Keine Lieder über Liebe

Die Prämisse des Films: Der angehende Dokumentarfilmer Tobias Hansen (Florian Lukas) lebt seit einem Jahr mit seiner Freundin Evelyn (Heike Makatsch) gemeinsam in einer Berliner Wohnung. Kurz vor dem Herzug hatte man noch Tobias’ Bruder Markus (Jürgen Vogel), Sänger der Indiepopband Hansen, in Hamburg besucht. Seitdem schwelt in Tobias der Verdacht, dass zwischen Bruder und Freundin mehr als bloß unverbindliche Freundlichkeiten ausgetauscht worden waren. Als er von einer anstehenden Deutschlandtour seines Bruders Band Wind bekommt, entschließt er sich spontan dazu, einen Dokumentarfilm über die Band im Allgemeinen, den Bruder im Besonderen zu drehen. Evelyn packt er gleich mit in den Tourbus, erhofft er sich derart doch, seine Ungewissheiten zu zerstreuen. Das Ergebnis, der vorliegende (gefakete) Dokumentarfilm, ist dann, wie Tobias seinen Prolog aus dem Off beschließt, „ein Film über uns drei“. Spricht’s also monoton, aber auch schon ein bisschen nervend, und man ahnt schon, dass hier fürchterliches deutsches Kino für hippe Twens, die sich gerade in der gemeinsamen Butze eingenestet haben, inszeniert werden soll. Mit etwas Gimmick (Mockumentary), etwas Wiedererkennungswert (Beziehungsproblemchen wälzen) und etwas abgeschmackte Popkultur (Deutschpopband mit Schlagertext, gemeinsam durch die kleinen Clubs dieser Republik, die das anvisierte Publikum vielleicht sogar aus eigenem Erleben kennt).

Man wird recht behalten dürfen. Keine Lieder über Liebe ist, vor allem auch angesichts der Möglichkeiten, erschreckend orientierungslos und entscheidet sich unter Garantie an jeder Weichenstelle für die falsche Richtung. Die Form beispielsweise, die Mockumentary, ansonsten Labor für allerlei filmische Experimente, Überlegungen über Film und seine ästhetischen Strategien, verkommt hier zur bloßen Behauptung von Konzept und Kunst, ohne dass sie an einer Stelle gewinnbringend eingesetzt würde. Sie dient, ganz salopp, allenfalls als künstlerische Legitimation, um brackiges Beziehungsgeschwurbel, über dessen infantilen Verlauf man sich als moderner Mensch nur wundern kann (wenn man nicht einfach nur aggressiv ob soviel dummsinnigen, nicht enden wollenden und vor allem redundanten Geplappers wird), einmal mehr ins Bild zu setzen. Dabei ist die Form noch nicht einmal konsequent: Mehr als nur einmal fragt man sich, wie es denn sein könne, dass vor laufender Kamera intime Gespräche geführt werden, für die sich sogar von anderen abgesetzt wird. Dann immer mal wieder im Gespräch der Beteiligten die Referenz auf Ereignisse jenseits und zwischen der Sequenzen. Natürlich, denn wir sehen ja nur ein kleines Stück des Tourlebens. Doch was mit Inspiration ein Spiel mit den Wahrscheinlichkeiten ergeben hätte, verläuft hier zur bloßen Macke: Es gibt, rein narrativ gesehen, kein Ungefilmtes zwischen den Sequenzen. Der Film folgt noch bis in die Inserts von sinnbegründenden Großaufnahmen üblicher Dramaturgie und üblichen Geboten narrativer Kontingenz.

Wenn der Film aus seinen ohne Zweifel an sich reizvollen formalen Prämissen schon kein Kapital schlagen kann, versäumt er gleiches erst recht noch auf inhaltlicher Ebene. Natürlich hat Markus seinerzeit mit Evelyn geschlafen. Natürlich hat Tobias zu Beginn der Tour, als Evelyn noch nicht dabei war, mit einem Mädchen vom Konzert geschlafen. Grund für zwei, drei Abende Trübsal vielleicht, mittel- und langfristig gesehen Lappalien, die im Leben – wie man, bestreitet man dasselbe nun nicht vollkommen naiv, durchaus wissen kann – nun mal vorkommen können. Keine Lieder über Liebe aber dient’s zum Anlass, sich in endlose Dialoge zu verlieren, in denen mit Digitalkamera endlos auf schweigende Gesichter gehalten wird, als sei dies schon Kunst oder gar Aussage, dabei bleibt es, letzten Endes, banal. Über das Schweigen vor allem Tobias’ – ein typisches, verlustängstliches Schweigen infantiler Männer – wird indes nichts ausgesagt. Nichts jedenfalls, was man nicht schon wüsste: Dass es so was nämlich gibt, wenn Beziehungen zu Ende gehen, unter ungünstigsten Bedingungen. Die Binsenweisheit, für die dann soviel Aufsehens gemacht wurde – die Band Hansen wurde, aus Mitgliedern der Bands Kettcar und Tomte, in echt konstruiert, auch die Tour wurde durchgeführt, der Film entstand weitgehend durch Improvisationen und spontane Entwicklungsideen seiner Darsteller zusammen mit dem Regisseur -, lautet schließlich (und sie wird in Prolog und Epilog holzhammerartig in den Raum gestellt): Wer kennt schon welche, die sich wirklich kennen? Küchenphilosophie für gestrandete Callcenteragents, die gerne mal deutschen Pop mit sinnschwangeren Texten hören.

Überhaupt der deutsche Pop und sein Text. Im Film kehrt ein Song immer wieder, sein zunächst sehr abstrakter Text – eine n-te Kopie dessen, was die Hamburger Schule in der Vergangenheit, vor 10 Jahren, ja wirklich vielleicht mal hörenswert gemacht hatte, heute ist das die Domäne für Virginia Jetzt! und andere Affen, die’s nicht besser wissen – wird auffällig in den Vordergrund gerückt. So ein bisschen handelt er von Sehnsucht und Abschied und wehmütigem Blick zurück. An einer Stelle liest Tobias zwei Mädchen von einem Konzert eine Stelle des Textes vor und fragt die, was die so davon halten. Exegese ins Blaue hinein, nach anfänglichem Amüsement. Der Text ist ja auch, zugegeben, ziemlich beknackt. Keine Lieder über Liebe gefällt sich nun, diesen Text mit Sinn zu füllen, sich selbst zu diesem Lied in Bezug zu setzen. Wenn das Lied am Ende dann wieder von der Bühne geträllert wird, machen alle Betroffenen ein betroffenes Gesicht. Viel ist verloren gegangen, man ist älter geworden, zwischen Berlin und Hamburg, im Spätsommer 2004. Älter ist man während der Vorführung des Films auch geworden. Weiser kein Stück.

Thomas Groh

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