Žinema

Der Intellektuelle, vor allem der akademische Geisteswissenschaftler ist angeblich Bewohner des Elfenbeinturms, den er nur selten verlässt und dann auch nur, um einen Stapel Papier zu einem Verlag zu tragen, der daraus ein Buch macht, das keiner kaum einer mag. Zumeist aber brütet er weltfremd vor sich hin, weiß nicht, was im „richtigen Leben“ vor sich geht, ist kontaktscheu und selbstverliebt. Er lebt von den Brosamen der Gesellschaft, die diese ihm in Form von Stipendien-Geldern zuwirft und hangelt sich so mit Zweijahresverträgen durch sein Leben. So war es jüngst mal wieder zu lesen – dieses Mal im „Rheinischen Merkur“.

pervert_zizekDann gibt es aber auch Geisteswissenschaftler, die diesem Image so gar nicht entsprechen wollen – und die aber auch in den besagten Artikel gepasst hätten: Sie posaunen ihr Fachwissen in die Welt hinaus, wenden es auf Unterhaltungsprodukte an und sondern Fachvokabular ab, das kaum jemand versteht. Und wenn sie dann noch ein wenig schrullig aussehen und so auftreten, dann sind sie so richtige Spaßvögel, über die man lachen kann und sagen: „Jetzt hört euch das mal an, was der für einen Unsinn erzählt. Der hat doch Zeit zuviel!“ Leider hat sich der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoy Žižek in genau diese Sphäre katapultiert, als er irgendwann vor etwa 15 Jahren das erste Mal vor die Kamera getreten ist. Mit übernächtigtem Blick, wirrem Haar, schlecht gepflegtem Vollbart und einem nonchalanten Sprachfehler, den viele für einen Akzent halten, trägt er seine Lacan- und Deleuze-Lektüren vor und appliziert sie auf einen Gegenstand über den wirklich jeder etwas zu sagen hat: den Film.

Zuerst waren es Dokumentationen zu bestimmten Themenkomplexen, mit denen er sich beschäftigt hat, die erschienen. Dann, als man entdeckt hat, dass die Filme über den Slovenen einen gewissen Marktwert besitzen, hat man ihn schnell selbst zum Gegenstand seiner Filme gemacht. In Langfilm wie dem 2005 erschienenen „Žižek!“ steht er nun selbst im Mittelpunkt und spricht aber immer noch über Filme. Als Kinofilm mochte man das allerdings nicht sehen und so war es nur konsequent, das geisteswissenschaftliche Geplauder Žižeks gleich auf ein heimkompatibles Format herunter zu brechen und es in 50-Minuten-Häppchen als Serie (respektive 3-Teiler) unters Volk zu bringen. Film ist immer noch das zentrale Thema – neben Žižek natürlich – und der Titel ist: „The Pervert’s Guide to the Cinema“.

Nun kann man sich fragen, wer dieser „Pervert“ eigentlich ist und ob das Genitivus Objectivus (ein Kino-Führer für den Perversen) oder Subjektiven (einer von einemm Perversen) gemeint ist – und diese Doppeldeutigkeiten sind im Werk und Denken Žižeks durchaus normal („Deleuze, von hinten genommen“). Er spielt eben mit dem Abjekten, dem Unsagbaren, dem Tabu und allem, was schon immer das Thema der Psychoanalyse war – also dem Sexuellen. In seinen Büchern leistet er sich wilde Parforce-Ritte durch diese Theorie, ist sprunghaft, assoziativ in seinen Gedankengängen, lässt geniale Gegenlektüren aufblitzen, ist zotig und immer wieder aber auch redundant. Doch seit er filmisch auftritt, haben auch seine Bücher einen – man könnte sagen – phonetischen Mehrwert bekommen: Man hört ihn jetzt, wenn man seine Texte liest und das lässt einen bei Ungereimtheiten weniger aufhorchen als vieles geflissentlich überhören.

Zum Film äußert er sich offenbar aber am liebsten im Film selbst. Und daraus hat Žižek in „The Pervert’s Guide to Cinema“ ein Prinzip gemacht, denn hier begibt er sich tatsächlich „in den Film“. Er diskutiert die Werke seiner Lieblingsregisseure Hitchcock, Lynch, Chaplin, Kubrick und kopiert sich dazu in die Filmszenerien hinein, besucht die Filmsets oder lässt sie nachbauen, wechselt, wenn der Analysegegenstand es verlangt, auch schon mal ins Schwarzweiße und begeht die eine oder andere Clownerie, etwa wenn er sich in den Stuhl von Mrs. Bates in den Früchtekeller aus dem Film „Psycho“ setzt oder sich an die Stelle von Kim Novak in Hitchcocks „Vertigo“ kopiert, um zum Objekt der Begierde James Stewards zu werden. Und aus diesen Positionen liefert er seine (Psycho)Analysen der Filme ab, gibt strukturalistische Deutungen und interpretiert die Filme scheinbar „aus sich selbst heraus“.

Die durchaus nicht im Žižek’schen Doppelsinn gemeinte Frage, was Hinten dabei rauskommt, muss sich die Dokumentation aber trotz allen Inszenierungswitzes gefallen lassen. Was Žižek an Erkenntnissen über Filme wie „Birds“ oder „Psycho“ bereithält, ist manchmal mehr als banal – ja, schlimmer noch – oft bloße Wiedergabe intendierten „Sub-Plots“. Nicht erst Truffauts Interview wissen wir zum Beispiel, dass Hitchcock ein Fable für die Psychoanalyse hatte, er hat sich sogar selbst in zwei Filmen zum Thema geäußert („Spellound“ und „Marnie“). Einen Film wie „Psycho“ dann, wie Žižek es tut, mit dem Modell Es-Ich-Überich zu interpretieren und diese drei Instanzen dann auch noch topologisch in die Etagen des Bates’schen Wohnhauses zu verlegen entbehrt nicht nur einer gewissen Originalität, es leistet darüber hinaus dem alten topologischen Missverständnis der Freud’schen Lehre Vorschub, gegen die sich dieser vor 100 Jahren selbst schon ausgesprochen hatte.

Nun kann man dem „Pervert’s Guide“ aber leider weder vorwerfen, dass er zu fachwissenschaftlich ist, noch, dass er dasselbe nicht in genügendem Maße sei, denn der Film steht – wie sein Protagonist mittlerweile auch – im Spannungsfeld zwischen einer öffentlichem Schaulust, das gar nicht in den Fachdiskursen steckt noch das überhaupt wünscht, und der akademischen Sphäre, der das Präsentierte viel zu profan und auf Kosten der Nachvollziehbarkeit publikumswirksam aufbereitet ist. Man müsste also Augen und Ohren in beide Richtungen verschließen und sich fragen, was von „The Pervert’s Guide to Cinema“ eigentlich übrig bleibt, wenn man das Theoretische daraus abzieht. Die Antwort lautet: Slavoy Žižek. Es ist wieder einmal mehr ein Film über ihn als über das Kino. Wenn man sich nicht für Žižek oder die Art, wie er Wissenschaft betreibt, interessiert, dann braucht man auch diesen Film nicht zu sehen – es sei denn, man möchte drei mal 50 Minuten lang Zeuge davon werden, wie jemand die öffentlichen Vorurteile über Geisteswissenschaftler „ins Bild setzt“. Denn Lachen kann man über den Hauptdarsteller und das, was er tut, auf jeden Fall.

The Pervert’s Guide to Cinema
(UK/Österreich/Niederlande 2006)
Regie: Sophie Fiennes; Buch: Slavoy Žižek; Kamera: Remko Schnorr, Musik: Brian Eno
Darsteller: Slavoy Žižek
FSK: Ab 16 Jahre
Länge: 156 Minuten
Veröffentlichung auf DVD: 20.09.2009
Preis: 19,90 Euro

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