Vom Gucken, vom Lächeln

Yorkshire, England 1750. Der Waisenjunge Tolly ist beauftragt, den Leichnam eines französischen Diebes, der gehenkt wurde, zu beerdigen. Doch der „Black Jack“ genannte Franzose lebt, und als er wieder zu Bewusstsein kommt, nimmt er Tolly mit sich, der als Übersetzer für seine verrückten Reden dient. Sie fliehen aufs Land, überfallen einen Frachtwagen, in dem Belle transportiert wird, eine junge Aristokratin, die aus einem Irrenhaus geflohen ist, in das sie ihre Familie eingewiesen hatte, um sich ihrer zu entledigen. Das junge Mädchen schließt sich den beiden Räubern an. Sie werden von einem Zirkus aufgenommen, der wie eine Freakshow wirkt. Drei Zwerge gehören ihm an, ein schüchterner Arzt, der ein Jugendserum verkauft, und ein kleiner Junge, der zu einem großen Dieb werden will. Tolly und Bell verlieben sich ineinander …

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Ein Kannibale als Kulturheros

Was in Mode zu kommen scheint, sind dieser Tage Filme, die sich mit der Aufarbeitung eines bisher unbeleuchteten Kapitels aus der frühen Lebensgeschichte einer Roman- oder Filmfigur befassen. Den Auftakt dazu lieferte das horribel verstümmelte „Texas Chainsaw Massacre – The beginning“ (Kinostart 18. Januar). „Hannibal Rising“ führt die Reihe der Anfänge als ein auf Hochglanz poliertes Gründungsmythos fort, das seinerseits Volksmythen in Form von Märchen und nebenbei die Folterung von Kriegsverbrechern zeigt. Er versucht die Transformation vom Mythos zum Myzel, kommt dabei aber kaum ohne eine schlicht gestrickte Psycho-Logik aus, die dem Film alle die Haken und Kanten nimmt, an denen man sich beim „Schweigen der Lämmer“ seinerzeit noch genüsslich die ein oder andere Blessur holen konnte.
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The Notorious Bettie Page

Pin-Up-Ikone Bettie Page ist vielleicht das beste Exempel dafür, wie unsere Bilderkultur simulakrische „Wesen“ mit hoher Eigendynamik hervorbringt, die mit der historisch abgebildeten Person nicht mehr zu verwechseln sind. Denn wer ist Bettie Page? In erster Linie ein Archiv von Fotos und kleinen, naiv mit sexuellen Devianzen spielenden dirty movies. Wer aber war die historische Bettie Page, die Person hinter dem Kunstwesen gleichen Namens? Wer sollte das schon wissen können! Mehr als bei allen anderen ikonisch überhöhten Stars und Traumfrauen – denen die Berlinale dieses Jahr immerhin die Retrospektive widmet – liegt hinter der kinky Oberfläche eine fast phantomartige Leere.
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Biografie im Film

Dieses Frühjahr scheint die Zeit der Filmbiografien zu sein. Gleich ein ganzes Hollywoodgenre meldet sich mit historisch inszenierten Portraits berühmter Männer und Frauen zurück und besetzt dieser Tage die Programmlisten der Lichtspielhäuser. Angefangen bei »Alexander der Große« (Oliver Stone), über die Geschichte von Howard Hughes in »Aviator« (Martin Scorsese) bis hin zu »Sophie Scholl« (Marc Rothemund) und »Kinsey« (Bill Condon).
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Beyond the Sea

Der Swing-Entertainer Bobby Darin ist, im Gegensatz zu seinem alles überragenden Vorbild Frank Sinatra, eine tragische Figur der populären Kultur der 50er Jahre. Trotz einiger Evergreens, die er der Musikgeschichte beschert hatte immer eine Nummer kleiner als Sinatra geblieben, kehrten ihn die 60er Jahre – trotz einiger Versuche, an sie anzuschließen – beinahe schon rüpelhaft unter den Teppich. Mit 37 starb er schließlich an den Folgen einer Krankheit aus Kindertagen, die sein Herz geschwächt hatte; ein stolzes Alter eigentlich, wenn man bedenkt, dass ihm seine Ärzte – folgt man Spaceys Film – maximal 15 Jahre vorausgesagt hatten. In jüngsten Jahren erfuhr Darin zumindest in zweiter Ordnung eine kleine Renaissance: Durch Robbie Williams’ Neuauflagen diverser Darinsongs, darunter auch, eingesungen für den Soundtrack des Pixar-Animationsspektakels Findet Nemo, Beyond the Sea.
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Naivität ist Täuschung

Im Zentrum des neuen Derrida-Films steht immer die Frage des »Wer oder Was«. Sowohl bei den Valenzen der Liebe als auch bei denen der Vergebung: Lieben wir jemanden oder lieben wir jemanden für etwas? Vergeben wir jemandem oder vergeben wir jemandem etwas? Diese Frage, die nach Subjekt oder Objekt, dominiert Derridas Überlegungen im Dokumentarfilm Derrida.

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Drei Punkte nach der Sexualtheorie

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychoanalyse wird durch zweierlei erschwert: Zum ersten durch die Tatsache, dass die wesentlichen Paradigmen der Theorie nicht falsifizierbar sind – was die Psychoanalyse zu einer Art Metaphysik der Seele macht; zum Anderen dadurch, dass deren Begründer Sigmund Freud die Psychoanalyse wie eine Religion gegründet und verbreitet hat: Eine eigene Schule mit Eingeweihten und Exkommunizierten, für Wissenschaften der unübliche Verbreitungsweg. Diese beiden Tatsachen sind der Grund dafür, dass die Psychoanalyse innerhalb der Psychologie sehr kontrovers diskutiert wird. Kritische Diskussionen und Einführungen scheinen also notwendig, um zu klären, wo die speziellen Leistungen und Schwächen der Theorie sind.

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Die unmögliche Biografie

Derrida, USA 2003, Amy Ziering Kofman/Kirby Dick

Der französische Philosoph Jacques Derrida gilt als einer bedeutendsten Denker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seit 1967 veröffentlicht er kontinuierlich philosophische Bücher und Aufsätze, die in akademischen Kreisen (aber auch im Feuilleton) – vornehmlich in der Philosophie, der Literaturwissenschaft und den Kulturwissenschaften, aber auch in Bereichen wie der Architektur oder dem Ballett –, lebhaft rezipiert werden. Bekannt geworden ist Derrida als Begründer des so genannten ‚Dekonstruktivismus‘, einer Überbietung der Heideggerschen ‚Destruktion‘ der abendländischen Metaphysik (vgl. Sein und Zeit, § 6), die sich darauf besinnt, dass man der Tradition nicht so ohne weiteres entkommt (wie Heidegger selbst gehofft hatte), und folglich aus ihr heraus und in ihr operiert: Die Tradition wird nicht einfach zerstört, sondern zerlegt und umgebaut; dem destruierenden Gestus ist auch etwas Konstruktives zu eigen. Die De(kon)struktion Derridas meint mithin eine Lektüre philosophischer Texte, die nicht nur auslegt, was der Text sagt (das wäre Hermeneutik), sondern auch auslegt, was er nicht sagt, was er verschweigt. Durch solche Lektüren legt der französische Denker die Hypotheken frei, die auf der abendländischen Philosophie lasten: Sie ist seit Platon logozentrisch (d.h. auf das gesprochene Wort fixiert), phallozentrisch (d.h. männlich dominiert) und ethnozentrisch (westeuropäisch geprägt). Gegen die von ihm auch als Präsenzmetaphysik bezeichnete Tradition setzt er ein Denken, das sich über die Beschränkungen, denen unser Welt- und Wahrheitszugang unterliegt, völlig im Klaren ist: Sinn gibt es nicht präsent, sondern immer nur aufgeschoben. Alle Präsenz ist eine abgeleitete. „Die unmögliche Biografie“ weiterlesen