Beyond the Sea

Der Swing-Entertainer Bobby Darin ist, im Gegensatz zu seinem alles überragenden Vorbild Frank Sinatra, eine tragische Figur der populären Kultur der 50er Jahre. Trotz einiger Evergreens, die er der Musikgeschichte beschert hatte immer eine Nummer kleiner als Sinatra geblieben, kehrten ihn die 60er Jahre – trotz einiger Versuche, an sie anzuschließen – beinahe schon rüpelhaft unter den Teppich. Mit 37 starb er schließlich an den Folgen einer Krankheit aus Kindertagen, die sein Herz geschwächt hatte; ein stolzes Alter eigentlich, wenn man bedenkt, dass ihm seine Ärzte – folgt man Spaceys Film – maximal 15 Jahre vorausgesagt hatten. In jüngsten Jahren erfuhr Darin zumindest in zweiter Ordnung eine kleine Renaissance: Durch Robbie Williams’ Neuauflagen diverser Darinsongs, darunter auch, eingesungen für den Soundtrack des Pixar-Animationsspektakels Findet Nemo, Beyond the Sea.

Viele Jahre soll Kevin Spacey für diese Projekt gerungen haben. Dass man das dem fertigen Film, dessen Produktion Spacey kurzerhand, nachdem er in den Staaten wohl keine Möglichkeit mehr sah (und ihm, was ebenso anzusehen ist, die Zeit auch aus biologischen Gründen davon zu laufen drohte) , nach Großbritannien und Deutschland verlegte, ansähe, ist glatt untertrieben. Beyond the Sea ist nichts geringeres als die ultimative Kevin Spacey Picture Show. Spacey schrieb das Drehbuch, führte Regie, produzierte, tanzte alle Choreografien selbst und sang zudem jeden Verwendung findenden Darinsong neu mit eigener Stimme ein. Vor allem die performativen Aspekte seiner Arbeit gelingen Spacey dabei durchaus: Mit seiner zwischen Lausbub und Womanizer changierender Physiognomie ist er die Paradebesetzung für die augenzwinkernden Performances der Swing-Ära. Auch der Stepptanz gelingt ihm ausnehmend gut, so dass die (zahlreichen) Musicaleinlagen des Films, die diegetisch mal verbindlich (Film-im-Film), mal unverbindlich („It was a fantasy sequence“, sagt Darin-Spacey an einer Stelle) eingestreut sind, ohne weiteres vor der Tradition des Genres bestehen können. Und natürlich stellen sie das eigentliche – mal mehr, mal weniger erfolgreiche – Spektakel des Films, bzw. für Spacey wohl den primum movens, sich überhaupt diesem Stoff zu widmen, dar: Ganz unverhohlen wollte Spacey sich als stepptanzender, swingend-singender Entertainer inszenieren, solange ihm das Alter dies noch gestattete.

Dies, wie der Umstand, dass Spacey als 44jähriger über weite Strecken im Film einen knapp 20jährigen verkörpert, lädt natürlich zu hämischer Kritik ein, die Spacey jedoch im Film durch eine pro- und epilogische Rahmung antizipiert und dadurch zu zerstreuen sucht. Ganz nebenbei eröffnet er dem nicht unheiklen Subgenre des Biopics einen selbstreflexiven Diskurs, den es bis dato, meines Wissens, darin nicht gegeben hat. Ganz nach Tradition De Palmas lässt Spacey seinen Film nämlich als eine dem Zuschauer zunächst nicht als solche erschließbare inszenierte Realität innerhalb der Filmrealität beginnen: Der espritvolle Auftritt vor begeistertem Publikum eines Nachtclubs entpuppt sich jäh als Dreharbeit zu einem Darinbiopic, in dem Darin sich selbst verkörpert. Die Maske des Sunnyboys fällt schnell, als er recht eitel die Szene abbricht, wiederholen lässt und dem Nächstbesten daran die Schuld unterjubelt. Kritische Dialoge folgen, ob Darin nicht schon zu alt für eine solche Performance sei, es nehme ihm doch keiner mehr ab, einen 20jährigen darzustellen. Auftritt eines kleines Jungen, der sich aus den Kulissen nach vorne schiebt, im Film-im-Film soll er Darin als Jungen spielen, im eigentlichen Film (den wir sehen) macht er das auch und darüber hinaus ist er Darin noch die Wiederkehr der eigenen Vergangenheit: Er, der Junge, sei kein Darsteller, sondern der kleine Darin selbst, den der erwachsene Darin zurückgelassen habe. Diskussionen im diegetisch ortlos Bleibenden folgen, wie nun Darin im Film sein Leben inszenieren solle, der junge meint, so sei es nicht gewesen, der alte kontert, dass im Film nicht Authentizität, sondern Künstlichkeit gefragt sei.

Das Subgenre selbst erfährt in diesen Momenten eine Thematisierung seiner eigenen Problemstellungen, die den fertigen Elaboraten in der Regel, fatalerweise, oft nicht mehr anzusehen sind. Denn ganz grundsätzlich ist dies in mehrerlei Hinsicht determiniert: Es hat historische Fakten zu berücksichtigen, muss aus der Fülle eines Lebens in zwei, maximal drei Stunden die Essenz ziehen, es ist den Strukturen und dem Verlauf des Dramas verpflichtet, das die Faktizität schnell überformt, und nicht zuletzt vor allem ein Produkt seines Autors, der ein eigenes künstlerisches Projekt verfolgt. Das fertige Produkt muss sinnfällig sein, eine Geschichte nach üblichem Schema erzählen und soll darüber noch faktisch bleiben: Dies ist, beileibe, nicht zu schaffen, was das Biopic – am perfidesten vielleicht im TV-Format „Dies ist Dein Leben“ (das in Beyond the Sea ebenfalls kurz aus der Schublade gezogen wird) – nicht daran hindert, Faktizität für sich zu beanspruchen und als historisches Dokument für sich mehr oder weniger Geltung zu verlangen. Beyond the Sea schlägt hier einen deutlich anderen Weg ein, indem er von Anfang keinen Zweifel daran lässt, dass hier nicht „Bobby Darin, wie er wirklich war“ versucht wird, sondern dass vor allem Kevin Spacey, als alles überblickende Instanz des Films, und seine Leidenschaft für diesen Stoff, den Bobby Darins Leben darstellt, im Mittelpunkt steht. So unterstreicht auch der Epilog, der den Zuschauer nach Bobby Darins Tod dennoch mit Zungenschlag aus dem Film verabschiedet, dass der Privatmensch Darin vielleicht gestorben sein mag, die Kunstfigur Darin aber, gerade deshalb, niemals sterben kann und auch nicht Darins Tod am Ende des Films zu beklagen ist: Weil es um den Privatmenschen, in diesem Film, trotz aller Indizien, die zunächst dagegen sprechen mögen, nicht geht, nicht gehen kann.

Zugegeben, diese reflexive Note mag reiner Apologetik geschuldet sein, kraft derer sich Spacey von Beginn an schon jeden Egotrip zurechtgelegt hat. Dafür spricht, dass solche Einschübe im Film (der innerhalb seiner Rahmung im wesentlichen dann eben doch dem klassischen Biopic entspricht) eher selten sind und die als sinnstrukturierend angesehenen Stationen aus Darins Leben in nahezu einheitlicher Form dargeboten wurden. Dass dies mal unterhaltsam, mal schrecklich öde ausgefallen ist, spricht ferner gegen den Film. Aber dass überhaupt einmal, aus welchen Beweggründen auch immer, gewagt wurde, der heiligen Erzählung des Biopics eine kritische Schlagseite zu geben, ist an sich schon bemerkenswert genug.

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