Douglas Kellner – ein Denker der Multis

Douglas Kellner gehört zu den wichtigsten Vertretern einer kritischen Medien- und Gesellschaftstheorie. Seit Anfang der 1980er Jahre bemüht sich der in New York, Tübingen und Paris studierte Philosoph um eine Verbindung der Frankfurter Schule, der französischen Philosophie und der Cultural Studies. Er hat sich im Zuge dessen einer kritischen Analyse postmodernen Denkens zugewandt.

Kellner ist einer der interessanten Philosophen unserer Zeit, da er entgegen der postmodernen Auffassung vom Ende der Gesellschaft mit eben diesem Denken eine Gesellschaftstheorie entwirft, die unter den Vorzeichen des Multiperspektivismus ein luzides Bild gesellschaftlicher Phänomene entwirft, ohne dabei in die oftmals von anderen Theoretikern der 80er und 90er praktizierte Emphase der Posthisoire zu geraten. Der Herbert von Halem Verlag hat nun jüngst für die Erschließung des vielschichtigen Werks des transatlantischen Philosophen einen wichtigen Beitrag in Form des „Douglas Kellner Readers“ geleistet. Die von Rainer Winter herausgegeben Aufsatzsammlung mit dem Titel „Medienkultur, Kritik und Demokratie“ bietet nicht nur einen sehr umfangreichen Überblick in einer qualitativen Übersetzung an, sondern sie ist gleichzeitig auch eine Art Nabel, von dem aus sich Streifzüge in die verschiedenen Schriften Kellners unternehmen lassen.

Das Buch gliedert sich in drei Bereiche, die gleichzeitig die Kernthemen von Kellners Denken markieren. Im ersten Teil beschäftigt er sich mit den Cultural Studies als kritischer Theorie; hier findet eine theoretische Auseinandersetzung der verschiedenen kritischen, marxistischen, postmarxistischen und postmodernen Theorien statt, in deren Fahrtwind Kellner seine Thesen zur Postmoderne und zur Globalisierung umreißt. Es wird deutlich, dass er sich einem monoperspektivischen Blick, den er bei den genannten Denkrichtungen ausmacht, durch beständige Kritik seiner eigenen Sozialanalyse zu entziehen versucht und somit seine Thesen auch im ständigen Kontakt mit den Phänomenen hält, die seine Schriften bestimmen.

Im zweiten Teil versammelt der Band Aufsätze zum Thema Medienkultur, die für Kellner Gegenstand einer angewandten Gesellschaftstheorie ist. Seine Überlegungen beziehen sich auf die Fragen postmoderner Identitäts- und Gesellschaftsentwürfe unter den Vorzeichen eines allgegenwärtigen Medienspektakels. Die Untersuchungen vollziehen sich dabei am konkreten Medienphänomen, wenn er beispielsweise die Identitätsentwürfe von „Miami Vice“ mit Polizeiserien der 50er und 60er Jahre vergleicht und die Strategien von Lebensentwürfen Jugendlicher unter den Bedingungen allgegenwärtiger Medieneinflüsse diskutiert. Hier findet neben dem vorangehenden theoretischen Teil auch eine erste Anwendung der eingangs diskutierten poststrukturalistischen Kritik statt. Kellner gibt sich jedoch nicht damit zufrieden, den einzelnen Aufsätzen nur ihre Gegenstände abzuringen, sondern immer in kritischer Distanz zum Objekt deren Relevanz für die gesellschaftlichen Prozesse ausfindig zu machen.

Im dritten Teil kommt Kellner schließlich auf die geopolitischen Zusammenhänge von Technik und Krieg zu sprechen und untersucht im Hinblick darauf die dialektische Verflechtung von Demokratie und Pädagogik. Bei den hier versammelten Aufsätzen wird dann auch seine enge Beziehung zu den Texten Virilios und Baudrillards deutlich, deren Absage an eine Gesellschaftstheorie Kellner zu immer neuer Kritik und zu einer Erweiterung seiner eigenen Thesen anregt. Sein besonderes Interesse gilt dem 11. September und dem Kampf gegen den Terrorismus, wie er von einer westlichen Machtelite immer wieder neu und medial inszeniert wird.

Was den Reader letztlich so interessant macht, ist zum einen natürlich seine vielschichtige, multiperspektivische Annäherung an ein Denken, das spätestens von Lyotard unter dem Passepartout-Begriff der Postmoderne zusammengefasst wurde, zum anderen sind es aber die strahlenförmigen Verweisungen auf Kellners eigene Arbeit, denn dieser Konvolut stellt momentan den wohl umfangreichsten und besten Überblick über die weitläufigen Themengebiete von Douglas Kellner dar. Dabei ist der Reader nicht nur Überblick, er bietet auch Orientierung auf dem Gebiet der poststrukturalistischen Theorien. Leider hat der Multiperspektivismus zuweilen seinen Preis, und zwar immer dann, wenn Kellner auf Gemeinplätze zu verfallen droht und er lapidar auf ungenannte Theoretiker verweist, die sich in dieser oder jener Weise geäußert haben sollen. An einer Stelle lässt er sich sogar zu der flüchtigen Formulierung hinreißen, Heidegger sein ein „Nazi-Befürworter“ gewesen (S. 114), was sich freilich bei genauerer Prüfung als undifferenziert herausstellen könnte.

Der Wert des Buches liegt aber nun einmal nicht in dessen Hermeneutik, soviel macht Kellner schon zu Beginn des Bandes deutlich, sondern in seiner potenziellen Offenheit für gesellschaftliche Fragen und deren Reflexion von dritter Seite. Der „Douglas Kellner Reader“ ist ein Angebot an den europäischen Diskurs, diesen von einer, oder besser gesagt von mehreren, weiteren Perspektiven zu betrachten. Sein Wert liegt vor allem in der Verschränkung von kritischer Theorie und Poststrukturalismus. Kellner beweist also auch, dass für diese Theorien, bei allen Differenzen, eine gemeinsame Basis möglich ist. Implizit entlarvt er so auch die beiderseitige Ideologie, von Frankfurter Schule und Pariser Philosophie. Allein dafür schon lohnt sich der plurale Blick in die Welt des Douglas Kellner.

Rainer Winter (Hrsg.)
Medienkultur, Kritik und Demokratie
Der Douglas Kellner Reader

Köln: Herbert von Halem Verlag 2005
384 Seiten Paperback
32,00 Euro

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