissenschaften vorgegebenen Leitbildern ist der Band eher Symptom denn Analyse. Wäre aber von der philosophischen Reflexion auf dem Feld Anthropologie nicht mehr zu erwarten als nur eine geschmeidige Apologie des „technologischen Menschenverständnisses“ (Günter Seubold)?

Norbert Bolz/Andreas Münkel (Hrsg.)
Was ist der Mensch? Heinz Nixdorf MuseumsForum
München: Wilhelm Fink 2003
237 Seiten (broschiert)
19,90 Euro

Patrick Baum

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