Die Begriffe „Medien“ und „Kultur“ sind in den vergangenen Jahren derartig infltionär gebraucht worden, dass das Auftreten allein eines von ihnen in einem Buchtitel schon den Verdacht eines zeitgenossenschaftlichen Verschlagwortungsversuchs weckt. Scheinen beide Begriffe auf den ersten Blick jedoch zu weit und zu fraktal in ihrer Bedeutung, um einen Gegenstandsbereich sinnvoll einzugrenzen, so ist es hier der Untertitel des Bandes, der präzisiert: In welchem Verhältnis stehen genuin philosophische Konzepte zu anderen geisteswissenschaftlichen Ansätzen von Medien und Kultur?
Diesem Unstand verdankt sich ein jüngst erschienener Sammelband, der im Rahmen einer Vortragsreihe des Philosophischen Fachinstituts für Medien und Kultur an der Universität Trier bei Könighaus & Neumann veröffentlicht wurde. Unter dem Titel „Medien und Kultur – Mediale Weltauffassung“ versammeln Ralf Becker und Ernst Wolfgang Orth sechs Beiträge zur Medienphilosophie, die sich einer genauen Begriffsbestimmung des kulturtheoretischen Inventars widmen. Das Bedeutet im Klartext, dass die Beiträge nicht so sehr auf das Amalgam der Medienwissenschaften zugeschnitten sind, sondern, ihrer Schule verpflichtet, philosophisch bleiben.
Zum anderen heißt das, dass viele der Autoren der Frage nachgehen, was Medialität verstanden als kulturelles Paradigma eigentlich ist. Wolfgang Orth beispielsweise stellt sich diese Frage vor dem Hintergrund der Verwerfung einer antizipierten Gutenberg-Galaxis. Ihn interessiert vor allem, wie die Begriffe Medien und Kultur in Laufe ihrer Geschichte verwandt wurden, um dann deren Gebrauch und Einfluss auf unsere Alltagswelt zu erklären. Orth verwendet dafür in seiner Cassirer-Lektüre den Begriff der „Modalisierung der Wirklichkeit“, den er von einer dreifachen Aisthesis her erklärt. Er kommt schlussendlich zu der Auffassung, dass die Lebenswelt – die kulturelle Gesellschaft – merklich in den Bereich der Informationsverarbeitung hinüber gedriftet ist und dass dieser Einfluss, den die Medien auf den Menschen nehmen, tiefe Einschnitte im Zusammenleben hinterlässt.
Ralf Becker versucht in seinem Essay das durch mediale Vermittlung in Auflösung begriffene Subjekt einem kantischen Rettungsversuch zu unterziehen. Er stellt dabei die These auf, dass sich das Subjekt letztlich für die Hermeneutik der Medien nicht aus der Gleichung Sender-Medium-Empfänger herauskürzen lässt. Christian Bermes hingegen weist auf die oftmals utopischen Vorstellungen hin, die der öffentliche Raum von den Möglichkeiten der Medien hat. Die Funktionalisierung des Medienbegriffs von Wirtschaft und Politik mündet, so seine These, in die Utopie vom ursprunghaften Wissen, das sich aus ein und derselben Quelle speist. Peter Welsen unternimmt eine luzide Untersuchung der Narrativen Identität in den Schriften Ricoeurs und weist dabei auf das von Ricoeur entwickelte Paradox hin, dass der Mensch sich im narrativen Text auf der einen Seite auflöst, während er sich auf der anderen Seite durch die narrative Konstruktion selbst erfährt. Klaus Fischer beschreibt, ausgehend von der Vermutung, die Geisteswissenschaften stünden zunehmend unter dem Einfluss des ökonomischen Drucks, eine Systemanalyse verschiedener kultureller Subsysteme. Aus den Konflikten, die aus den je eigenen Verständigungs-Codes erwachsen entwirft er im Anschluss eine Pathologie der Kommunikation, welche die Systeme untereinander halten.
Ein herausragender Aufsatz stammt aber von Dirk Rustemeyer, der ausgehend von Augustinus und Hegel auf der einen sowie Boethius bis Kant auf der anderen Seite seine Überlegungen zu einem substantialistischen Medienbegriff entfaltet. Erstere Linie denkt das Sein der Relation von Sein und Nichts, während zweite sich auf den erkenntnistheoretisch neutralen Begriff des Dritten zurückzieht und somit das Problem der Vermittlung von Welt und Denken auf die Sprache verschiebt. Originell ist Rustemeyers Lesart, weil er nicht nur die Analyse dieses Dritten auf die Frage nach der symbolischen Vermittlung durch Technische Mittel lenkt, sondern auch Hegels Vermittlung im Absoluten mit den modernen Ansätzen der Medientheorie in Zusammenhang bringt. Auf diese Weise legt er ein semiotisches Medienkonzept frei, dass für die Besprechung der gesellschaftlichen Überschneidungen von Medien und Mediennutzer von fundamentaler Bedeutung ist.
Es ist ja nicht so, dass die hier zum ersten Mal aus philosophischer Perspektive betrachtet würden. Neben akademischen Ansätzen einer dezidierten Medienphilosophie (Sandbothe, Wiesing, …) waren es in der Vergangenheit oft die eher essayistischen Strömungen aus Frankreich, allen voran Jean Baudrillard und Paul Virilio, die den philosophischen Diskurs über Medien und Kultur anführten. Letzerer bleibt im vorliegenden Band jedoch ganz unberücksichtigt. Es sind nicht länger die Probleme der 1970er und 1980er Jahre wie „Beschleunigung“ (Virilio) oder „Simulation“ (Baudrillard), die die Autoren zu interessieren scheinen; die vorausgesagte Medienapokalypse ist in der beschworenen Form nicht eingetreten und der vorliegende Band will offensichtlich keinen weitschweifigen Spekulationen in dieser Richtung folgen, sondern Grundlagenforschung betreiben.
Und diese Grundlagenforschung ist in der Philosophie – im Wittgenstein’schen Sinne – faktisch gleichbedeutend mit Begriffbestimmung. Von dieser Warte aus bleiben sich die Autoren selbst und ihrem Fach treu. Man demonstriert Selbstverständnis und genau das ist es, was der Philosophie in den letzten Jahren im Bezug auf das Medienthema abhanden gekommen zu sein schien. Der Band ist genau dort gelungen, wo er sich auf dieses Selbstverständnis besinnt und sich im Sammelsurium der Kulturwissenschaften damit profiliert. „Medien und Kultur“ ist also gerade wegen seiner Inhaltlichen Positionen ein Colorit der Philosophischen Problemlösung, die aus dem Hintertreffen der Medienanalyse langsam hervorzutreten beginnt.
Ralf Becker / Ernst Wolfgang Orth (Hrsg.)
Medien und Kultur
Mediale Weltauffassung
Trierer Studien zur Kulturphilosophie Band 13
Würzburg: Könighausen & Neumann 2005
140 Seiten (broschiert)
19,80 Euro