»Ain’t nobody likes the Middle East, buddy.«

Ridley Scott schafft mit der Romanadaption „Body of Lies“ (dt. „Der Mann, der niemals lebte“) einen rasanten Film über den Kampf eines moralisch in die Zwickmühle geratenen CIA-Agenten gegen den Kopf einer islamistischen Terrororganisation. Leider wirkt sowohl der Plot, als auch die sich gegeneinander verschiebenden Stereotype von Orient und Okzident in dieser Konstellation ziemlich abgedroschen. Wie schon seine reale Vorlage – die unter dem Namen „Krieg gegen den Terrorismus“ in die Geschichtsbücher eingehen wird – hockt der Film dem Trugschluss auf, die Hydra müsse lediglich geköpft werden, um den Frieden wieder herzustellen.

Eine Reihe von Bombenattentaten in den großen europäischen Metropolen erschüttert die westliche Welt. Der „Clash of Cultures“ wird in der Heimtücke ausgefochten und was das öffentliche Auge von diesem Zusammenprall noch sichtbar machen kann, ist stets nur das eigene Zuspätkommen. Um den Anschlägen entgegenzutreten, schickt die CIA ihren besten Mann nach Amman, die Hauptstadt Jordaniens, wo der Architekt der Attentate vermutet wird. Der beste Mann, das ist Roger Ferris (Leonardo DiCaprio). Er ist ein wahres Chamäleon unter den Agenten. Er spricht fließend Arabisch, kennt die regionalen Gebräuche, er hat verbündete in der einheimischen Bevölkerung und was das wichtigste ist: Er kennt das Vorgehen seiner Feinde. Deren Methoden ähneln denen der CIA-Agenten nämlich so sehr, dass einzig das Moment kultureller Differenz letztere von der terroristischen Praxis unterscheidbar macht. Lüge, Verrat, Bestechung, die Inszenierung von Spuren und Hinweisen, Folter und Mord sind die Werkzeuge in Ferris’ Handwerkskasten.

Das Ziel der Operation ist der hinter den Anschlägen vermutete Hassprediger Al-Saleem (Alon Aboutboul). Dieser zieht im Hintergrund die Fäden eines Terrornetzwerkes, das für die nicht abreißenden Bombenattentate verantwortlich zeichnet. Dessen eigentlicher Gegenspieler ist jedoch nicht Ferris sondern der skrupellose Ed Hoffman (Russell Crowe), das Mastermind hinter dem Einsatz. Dieser koordiniert Ferris’ Bewegungen aus der gemütlichen Zurückgezogenheit seines Wohnzimmer via gesicherter Telefonverbindung und er befiehlt auch schon einmal das baldige Ableben eines Strohmannes, während er die Töchter in einem luxuriösen Van zum Kindergarten kutschiert. Die einzige Wahrheit ist für Hoffman die der Information, die er einem Prothesengott gleich über die hochauflösenden Bilder eines Spionagesateliten exklusiv in sein Büro geliefert bekommt. Als Ferris sich schließlich mit dem Chef des jordanischen Geheimdienstes Hani Salaam (Mark Strong) verbündet, um an Al-Saleem heranzukommen, treffen plötzlich ganz unterschiedliche Auffassungen über den Wert von Vertrauen aufeinander. Die Situation eskaliert, als die schöne Krankenschwester Aisha (Golshifteh Farahani) Ferris’ Zuneigung gewinnt, in den Strudel der Verschwörungen hineingezogen wird und der CIA-Mann dadurch selbst ins Fadenkreuz der Terroristen gerät.

Ridley Scott versucht in „Body of Lies“ auf der Folie des Kampfes gegen den Terrorismus eben jene zwei Wertprinzipien in Konflikt zusetzen, die letztlich auch die Debatte um den Terrorismus selbst motivieren. Auf der einen, der westlichen Seite steht der Wert der Information. Diese lässt sich nur mit einem immensen technischen Aufwand beglaubigen. Sie markiert das Prinzip eurozentristischer Identitätslogik, die schon Francis Bacon geflügeltes Wort „Wissen ist Macht“ auf den Punkt brachte. Auf der anderen Seite indes, ist das Verhältnis genau invers gelagert. Hier ist es der Glaube an jene Werte, die nicht durch Informationen der Statistik zugeführt werden können, sondern eine Sache zwischenmenschlicher Handlung sind: Freundschaft, Vertrauen, Treue, Würde und Ehre. Scott schreibt mit seinem Film in diesem Sinne letztlich eine Spiegelgeschichte zwischen West und Ost, auf deren Bruchlinie er die Figur des Agenten Ferris nicht ungeschickt einsetzt. Dieser weiß natürlich um die skrupellosen Machenschaften seiner eigenen Leute und und gerät darüber zunehmend in moralische Konflikte. In den Strukturen eines Global operierenden CIA-Machtapparates spiegelt sich eben immer nur das Feindbild einer kühlen Ökonomie von Kosten und Nutzen im Entzug der eigenen Integrität wieder.

Insofern ist es kaum verwunderlich, dass die Ankunft der Agenten aus der westlichen Welt als Infektion erfahren wird, als eine überhebliche Zurschaustellung so genannter zivilisatorischer Errungenschaften, deren – im doppelten Wortsinn – Überflüssigkeit einen anderen Anachronismus darstellt: dicke schwarze Limousinen, die über steinige Wüstenpisten brettern, Laptops inmitten einer Ziegenherde, Mobiltelephone auf dem Tempelberg. Dies alles wirkt offensichtlich wie ein Fremdkörper, dessen Eindringen zwangsläufig eine Immunreaktion des infizierten Systems nach sich ziehen muss. Der unterstellte Mangel technischer Kontrolle schlägt zurück in einen Mangel an Vertrauen in die eigenen Leute und so ist der Zuschauer immer auf eine Unbestimmtheit verwiesen: Die alte Logik von einem entweder Gut oder aber Böse löst sich auf in der Erkenntnis, dass beide Seiten auf ihre Art dieselben Strategien betreiben.

So löblich der Versuch einer filmischen Umsetzung dieser Pattsituation auch sein mag, so vermint ist letztlich das Terrain, auf dem sich Scott hier bewegt. Die gegenseitige Durchdringung über die magischen Kanäle nötigt dem Regisseur von „Alien“ und „Blade Runner“ eine eigenartige Stereotypisierung seiner Charaktere ab, die sich eher wie Figuren auf einem Schachbrett denn als eigenständige Personen ausnehmen. Bis zu einem gewissen Punkt gereicht dies dem Film sogar zum Vorteil, ist es ja gerade das Spiel mit Stereotypen, das eine Agentengeschichte immer wieder aufs Neue funktionieren lässt. Jedoch scheitert er gleichzeitig an einem anderen Stereotyp, dass den Kritikern des Islam immer wieder als Allzweckargument dient.

Die weibliche Hauptrolle der Aisha gerinnt im Film zur Projektionsfläche westlicher Selbstgefälligkeit, indem ihr die psychologische Tiefe abgesprochen wird, zugunsten der kruden Konstruktion einer gedanklich in der Moderne lebenden aber von den Systemzwängen zurückgenötigten und dadurch unnahbaren Liebhaberin. Diese dürftig ausformulierte weibliche Rolle dient Scott dann als Triebfeder um den Plottwist an entscheidender Stelle zu motivieren. Er funktionalisiert somit auf der Erzählebene das Weibliche als den Einbruch des Anderen. Problematisch ist dieses, da die Erzählung zugleich auf die unterdrückte soziale Verortung der Frau aufmerksam machen will, was besonders in einer Szene zum Ausdruck kommt, als die schöne Aisha unter den anklagenden Blicken der Nachbarn dem werbenden Ferris selbst das berühren ihrer Hand verweigern muss. Scott wiederholt mit dieser Rolle eben jene Mechanismen, die er dem Film als Kritik zugleich einzuschreiben versucht.

Doch ist dies nicht der einzige Wermutstropfen, den „Body of Lies“ dem Zuschauer zu schlucken gibt. Der Film erreicht seinen Höhepunkt schließlich in einer abgegriffenen „Diskussion“ zwischen Ferris und Al-Saleem über die richtige oder falsche Auslegung des Korans, die bezeichnenderweise in der Einseitigkeit der Überzeugungen stecken bleibt. Dieser zu seichte Versuch das Fremde über einen hermeneutischen Gestus in das eigene Begriffssystem von Wahrheit und Rechtschaffenheit zu zwingen, markiert dabei zwar eine für westliche Begriffskonstruktionen typische Gewalt, die Scott interessanterweise als eine Situation der Ohnmacht inszeniert. Dieser Lösungsvorschlag ist jedoch Usus und unterstreicht lediglich die Eingefahrenheit des Blicks auf die orientalische Kultur durch eine besserwisserische Deutungsofferte eines in Bedrängnis geratenen Opfers.

Als Agentengeschichte funktioniert „Body of Lies“ auf jeden Fall hervorragend. Der Film erfüllt lehrbuchhaft die Erwartungen, die der Zuschauer an das Genre stellt: Spannung, Geschwindigkeit, technische Spielereien, Verschwörung, ein nettes Girl. Nach alter Manier legt Sir Ridley hier ein gut produziertes Werk vor, dass seinen Spannungsbogen über weite Teile des Films aufrechterhalten kann. Inhaltlich bewegt sich der Film jedoch im Fahrwasser der ewigen Geschichte vom kulturellen Zusammenprall, dessen zerstörerisches Potenzial von einigen wenigen Fanatikern geschürt wird. In diesem Sinne schafft „Body of Lies“ keine wirklichen Novitäten. Anstatt die Debatte durch querdenkerische, oder spezifisch filmische Ansätze zu bereichern, verlässt er sich lieber auf die Erzählung vom islamistischen Terrorismus als einer hierarchischen Konstruktion und bleibt somit – bis auf einige wenige Sequenzen – hinter den Möglichkeiten des Themas zurück.

Der Mann, der niemals lebte
(Body of Lies, USA 2008)
Regie: Ridley Scott; Buch: William Monahan, David Ignatius; Kamera: Alexander Witt
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Russell Crowe, Mark Strong, Golshifteh Farahani, Alon Abutbul
Länge: 128 Minuten
Verleih: Warner Bros.
Start: 20.11.2008

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