Mortifikation des Werkes

Spätestens seit der Veröffentlichung des fragmentarisch gebliebenen „Passagen-Werkes“ 1983 gilt Walter Benjamin als einer der wichtigsten Denker der Moderne (im subjektiven wie objektiven Sinne). Seine in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstandenen Texte gelten nicht nur als Mitbegründungschriften von Kultur- und Medienwissenschaft – sie geben auch intellektuelles Zeugnis eines unkonventionellen Denkers, der trotz aller Widrigkeiten Position bezogen und behalten hat. Das mehrere Tausend Seiten umfassende Gesamtwerk, das als Gesammelte Schriften im Suhrkamp-Verlag vorliegt in einer Einführung zusammenzufassen scheint ein gewagtes Unterfangen. Gewagter umso mehr, als Benjamin auf den ersten Blick keineswegs zu den systematischen Denkern gezählt werden kann. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Sven Kramer hat es dennoch versucht und es ist geglückt.

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»Dämonisierung ist Arbeit unter Legitimationszwang«

„Godzilla steht für die Atombombe.“ Solche und ähnliche Kinoweisheiten, die Motive und Strukturen von Filmen als Allegorien auf die Wirklichkeit verstehen, gehören zum Standard-Interpretationsinventar des Cineasten. Nur selten jedoch wird die „Allegorese“, aus der diese Aussagen hervorgehen, auch nachvollzogen. Zu eindeutig scheinen die Bilder, als dass deren Zweitbedeutung erst erklärt werden müsste. Doch gerade dieser „Zwischenschritt“, wie Herbert M. Hurka in seinem Buch „Filmdämonen“ ihn geht, bietet einige Erhellung darüber, wie die Codierung von Stereotypen im Kino funktioniert.

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Keine Medienwissenschaft aus der hohlen Hand

Die insitutionelle Kluft, die sich in den Geisteswissenschaften zwischen ästhetischen und empirischen Fragestellungen seit Langem abzeichnet, lässt sich an den Medienwissenschaften (vielleicht auch deshalb der Plural) besonders deutlich ablesen. Zwischen soziologisch/psychologisch/anthropologischen und ästhetisch/kunsthistorischen Ausrichtungen gab und gibt es an einigen Fakultäten regelrechte Kämpfe um die Existenzberechtigung. In der nicht-akademischen Öffentlichkeit scheinen diese Kämpfe bereits entschieden zu sein, bevor man sie überhaupt wahrgenommen hat: Medienwissenschaft(!) ist empirisch fundiert und reiht sich ein in den Kanon naturwissenschaftlicher Disziplinen, deren Relevanz im Gegensatz zu den Geisteswissenschaften ja noch nie angezweifelt wurde.

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Abenteuerfilm

„Eines der größten und eines der beliebtesten Genres der Filmgeschichte ist zugleich eines der unbekanntesten“, beginnt Hans-Jürgen Wulff die Einführung zum vierten Band der Genre-Reihe des Reclam-Verlages. Er meint damit den Abenteuerfilm und führt in seiner umfangreichen Einleitung nicht nur aus, warum der Abenteuerfilm so unbekannt ist, sondern auch, warum das Genre so umfangreich ist. Das liegt unter anderem daran, dass „Abenteuer“ eine nicht nur weitverbreitete sondern auch weitauslegbare Erzählstruktur im Film ist. „Abenteuer“ kann mithin alles genannt werden, was dem Filmhelden Anlass bietet, aus dem gewohnten Habitus aus-/aufzubrechen ins Unbekannte. Das, was sich nach dem Aufbruch ereignet, ist variantenreich von Anbeginn der Filmgeschichte bis zu den jüngsten Hollywood-Filmen a la „Fluch der Karibik“ immer wieder erzählt worden.

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Popkultur

Viel zu oft wird man Zeuge von intellektuellen Grabenkämpfen über Phänomene der Populärkultur, die vorgeben, einen Streit über ein mehr oder weniger wichtiges kulturelles Phänomen auszutragen, sich bei genauerem Hinsehen jedoch allein als Terminologie-Debatten entlarven. Schaut man sich etwa einmal die Debatte um „Gewalt in den Medien“ an, so wird man nicht nur mit den unterschiedlichsten Wirkungs- und Wirkungslosigkeitsargumenten konfrontiert, sondern oft auch mit völlig disparaten Begriffen von „Gewalt“, „Medien“ und „Publikum“. In der widersprüchlichen Nutzung dieser Terminologie spiegelt sich natürlich ebenfalls auch die Position des Diskursteilnehmers. In dem Moment jedoch, wo diese Terminologie unklar wird und durch ihre Unklarheit Fehlinformation produziert, pervertiert sich der Sinn jeder Debatte.

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Die Spur durch den Spiegel

Kein Medium hat das 20. Jahrhundert so nachhaltig geprägt wie der Film. Er ist das „Schlüsselmedium“, beginnt das Vorwort des Sammelbandes „Die Spur durch den Spiegel“ aus dem Bertz-Verlag. Dabei hat der Film das Jahrhundert im aktiven wie passiven Sinne „bebildert“: In intensivem Diskurs zwischen Produktion und Wirklichkeit. Thomas Elsaesser, zu dessen letztjährigem 60. Geburtstag der Sammelband erschienen ist, hat den Film aus wissenschaftlicher aber auch leidenschaftlicher Distanz beobachtet und vor allem zum deutschen Film eine beachtliche Bandbreite an Studien veröffentlicht. In seinem Sinne dürften die Essays des Sammelbandes ausgefallen sein.

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Joachim Kroll

Der Serienmord ist ein Kulturphänomen – jedoch nicht nur eines, das aus der Kultur hervorgeht, sondern auch eines, dass in sie eingeht: Serienmord und -mörder avancieren zum artifiziellen Reflexionsgegenstand – „Der Mord als schöne Kunst betrachtet“ (Thomas de Quincey, 1827). Allein die zahlreichen Filme und Bücher der vergangenen Jahre zum Thema belegen dies eindrücklich. Neben rein fiktiven oder locker auf kriminalhistorischen Motiven beruhenden Stoffen finden sich aber auch immer mehr Filme und Bücher, die auf authentischen Fällen beruhen und das gleichermaßen viel verheißende und dennoch schillernde Genre des „true crime“ bedienen.
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Der erotische Film

Es ist eine gewisse Freude, mitansehen zu dürfen, dass sich die ehemals „schmuddeligen“ Filmgenres Sexfilm, Pornofilm und Horrorfilm nun nach und nach in den Betrachtungen kulturwissenschaftlicher Seminare und Tagungen wiederfinden. Stellt sich doch ein Verständnis der Kultur nicht in den hohen Sphären künstlerischen Schaffens, sondern gerade „in der Trivialität“ (Engell) ein. Und so haben sich die Untersuchungen zum Erotik- und Pornofilm von den zuvor häufig ideologisch-feministischen Perspektiven abgewandt und stellen nun multiperspektivisch Fragen an das Genre. Doch an den Anfang der Auseinandersetzung mit der Interpretation sollte auch hier die Auseinandersetzung mit dem Film und seinen filmografischen Daten stehen, damit die empirische Basis der Untersuchung stimmt. Bei Königshausen und Neumann ist vor kurzem ein Sammelband zum „erotischen Film“ erschienen, der diese Notwendigkeit leider nicht immer ganz beherzigt.
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Medienwirkungen

Der Sinn der Medien ist es zu wirken. Informationen sollen zum Nutzer gebracht, Emotionen ausgelöst, Einstellungen geändert und Handlungen forciert werden. Soweit zur Sichtweise der Medienproduktion. Aber was kommt beim Nutzer an und wie „wirken“ Medien und ihre Inhalte tatsächlich? Welchen Einfluss auf das Weltbild und das Verhalten haben Medien? Diese Fragen beschäftigen die sozialwissenschaftliche Medienwirkungsforschung, von der oftmals nur die Frage der „Gewaltwirkung“ als Spitze des Forschungseisberges wahrgenommen wird. Im Westdeutschen Verlag ist nun die zweite Auflage von Michael Jäckels Studienbuch „Medienwirkungen“ erschienen, die eine Einführung in die Theorie(n) und einen Abriss der Forschungsgeschichte liefert.

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Drei Punkte nach der Sexualtheorie

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychoanalyse wird durch zweierlei erschwert: Zum ersten durch die Tatsache, dass die wesentlichen Paradigmen der Theorie nicht falsifizierbar sind – was die Psychoanalyse zu einer Art Metaphysik der Seele macht; zum Anderen dadurch, dass deren Begründer Sigmund Freud die Psychoanalyse wie eine Religion gegründet und verbreitet hat: Eine eigene Schule mit Eingeweihten und Exkommunizierten, für Wissenschaften der unübliche Verbreitungsweg. Diese beiden Tatsachen sind der Grund dafür, dass die Psychoanalyse innerhalb der Psychologie sehr kontrovers diskutiert wird. Kritische Diskussionen und Einführungen scheinen also notwendig, um zu klären, wo die speziellen Leistungen und Schwächen der Theorie sind.

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Im Kino gewesen …

Die Frage, was wohl zuerst dagewesen ist: das Huhn oder das Ei, stellt sich, auf Literatur und Film bezogen, nicht. Interessanter wird es da schon, wenn man nachzuweisen versucht, dass das Huhn tatsächlich ein Ei gelegt hat. Ist der Film eine vielleicht sogar notwendige stilistische Fortschreibung der Literatur, sozusagen ihr modernistischer Appendix?

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Redundanz

Nicht erst, aber vor allem seit Matrix ist der Genrefilm wieder interessant geworden für die Philosophie. Die Konzepte, die sich vor allem im fantastischen und besonders im Science Fiction-Film finden, eröffnen dem geneigten Betrachter Anknüpfungspunkte zu philosophischen Debatten. Die hängt natürlich zum einen damit zusammen, das die „Science“ im Science Fiction nicht von ungefährt kommt; zum Anderen reagiert die Produktion auf ein intelligenteres, medien- und selbstbewusstes Publikum mit höheren Ansprüchen, die nicht zuletzt im Verarbeiten philosophischer Gedanken Eingang in den Film finden.

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authentes

Das Medium ist als solches nicht nur Mittler zwischen Kommunikationspartnern – es ist bei den technischen Medien auch die Membran zwischen Rezipient und Ereignis zwischen Realität und Medialität. An dieser Membran entsteht die Frage des Authentischen und wird zu einem gravierendem Problem. Denn ob wir den Medien ihre Inhalte „glauben“ hängt nicht allein von unserem Weltwissen ab, sondern auch von den Manipulationsabsichten der Medienmacher.

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Theorien der Medien

Aus dem Korpus der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften schält sich langsam ein fest eingrenzbarer Bereich der Medienwissenschaften heraus, der zwar transdisziplinär und methodisch vielfältig angelegt ist, jedoch durch seinen Fokus auf die Medien innerhalb der traditionellen Theorien neue Zusammenhänge stiftet. Für die universitäre Vermittlung dieser Medienwissenschaften als eine Disziplin ist es damit unerlässlich geworden, die disparaten Theoriemodelle aus diesem Fokus heraus zu vermitteln. Ein idealer Ansatz für ein Lehrbuch.

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Bilder in Scheiben

Als in den 1980er Jahren die CD-ROM den interessierten Nutzern vorgeführt wurde, verdeutlichten die Hersteller die Speicherkapazität des Mediums nicht selten damit, dass die gesamte Bibel als Text darauf Platz fände und der Datenträger damit immer noch nicht gefüllt sei. Die Unmengen Text, die auf 630 MB unterzubringen sind, werden in jüngster Zeit durch den Nachfolger, die DVD-ROM um ein vielfaches übertroffen. Nun ist es möglich, auf bis zu 9 Gigabyte Daten zu archivieren, die viel speicherintensiver als reiner Text sind. Im Katalog der Digitalen Bibliothek liegen jetzt zwei DVDs mit umfassenden Bildersammlungen vor. Das „Bilderlexikon der Erotik“ mit circa 6000 Abbildungen und die Sammlung „25.000 Meisterwerke“ – ein Archiv von Gemälden, Grafiken und Zeichnungen der Kunstgeschichte.

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Patchwork

Filmzensur in Deutschland ist ein Thema, das die Gemüter bewegt – zumal es sich um die eigentlich grundgesetzlich verbotene Nachzensur von Kunst handelt. Aber es ist nicht der Staat, der Filme kürzt, sondern die Jugendschutzgremien, die die Anbieter durch ihre Freigabepolitik dazu zwingen, selbst die Schere anzusetzen. Wie subtil und trotzdem weitreichend Filme heute auf diese Weise gekürzt werden, erfährt man zum Beispiel bei www.schnittberichte.com. Man erfährt es aber auch in Büchern. Nicht wenige Titel zum Thema sind auf dem Markt. Und nun veröffentlicht der Berliner Kiepenheuer-Verlag ein Bändchen mit dem Titel „Zerschnittene Filme“.

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Der Film lebt nicht vom Bild allein
(und das Buch nicht von der Schrift allein)

Nicht nur durch Literaturadaptionen wird cinestischen Puristen immer wieder schmerzlich die Literatur als essenzieller Bestandteil des Films in Erinnerung gebracht. Etliche Filme, vor allem des europäischen Autorenfilms der 70er Jahre, „handeln“ im Zentrum von den Geschichten ihrer Protagonisten. Selten kommt es dabei vor, dass das Narrativ einen solchen Vorrang innerhalb des Films erhält, dass mise-en-scene und Montage dadurch völlig in den Hintergrund geraten.

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Jansens Stimme

Peter W. Jansen ist einer der aktivsten deutschen Film-Publizisten. Neben der Reihe Film im Hanser Verlag schreibt er für den Tagesspiegel, die Frankfurter Rundschau, den Filmbulletin und die Neue Zürcher Zeitung Filmkritiken und Essays. Für den Südwestdeutschen Rundfunk hat er eine Reihe von Radioessays „100 Filmklassiker“ produziert, die jetzt im Bertz-Verlag erscheinen.

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