Von allen guten Geistern …

Wo immer uns in Literatur oder Film Gespenster begegnen, handelt es sich nicht einfach um irgendeine Figur oder eine Metapher. Das Auftauchen eines Gespenstes oder eines Phantoms gemahnt uns an eine höhere Form der Achtung, die wir, die Lebenden, diesen besonderen Anderen entgegenzubringen haben. ghosted_posterJene anderen, die schon tot oder noch nicht geboren, die also noch nicht da und noch nicht ganz verschwunden sind, verlangen uns eine Ethik ab, die ohne ein Prinzip der Verantwortung, jenseits der lebendigen Gegenwart hinausreicht, nicht zu denken ist. Im Hamlet beispielsweise kehrt der Vater als Geist wieder, um die Umstände seines gewaltsamen Todes am Hof entdecken zu lassen. Für Hamlet gibt es gegenüber dieser Forderung nach Gerechtigkeit kein Nicht-Verhalten. Er muss der ihm auferlegten Verpflichtung nachkommen, ohne die Möglichkeit, autokratisch über diese Verfügung entscheiden zu können.

Das Gespenst ist in diesem Sinne Stadthalter all jener Verpflichtungen, die wir nicht selbst gewählt haben und die einem nicht in vollem Maße zukommen. Es gilt folglich zu bejahen, was vor uns liegt und zu empfangen, was  nicht selbst von uns gewählt worden ist. Das Gespenst ist jedoch nicht einfach der Einbruch einer wie auch immer gearteten Vergangenheit. Es ist ein unzeitgemäßer Vertreter eines anderen Geschlechts, das alle jene Fragen von Schuld, Treue, Gerechtigkeit aufwirft, die zu Beantworten die Aufgabe eines Erbes der Gespenster ist.

Eine ähnliche Grundkonstellation findet sich im jüngsten Werk der Filmemacherin Monika Treut. Hier ist es das Gespenst der zu Tode gekommenen Mei-li (Ting-Ting Hu), das im Medium der jungen Journalistin Ai-ling Chen (Huan-Ru Ke) ihre ehemalige Geliebte, die Künstlerin Sophie Schmidt (Inga Busch), heimsucht. Die Umstände um deren Tod sind mysteriös und so setzt der Aufklärungsversuch dieses Geheimnisses einen Rekonstruktionsprozess in Gang, der die Geschichten der drei Frauen Stück für Stück ineinander verwebt. Die Abgründe des anderen, so scheint uns der Film mitzuteilen, sind dabei immer auch die eigenen. Die Frage, wer Schuld auf sich geladen hat und ob diese Schuld durch Treue oder Treuebruch getilgt werden kann, ist eine der Leitfragen, die Treut in ihrem Film stellt.

Beschwören und Bannen

Die Geschichte hebt an, mit einer Vernissage in Taipeh. Sophie Schmidt, eine junge  Videokünstlerin aus Hamburg, versucht dort mit Hilfe von Filmcollagen das Ableben ihrer Geliebten Ai-ling zu verarbeiten. Noch vor der offiziellen Eröffnung wird Sophie auf die junge Journalistin Mei-li aufmerksam. Die hübsche Frau scheint über die Hintergründe von Ai-lings Tod etwas zu wissen. Eben dieses Wissen provoziert die paradoxe Situation, in der sich Sophie von einer Minute auf die andere wiederfindet: auf der einen Seite zu verleugnen und abzulehnen, was noch im Verborgenen auf seine Aufklärung wartet, auf der andererseits einem seltsamen Verlangen nachzugeben, das nicht nur von einer Faszination für die Journalistin sondern auch von deren seltsamer Verbindung mit der Toten geleitet ist.

ghosted_scene_07Nach mehreren fehlgeschlagenen Interview-Versuchen mit der Künstlerin, nähern sich die beiden Frauen schließlich einander an und für Sophie beginnt ab diesem Zeitpunkt die Aufarbeitung der Vergangenheit. Gemäß der Logik, dass jegliche Exitstrategie, sei sie okkulter oder profaner Natur, im Bannspruch nur dasjenige erfüllt, was das Gespenst überhaupt erst zur Erscheinung bringt, wird schnell klar, dass der Versuch, die Tote ins überzeitliche des Kunstwerks zu bannen, gerade das Gegenteil davon bewirkt hat.

Sophie wird von der Präsenz der schönen Unbekannten zur Rückkehr in die eigene Vergangenheit genötigt; freilich nicht ohne mit ihr die fatale Liaison zu wiederholen, die sie einst mit der Verstorbenen eingegangen war. Die initiierte Trauerarbeit wird so zur Frage der Verantwortung gegenüber der Toten und die Erinnerung an die geliebte Person in Form einer Rekonstruktion von Freundschaft, Liebe und Tod wird zur Sinnfrage der eigenen Existenz als ein Mitsein mit den Gespenstern. Dies geschieht auch als Konfrontation zweier gänzlich unterschiedlicher Weltsichten. Steht auf der einen Seite die Künstlerin, Prototyp des westlichen Projektmenschen, deren Trauerarbeit einzig dem Zweck folgt, einen Schlussstrich zu ziehen und sich zu versichern, dass die Tote auch wirklich tot ist und bleibt, so gibt es auf der anderen Seite den in der taiwanischen Tradition verwurzelten Glauben an die Rückkehr der Ahnen mit all seinen Ritualen und Beschwörungsformeln, die diesem ersten Typus als zutiefst fremd erscheinen müssen.

Dreh- und Angelpunkt bildet dabei das Geheimnis, dessen Entdeckung uns in teils mystischer, teils kriminalistischer Manier aufgetragen wird. Wie kam Ai-ling zu Tode? War es ein Unfall? Selbstmord? Oder wurde die Taiwanesin gar von der Mafia beseitigt, mit der ihr in Deutschland lebender Onkel verstrickt zu sein scheint? Dieses Geheimnis wird umso vakanter, da das Medium „Mei-li“ gemäß jener Logik der Selbstaustreibung, die eine Geisterbeschwörung fordert, nicht zu wissen scheint, dass sie die Prosopopöie der Verstorbenen ist. Dem Zuschauer bleibt somit nichts weiter übrig, als die Spuren der Vergangenheit in dem 89-minütigen Wechselspiel der Kulturen und Leidenschaften sicherzustellen.

Herkunft als Schuldigkeit

ghosted_scene_05Wie zufällig lernen sich die beiden Frauen in einem Hamburger Kino kennen. Die Begegnung im Lichtspielhaus geschieht für Ai-ling zunächst über die Frage nach der eigenen Herkunft. Bei der Mutter in der taiwanischen Provinz aufgewachsen, begibt sich die Junge Frau auf die Suche nach ihrem verschollenen Vater. Ihr Weg führt sie nach Hamburg, wo ihr Onkel (Jack Kao) und ihr Cousin Patrick (Kevin Chen) ein Restaurant betreiben. Anstatt jedoch den eigenen Wurzeln nachzugehen, lernt sie Sophie kennen. Zwischen beiden beginnt sich noch am selben Abend eine Liebesbeziehung zu entspinnen, die inhaltlich von romantischen Motiven kitschiger Verliebtheit, formal allerdings von voyeurhaften Kameraeinstellungen definiert ist. So wird beispielsweise eine Kussszene der beiden Frauen im Zwielicht einer schummrigen Laterne auf einem nächtlichen Parkplatz vom distanzierten und unentdeckten Blick von einem nahe gelegenen Balkon aus durchkreuzt.

Wichtig ist jedoch nicht nur die ständige Differenz zwischen Liebes- und Kriminalgeschichte, welche die Handlung wesentlich vorantreibt, sondern die Tatsache, dass Ai-ling und Sophie im Laufe der Wochen immer weiter in die graue Alltäglichkeit hinübergleiten und eben jener Kampf gegen das alltägliche Abstumpfen, der sich daraus ergibt, letztlich nicht nur die Katastrophe herbeiführt, sondern dass Ai-ling diesem Kampf auch die Suche nach ihrer Herkunft opfert. Spätestens ab hier zeichnet sich ab, warum der Geist der Toten zurückkehrt. Sie fordert ein, was sie zu Lebzeiten nicht beenden konnte: eine Antwort auf die Fragen nach ihren Wurzeln. Diese Schuld gilt es nun für Sophie und Mei-li einzulösen.

Der Geist des queer cinema

Über ihren letzten Film meinte Monika Treut einmal „Die Kamera soll zwar einen, sagen wir mal: ‚liebenden‘ Blick haben, aber dabei trotz allem Distanz wahren.“ (Interview mit Birgit Glombitza / filmtext.com).  Nähe und Ferne, wenn man so will, waren immer schon integraler Bestandteil von Treuts Filmen. Die Tatsache, dass die Filmemacherin, die seit dem 1991 erschienenen Spielfilm „My Father is comming“, der Geschichte einer nach New York emigrierten Schauspielerin, die mit Schrecken den Besuch ihres urbayrischen Vaters (gespielt von Alfred Edel) erwartet, keinen abendfüllenden Spielfilm mehr produziert hat – zwischen 1991 und 2009 entstanden lediglich  Dokumentarfilme -, wirft die Frage auf, ob Treut mit „Ghosted“ ihrem Thema gerecht werden kann. Dass es in ihrem aktuellen Film um innere und äußere Grenzen und Grenzüberschreitungen geht, dürfte dabei weniger zur Debatte stehen, als der Umstand, dass Treut die Distanz, die von besagten Grenzen forciert wird, nicht mehr wie 1991 durch eine subtile Ironie und ausgefeilten Humor produziert. Die verdingte Queer-Filmerin versucht sich an der Ernsthaftigkeit eines Themas abzuarbeiten, dass gerade in Taiwan mit seiner Kultur zwischen Hochmoderne und chinesischer Tradition erst heute an Aktualität zu gewinnen beginnt.

ghosted_scene_03Fast hat man den Eindruck, dass Treut mit dem Wechsel des Ortes, weg von der atlantischen Mauer hin zum in sich gespaltenen Fernen Osten, auch ihr Humor zugunsten einer tiefen Ernsthaftigkeit verschwunden ist. Dabei war es gerade der Unernst, der sie einst in ihrem Schaffen auszeichnete. Von der Auswahl der Schauspieler bis hin zum biederen Sujet, in dem die Geschichte spielt, bleibt Treuts Blick auf die Geschehnisse nüchtern und trocken. Die wenigen Einblicke ins Milieu der Schwulen und Lesben, die uns die Regisseurin gewährt, sind davon ebenso betroffen, wie die Reiseschilderungen ins ferne Taipeh. Dabei ist es gerade die ironische Distanz des queer cinemas die den „Kult“ ums Homoerotische als eine eigenständige und selbstreflexive Lebensform auszeichnet. Anstatt aber diese Eigenständigkeit zu bejahen, schmiegt sich „Ghosted“ den kulturellen Bedingungen Taiwans an.

Zwei Interpretationen lassen sich vorläufig aus diesem Umstand heraus präparieren. Entweder war die Regisseurin alleine gegen die Umstände verschärfter Dreh- und Produktionsbedingungen gestellt, die ihr den Ernst des Themas diktierten. In diesem Fall hätte sie selbst nicht eingehalten, was sie von der Kamera einfordert – nämlich Nähe und Distanz zu schaffen. Oder der Film möchte sich allgemein von den Strukturen des queer cinema lossagen und nichts weiter sein, als die Geschichte einer Liebe zweier Frauen, die über den Tod hinausreicht. Letzteres scheidet jedoch schon deshalb aus, weil Treut mit der verarbeiteten Geistergeschichte dem Ganzen eine Mystery-Note im Stile eines David Lynch verabreicht, ihm also mehr zukommen lassen will, als die reine Nacherzählung des Inhaltes zu transportieren in der Lage wäre. Was aber, wenn „Ghosted“ selbst der Heimsuchung nicht entkommen könnte? Was, wenn auf „Ghosted“ die Erbschaft eines Genres lasten würde, das man versucht ist, der Filmemacherin stets nachzusagen? In diesem Sinne hätte sie ihren über die Jahre entwickelten Themen unter den veränderten Produktionsbedingungen nur dadurch die Treue halten können, indem sie ihnen auf paradoxe Weise untreu wird. Ob man nun diesen Treuebruch als Treutianer mitgehen möchte oder nicht, sei jedem selbst überlassen. Schuldig geblieben ist Monika Treut mit „Ghosted“ jedenfalls nichts.

Ghosted
(Deutschlan/Taiwan 2009, Monika Treut)
Regie: Monika Treut, Buch: Astrid Ströher, Monika Treut; Kamera: Bernd Meiners
Darsteller: Inga Busch, Huan-Ru Ke, Ting-Ting Hu, Jack Kao, Kevin Chen
Länge: 89 Minuten
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 30.04.2009

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