Hermeneutik des Subjekts

Michel Foucault: Die Hermeneutik des Subjekts. Vorlesung am Collège de France (1981/82), Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004

Es ist üblich, das Schaffen Michel Foucaults in drei Phasen einzuteilen: die archäologische Phase, die im wesentlichen die sechziger Jahre umfaßt, die genealogische Phase der Siebziger und schließlich das Spätwerk der achtziger Jahre, das unter dem Rubrum »Ästhetik der Existenz« firmiert. Wodurch sind diese Phasen jeweils charakterisiert?

In der archäologischen Phase gilt Foucaults Interesse der Freilegung des „positiven Unbewußten des Wissens“, einer „Ebene, die dem Bewußtsein des Wissenschaftlers entgleitet und dennoch Teil des wissenschaftlichen Diskurses ist“. Als Feld dieser Freilegung wählt er die Humanwissenschaften. Wichtige Publikationen dieser Jahre sind „Die Ordnung der Dinge“ (1966) und „Die Archäologie des Wissens“ (1969). Die Freilegung der Strukturen, die unser (wissenschaftliches) Denken unterschwellig prägen, ist verknüpft mit einer radikalen Kritik der Subjektphilosophie, die in der berüchtigten These vom Tod des Menschen kulminiert: Das scheinbar überzeitliche Subjekt, conditio sine qua non etwa bei Kant, erweist sich in dieser Optik als kontingentes Produkt eines epistemologischen Strukturwandels.

In den siebziger Jahren gesellt sich der archäologischen Perspektive die genealogische hinzu: Die Umstände der Diskursformation treten in dem Blick; wie entstehen die Diskurse? Foucaults Antwort: durch Kontroll-, Selektions-, Organisations- und Kanalisationsmechanismen. Diese Mechanismen wirken nicht nur auf die Wissenschaftsdiskurse, sondern – durch diese vermittelt – auch auf die Gesellschaft: Die Wirkung umreißt der Philosoph mit dem Ausdruck „Macht“. In seinen genealogischen Arbeiten geht es Foucault um die Analyse dieser Macht, die die Menschen als Subjekte in spezifischer Hinsicht zurichtet, unterwirft. In „Überwachen und Strafen“ (1976) betrachtet er sie in ihrer Form als Disziplinarmacht und im „Willen zur Wahrheit“ (1976) sowie in den Vorlesungen der 70er Jahre, die nun nach und nach veröffentlicht werden, als Bio-Macht.

Die durch das letztgenannte Werk begonnene „Geschichte der Sexualität“ (so der französische Reihentitel, aus dem im Deutschen „Sexualität und Wahrheit“ wurde) fand 1984, kurz vor dem Tod des französischen Philosophen, ihre Fortsetzung in den beiden Bänden „Der Gebrauch der Lüste“ und „Die Sorge um sich“. In diesen Spätwerken verschiebt sich das Interesse Foucaults von den Machtpraktiken hin zu den Selbstverhältnissen des Individuums, wie sie sich in der griechischen und hellenischen Kultur entwickeln: Es geht ihm nunmehr um die „Künste der Existenz“, die „Selbsttechniken“ – oder genauer: um „die lange Geschichte jener Ästhetiken der Existenz“. (Manche Interpreten, vornehmlich die Kritiker des »frühen« Foucault, haben diese Verschiebung als Verabschiedung der archäologischen Diskursanalytik und genealogischen Machtanalytik interpretiert: Das in den 60ern verabschiedete Subjekt kehre in »alter Stärke« zurück. Diese Interpretation ist sicher voreilig. Foucault revidiert keineswegs sein Konzept von Macht; in der Antike findet er aber »Selbsttechniken« vor, die sich kategorial von den sie ablösenden Praktiken im Geiste der (christlichen) Pastoralmacht unterscheiden. Eine Aktualisierung dieser alternativen Form »praktischer« Subjektkonstitution verspräche, so die unterschwellige Hoffnung, Widerstandsmöglichkeiten innerhalb der von der Macht bestimmten „Kontrollgesellschaft“.)

Ironischerweise nehmen die Ausführungen zur stark rezipierten Ästhetik der Existenz im seinerzeit veröffentlichten Spätwerk verhältnismäßig wenig Raum ein. Nur ein kleines Kapitel in „Die Sorge um sich“ ist der »Selbstkultur« im engeren Sine gewidmet. Was dort nur knapp umrissen wird, findet sich auf breiter Basis in dem jüngst im Suhrkamp-Verlag veröffentlichten Band „Hermeneutik des Subjekts“ entwickelt. In den Vorlesungen, die Foucault 1982 am Collège der France gehalten hat, thematisiert er ausführlich anhand einer genauen Lektüre von Platons Alkibiades und Senecas Briefen an Lucilius die »Selbstpraktiken« (gr. epimeleia heautou, lat. curae de sui) der griechischen und römischen Spätantike. Damit schließt der Band eine wichtige Lücke und gewährt überdies einen Blick in die geistige »Werkstatt« des Philosophen. Die Veröffentlichung ist hervorragend übersetzt und sorgfältig ediert. Schon die exzellente und ausführliche Kommentierung macht das Buch zu einem äußerst fruchtbaren Steinbruch für alle Foucault-Interessierten und zu einer wichtigen Quelle für das Verständnis seiner Spätphase.

Michel Foucault
Die Hermeneutik des Subjekts. Vorlesung am Collège de France (1981/82)
Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004
280 Seiten (gebunden)
39,90 Euro

Patrick Baum

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.